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Über zwei Menschen, die einander Halt geben, in einer Zeit, die haltlos ist – Leseprobe aus „Es sind nur wir“ und Auszug aus dem „Wörterbuch der Verluste“ von Martin Peichl

Er ist ehemaliger Informatiklehrer, arbeitet an der Entwicklung von Computerspielen und schreibt; schreibt an seinem „Wörterbuch der Verluste“, in dem er festhält, was im Laufe der Zeit verloren gehen kann; schreibt von den Haaren, der Stimme, dem Verstand. Er taumelt durch eine Welt, die immer kurz vor der nächsten Katastrophe steht, verdrängt, womit er sich nicht beschäftigen will. Doch dann trifft er auf die Prepperin Mascha. Gemeinsam ziehen sie sich mehr und mehr zurück, in Maschas Haus auf dem Land … Martin Peichl vermag es, in poetischer, dichter Sprache von einem Alltag zu erzählen, der weit entfernt und doch so unglaublich nah scheint, vom Zustand unseres Planeten, von ständigen Krisen und einem Zurechtfinden der Menschen und Tiere in dieser Umgebung. Eindrücklich schreibt er über Trauer und Trost, Liebe und Freundschaft – und über ein Dasein, das gelebt werden will, gelebt werden muss, trotz aller Widerstände.

/01/ irreversible physikalische Prozesse

Wir beobachten tagtäglich irreversible physikalische Prozesse. In meiner Wohnung häuten sich Spinnen. Ihre Netze wirken verlassen, aufgegeben. Sie sammeln Staub, manchmal zittern sie gespenstisch im Luftzug. Gespenstisch auch das Licht, das durchs Fenster in die Wohnung sickert und sich in die Pfandflaschen hineinzwängt, wo langsam ein paar Tropfen Bier aufgewärmt werden, die zusammen vielleicht noch für einen letzten Schluck gereicht hätten.

Der Probealarm erinnert mich daran, dass ich meine Pflanzen gießen sollte. Zum An- und Abschwellen der Sirenen fülle ich die Gießkanne mit Wasser, bewege mich von Raum zu Raum, denke, wie unwahrscheinlich grausam es wäre, wenn sich tatsächlich eine Katastrophe ereignet hätte, und der Probealarm legt sich über den echten Alarm, weil irgendwo ein Atomkraftwerk explodiert oder der Krieg unerwartet ein paar hundert Kilometer näher gerückt ist, und die Menschen gießen Blumen, hängen Wäsche auf, skippen zum nächsten Song in der Playlist, während der Wind die Strahlung vor sich hertreibt, während Raketen starten, während Raketen einschlagen.

Mein Blick fällt auf die gebrochenen Sonnenstrahlen in den leeren Bierflaschen, ich drücke zwei Schmerztabletten aus der Blisterpackung, denke: Selfcare. Mein Handydisplay leuchtet auf, Sophia schreibt, dass sie mich liebt, ich dich auch, antworte ich und zünde mir eine Zigarette an. Die Tage sind zum Verwechseln ähnlich, seit ich nicht mehr in die Schule muss, die Tage sind austauschbar, aber ich weiß nicht, was ich lieber hätte stattdessen.

Die Schulleiterin war sichtlich erleichtert, als ich mit dem ausgefüllten Antrag auf Dienstfreistellung in ihr Büro gekommen bin, kaum Platz genommen, hatte ich auch schon ihre Unterschrift. Alles Gute für Ihr Projekt, hat sie gesagt und mir die Hand geschüttelt, ich musste fest zugreifen, um nicht abzurutschen.

