Als norbert conrad kaser - der Südtiroler Dichter schrieb seinen Namen immer mit Kleinbuchstaben - am 21. August 1978 in Bruneck starb, war nur einigen Freunden wirklich bewußt, daß mit dem 31jährigen die stärkste literarische Begabung Südtirols verstummt war, ein Autor, der Aufmerksamkeit auch weit über seine Heimat hinaus beanspruchen durfte. Als nach seinem Tod zwei Auswahlbände erschienen, wurde ihm diese Aufmerksamkeit dann auch zuteil: die beiden Bücher fanden die Zustimmung des Publikums wie der Literaturkritik im ganzen deutschen Sprachraum. Inzwischen erkennen selbst kasers einstige menschliche, literarische und politische Gegner seinen Rang an.
Zum 10. Todestag wurde 1988 mit einer Gesamtausgabe von kasers Werk begonnen. Dem ersten Band „Gedichte" folgt nun die Prosa. Ein Band mit Briefen wird den Abschluß bilden. Die Werkausgabe wird von Mitarbeitern des Innsbrucker Brennerarchivs betreut. Erika Wimmer-Webhofer schreibt in der Einführung zu kasers Prosa:
„Die in bezug auf kasers Lyrik häufig festgestellte Präzision und Konkretheit und das Erfassen des Wesentlichen in wenigen Bildern, trifft auf seine lyrische Prosa ebenfalls zu. Sie ist nie ausladend, sie ergeht sich nicht in komplizierte Erzählebenen. Wohl aber ermöglichen es bestimmte Formprinzipien der Prosa, das Beobachtete und konkret ins Auge Gefaßte seiner Umwelt - seien es Natur oder Leute, seien es gesellschaftliche Zustände - noch konkreter zu formulieren, das heißt im Falle kasers meistens: noch schonungsloser auf den Tisch zu legen. Ich denke in diesem Zusammenhang vor allem an den Stadtstiche-Zyklus, der ein