Alles Gute für dein Buch, hat Sandra dann später zu mir gesagt, mich lange umarmt, und komm unbedingt zur Weihnachtsfeier. Nicht, wenn ich es verhindern kann, antworte ich. Sandra lacht, sie weiß, worauf ich anspiele. Unsere Weihnachtsfeiern sind eine Ausrede für schlechte Musik, für zu viel Alkohol und einmal zu eng mit dem jungen Kollegen tanzen, sich einmal zu oft von der älteren Kollegin mit nach Hause nehmen lassen. Die Kollegin mit der Puppensammlung. Ob sie zuschauen dürfen, habe ich sie gefragt, als sie mich an den in einer Vitrine ausgeleuchteten Puppen vorbei zu ihrem Bett geführt hat. Es ist nicht bei diesem einen Mal geblieben, wir brauchen schon lange keine Weihnachtsfeier mehr, um Sex zu haben.

Manchmal werde ich gefragt, ob ich das Unterrichten vermisse. Aber nur das Läuten der Schulglocke am Stundenende fehlt mir, ein akustisches Signal, dass man etwas geschafft hat. Dass es okay ist, zusammenzupacken und zu gehen. Es war nie leicht für mich, über meinen Beruf zu sprechen. Die wenigsten Menschen haben eine konkrete Vorstellung davon, was im Informatikunterricht passiert. Also hatte ich mir eine Standardantwort zurechtgelegt: Die Kunst ist, die Nullen und die Einsen zu verstecken.

Auf meinem Schreibtisch liegt das Kuvert mit dem Befund. Ich habe den Brief wieder zusammengefaltet und in den Umschlag gesteckt. Am liebsten würde ich ihn zurück in den Briefkasten legen. Wie geht es dir heute, schreibt Sophia, wie geht es deinem Wörterbuch? Mein Wörterbuch ist in Wahrheit ein Zettelkasten. Auf Karteikarten sammle ich Geschichten über das Verlieren und habe in den letzten Jahren immer wieder die Idee geäußert, daraus ein Buch machen zu wollen, ein Wörterbuch der Verluste, habe in zu kurzer Zeit zu vielen verschiedenen Menschen von meinem Vorhaben erzählt, jetzt denken sie, ich würde tatsächlich daran arbeiten. Manchmal, an Tagen mit Sirenenalarm zum Beispiel, überkommt mich das Bedürfnis, die Karteikarten zumindest zu sortieren. Mir ein Ordnungssystem zu überlegen, das nicht nur für mich Sinn ergibt.

Ich ziehe ein paar Karten heraus, es fällt mir schwer, meine eigene Handschrift zu entziffern, nicht alle Einträge habe ich nüchtern verfasst, ich stecke sie wieder zurück und setze mich an den Computer, um nachzusehen, was heute im Workflow auf mich wartet. Seit ich nicht mehr unterrichte, arbeite ich ein paar Stunden in der Woche für ein Entwicklerstudio, das gerade sein erstes Videospiel veröffentlicht hat. Zu meinen Aufgaben gehört es, die neuesten Patch-Notes zu kommunizieren, auf unserer Website und in diversen Foren. Die anderen im Team sind gut darin, Bugs und Glitches zu beseitigen, ich muss nur die richtigen Worte dafür finden. Sie haben mir eine Liste geschickt mit allen Änderungen, ab morgen soll die neue Version zum Download angeboten werden. Ich beschließe, mich später darum zu kümmern.

Ich stelle fest, dass ich nur die Hälfte meiner Pflanzen gegossen habe. An manchen Tagen bin ich mir nicht sicher, ob ich eine Aufmerksamkeitsstörung habe oder mich einfach nicht einlassen will. Auf diese Welt, dieses Leben. Ich zünde mir eine Zigarette an, rauche zum Fenster hinaus, in einem der Innenhofbäume haben Vögel ihr Nest gebaut. Vögel, hat mir einer der Programmierer gesagt, findet er am schwierigsten. Er kennt kein Videospiel, das sie auch nur ansatzweise überzeugend darstellt. An diesen Satz denke ich oft. Und dem Rauch von der ausgedämpften Zigarette wachsen Federn.


Aus dem „Wörterbuch der Verluste“

den Faden verlieren
Ich weiß noch nicht, wo dieser Text hinführt. Womöglich in ein Labyrinth. Was gäbe ich für einen Ariadnefaden, für einen klaren Anfang, ein eindeutiges Ende.
Stell dir eine Datingshow vor: Zehn Männer werben um eine Frau, müssen aber vorher durch ein Labyrinth gehen, dort etwas umbringen für sie, anschließend wieder rausfinden. Je nachdem, wie sympathisch und attraktiv sie die Männer findet, gibt sie ihnen mehr oder weniger Meter Faden mit auf den Weg. Und wenn sie es richtig anstellt, wenn sie sich nicht verrechnet hat, überlebt ihr Favorit. Oder zumindest einer, der ihr halbwegs gefällt.
Eine besondere Form des Irrgartens ist das Spiegelkabinett. Aber nicht die nach innen oder außen gewölbten Spiegel mit ihren Verzerrungen machen uns zu schaffen. Es sind die ebenen Flächen, die wir kaum aushalten, wo jeder auftreffende Lichtstrahl den Spiegel im selben Winkel auch wieder verlässt und wir uns eingestehen müssen: Ja, das sind wir.

 

den Verstand verlieren
Es sind nicht die Windmühlen, gegen die Don Quijote anreitet, seine Riesen, die sich bei mir eingebrannt haben, sondern sein Kampf gegen die Weinschläuche über seinem Bett, sein nächtliches Fuchteln und Schlitzen, die Rotweinspritzer, die er für Blut hält. Zurück bleiben ein überschwemmtes Gästezimmer und Don Quijotes vorübergehender Triumph über die Monster, die er überallhin mitnimmt.
Wir nennen Menschen verrückt, die nicht an dem Platz bleiben wollen, den wir ihnen zugewiesen haben. Wie ein Gegenstand, den man verlegt hat, den man nicht wiederfindet, nicht mehr braucht.
Wenn ich Wein trinke, merke ich, wie die Welt mit jedem Schluck weniger schief wird, bis zu einem bestimmten Punkt, dann kippt sie wieder, jetzt in die andere Richtung. Die Kunst ist: die Balance zu finden, zwischen zu viel und zu wenig Alkohol, zwischen zu vielen Riesen und zu wenigen Windmühlen.

 

Final Girl
Die letzte Überlebende in Horrorfilmen. Ihre Rolle ist es, bis zum Showdown durchzuhalten, bis zur letzten Konfrontation mit dem Killer, der nach und nach ihre Freundinnen und Freunde umgebracht hat.
Das Final Girl ist intelligent und trickreich, am Schluss ist sie die Einzige, die von den Ereignissen berichten kann, eine durch das erlebte Trauma nur eingeschränkt verlässliche Erzählerin. Bei mehrteiligen Filmreihen ist sie außerdem das Bindeglied zum Sequel. Es gibt aber keine Garantie, dass sie auch einen zweiten, einen dritten Film überlebt.
Ich frage mich, wie viele letzte Überlebende es geben kann, was passiert, wenn für denselben Film versehentlich zwei Final Girls gecastet werden.

 

sich verrechnen
Die Existenz einer Hälfte suggeriert die Existenz einer zweiten. Warum sie getrennt wurden, ist nicht immer klar. Ebenso wenig, ob sie zusammengeführt wieder ein Ganzes ergeben. Umgangssprachlich nehmen wir es nicht so genau, da gibt es auch Hälften, die nicht gleich groß sein müssen. Oder wir reden von einer besseren Hälfte. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass es auch schlechtere geben muss.
Eine mathematische Anwendung, die ich mir von Julian abgeschaut habe, ist das sogenannte Bisektionsverfahren. Es erleichtert die Lösung eines Problems, indem man es in zwei etwa gleich große Teilprobleme zerlegt, die wiederum zerteilt werden können. Bis man vor lauter kleinen und kleinsten Problemen steht und vergessen hat, was man ursprünglich lösen wollte. Vielleicht habe ich das Prinzip aber auch falsch verstanden.

 

aus den Augen, aus dem Sinn
Als 1982 das Videospiel E.T. the Extra-Terrestrial floppt, nachdem das Entwicklungsteam nur fünf Wochen Zeit hatte, um das Spiel rechtzeitig für das Weihnachtsgeschäft fertigzubekommen, bleibt Hersteller Atari auf 3,5 Millionen unverkauften Modulen sitzen. Um vom kommerziellen Misserfolg abzulenken und Lagerkosten zu sparen, werden diese ein Jahr später großteils geschreddert, der Rest bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf einer Deponie vergraben.
2014 werden ein paar Hundert Stück ausgegraben und im Internet versteigert. Der höchste bei der Auktion erzielte Preis für eines der Spiele ist 1 535 Dollar, ein Vierzigfaches von dem, was es zum Erscheinungstermin gekostet hat. Falls mich jemand fragt, was ich mir zu Weihnachten, was ich mir zum Geburtstag wünsche.

 



Baby Got Issues: Leseprobe aus „Potenziell furchtbare Tage“ von Bianca Jankovska

Mit Menstrual Health und Anti-Work die Arbeitswelt revolutionieren: Dieses Ziel verfolgt Bianca Jankovska in ihrem Buch „Potenziell furchtbare Tage“, auf ihrem Blog „Groschenphilosophin“, mit dem Kündigungsunternehmen „THX BYE“ und in ihrem Podcast „The Bleeding Overachiever. Sie hinterfragt unsere Leistungsgesellschaft, in der sich Arbeitnehmer*innen unter Schmerzen und Medikamenteneinfluss zur Arbeit schleppen müssen. Hinterfragt ein System, das uns permanent auslaugt und krank macht.
Die Lösung? Gibt es nicht. Dafür bietet Bianca Jankovska fundierte Fakten und unterhaltsame Utopien und ruft damit zum Beginn des Anti-Work-Feminismus auf! Einen ersten Vorgeschmack darauf bekommst du in dieser Leseprobe. 

Wenn Elon Musk eine Frau wäre

Wäre Elon Musk eine Frau – Essay-Ende. Denn es gibt bis heute keine Frau – von non-binären oder trans Personen gar nicht erst angefangen –, die annähernd so reich, einflussreich und mächtig ist oder war wie er. Und auch keine Frau, die das in naher Zukunft werden könnte. Wir stecken leider noch zu tief im Patriarchat, sorry gurls.
Ich finde trotzdem, der Essay-Titel klingt zu gut, um ihn nicht zu realisieren. Um nicht doch ein bisschen einzutauchen in das Was-wäre-wenn.
Ja, was wäre denn, wenn Elon Musk eine Frau wäre?
Zunächst mal: Nur sein Gender zu ändern, genügt vermutlich nicht. Wir wissen alle, dass es genügend Girlbosse da draußen gibt, die absolut nichts am regressiven Status quo ändern wollen würden. Auch nicht, obwohl es ihnen am Ende helfen könnte.
Was wäre also, wenn ich Elon Musk wäre?
Also: Als Allererstes würde ich Schwangerschaften abschaffen. Die neun Wochen, in denen ich schwanger war, waren mitunter die körperlich unangenehmsten meines Lebens. Davor kommt nur mein Parasiten-Befall, den ich aus Indien mitgenommen hatte, aber dazu gerne ein anderes Mal mehr. Nichts, aber auch rein gar nichts in dieser Zeit hatte etwas von der Romantik, die uns verkauft wird, wenn sich Mütter in der Werbung liebevoll über den prallen Bauch streicheln. Plötzlich sah ich sie ständig um mich, die anderen, watschelnden Schwangeren, die die Übelkeit weglächelten, und nein, ich empfand das nicht als nachahmenswert. Vielmehr fragte ich mich, wie es sein kann, dass wir in den 2020er Jahren immer noch manuell gebären. Literally jede andere Technologie auf der Welt hat sich trotz Einschränkungen weiterentwickelt. Wie kann es also sein, dass es da noch keine neuere Methode gibt und Gebärende immer noch bei einer „natürlichen Geburt“ unter massiven Schmerzen selbst pressen müssen? Stundenlang in den Wehen liegen, um dem Kind kein Trauma zuzufügen, während man selbst eines erleidet? Vagina- und Arschlochrisse in Kauf nehmen, nur, damit man hinterher damit angeben kann, „natürlich“ geboren zu haben?
Elon Musk möchte die Population auf den Mars umsiedeln, aber er sorgt sich nicht darum, wie diese Population aus den Frauen herauskommt, und das ist unfassbar ignorant. Wenn Elon Musk eine Frau wäre, da bin ich sicher, gäbe es bereits artificial wombs, die kein Internet-Gag sind.
Der Wissenschaftler Hashem Al-Ghaili publizierte Ende 2022 ein YouTube-Video über eine Welt, in der manuelles Gebären nicht mehr zwingend nötig ist. „Wir präsentieren: ‚Ectolife‘. Die weltweit erste Fabrikanlage mit künstlichen Gebärmüttern, vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben“, hört man dabei ein Roboterstimmen-Voice-Over, während die Kamera durch die Fabrikhallen der Babyproduktion führt. Dort reiht sich Embryo-Kapsel an Embryo-Kapsel, alle vollausgelastet und befüllt mit glücklichen, weißen Babys, die mit allen benötigten Nährstoffen versorgt werden wie Fans im Fußball-Stadion. Die Gesundheit des Kindes kann dank zahlreicher Sensoren sekündlich überwacht werden, auch „genetische Abweichungen“ seien so leichter zu erkennen. Gedacht ist die Embryo-Kapsel übrigens für Paare, die auf natürlichem Weg keinen eigenen Nachwuchs produzieren können. Die „artificial womb facility“ sollte laut Al-Ghaili aber auch in Ländern zum Einsatz kommen, in denen die Geburtenrate (zu) niedrig ist – wie zum Beispiel in Japan, Bulgarien und Südkorea.

 

 

Und genau an dieser Stelle merkt man, dass hier ein Mann am Werk war. Denn die Kapseln stehen nicht allen Menstruierenden zur Verfügung, sondern sie sind strikt für eingeschränkt reproduktionsfähige Frauen reserviert oder werden für politische Zwecke instrumentalisiert. Das Wohl aller Gebärenden steht nicht im Fokus. Stattdessen werden ableistische Werte transportiert. Und das bei 2,6 Millionen Aufrufen auf YouTube.
Artifical wombs – für mich als Elon Musk klingt das prinzipiell großartig. Aber nur, wenn sie hinterher allen Menstruierenden zur Verfügung stehen. Statt mich zu übergeben, könnte ich mich während der neunmonatigen „Grow-Zeit“ auf andere Dinge konzentrieren. Zum Beispiel auf meine Freundschaften, eine schöne Inneneinrichtung, Reisen oder den Ruin großer Technologieplattformen.
Ich frage ChatGPT, ob es grundsätzlich möglich ist, Schwangerschaften und Geburten auszulagern. Das Programm warnt mich. „Die Idee von Gebärboxen, die die Schwangerschaft und Geburt auslagern, mag auf den ersten Blick faszinierend und futuristisch erscheinen, allerdings gibt es viele komplexe ethische, medizinische und soziale Aspekte, die bei der Realisierung einer solchen Technologie berücksichtigt werden müssen.“ Huch, welche denn? Ich als Elon Musk kann das ja bestimmt beurteilen, ob mich das in der Praxis tangiert. ChatGPT gibt mir fünf Gründe, die gegen Gebärboxen sprechen. Etwa, dass Schwangerschaft und Geburt nicht nur biologische Prozesse seien, sondern auch tief in der menschlichen Erfahrung und Kultur verwurzelt seien.

Ich bin keine Historikerin, aber haben wir nicht schon andere, zutiefst menschliche Erfahrungen überwunden? Zum Beispiel das Leben in Höhlen, oder die Pest in Europa? Der zweite Grund, den ChatGPT nennt, ist, dass eine Schwangerschaft verschiedene Gesundheitsrisiken und Komplikationen berge, die von Frau zu Frau unterschiedlich sein können. Ja, sag ich doch! Die Gefahren, die mit einer Schwangerschaft einhergehen, könnten mit artifical wombs sogar besser beobachtet und umgangen werden. Grund drei, den mir das Programm nennt, bezieht sich auf die besondere menschliche Bindung und Entwicklung, die angeblich während der Schwangerschaft entsteht. Das können vermutlich alle Adoptiveltern entkräften, die ihr nicht leibliches Kind uneingeschränkt lieben. Und Grund vier erscheint mir besonders unschlüssig: Die Einführung von Gebärboxen könne erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Verständnis von Elternschaft, Familie und Geschlechterrollen haben. Ja, der Feminismus könnte auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Verständnis von Elternschaft, Familie und Geschlechterrollen haben. Wo liegt das Problem? Nur ein Kritikpunkt ist meiner Meinung nach gerechtfertigt: Schwangerschaft und Geburt sind komplexe biologische Vorgänge, die weit über die bloße mechanische Bereitstellung einer physischen Umgebung hinausgehen. Deshalb gibt es bislang auch keine artifical wombs. Weil es kein Forschungsinstitut auf der Welt gibt, das ausreichend Mittel besitzt, um sich dieser komplexen medizinischen Herausforderung zu stellen.
Aber ganz ehrlich: Ist das wirklich komplizierter als die Besiedlung des Mars?
Wenn ich Elon Musk wäre, würde ich mein Geld in die Erforschung von artifical wombs stecken, sodass niemand jemals wieder bei der Geburt sterben müsste.
Tatsächlich gibt es sogar ein Projekt mit ähnlichem Fokus, das bereits heute finanziell unterstützt werden könnte. Es heißt „Juno Operational Healthcare“. Noch nie gehört? Na ja, Elon Musk ist kein Investor in diesem Fall. Deshalb kennt das Projekt aus den Niederlanden, das mit knapp drei Millionen Euro von der EU gefördert wurde, auch nur eine kleine Nischengruppe. Dabei leisten die Forschenden der Technischen Universität Eindhoven Unglaubliches für Frühgeborene. Jedes Jahr werden weltweit 800 000 Babys extrem früh, noch vor der 28. Woche, geboren. Diese Säuglinge werden normalerweise auf eine besondere Intensivstation für Neugeborene verlegt, um die Herz- und Lungenentwicklung zu unterstützen. Der Kontakt mit der Luft führt jedoch unweigerlich zu Komplikationen, da die Lungen noch nicht vollständig entwickelt sind. Das Juno-Team forscht deshalb an einer neuartigen, alternativen Umgebung, die dem Mutterleib ähnlich ist. Sehr früh geborene Babys könnten so direkt vom Geburtskanal in eine Art artificial womb gebracht werden, wobei die Lungen weiterhin mit Flüssigkeit gefüllt bleiben und die Nabelschnur an einer künstlichen Plazenta befestigt werden würde, um die Organentwicklung zu verbessern und den Übergang zum Neugeborenenleben zu erleichtern. Neben der dafür notwendigen Hardware gibt es auch Software, die hierbei eine wichtige Rolle spielt: Sensoren überwachen die Entwicklung des Frühgeborenen im „Incubator 2.0“. Die Forscher nutzen auch die Technologie der digitalen „twin technology“. Mathematische Modelle auf Basis von gemessenen und verfügbaren Daten sowie künstliche Intelligenz ahmen dabei das Neugeborene nach. Das wiederum ermöglicht es den Forschenden, Ärzte bei Entscheidungen in der Neugeborenenversorgung zu beraten und zu unterstützen.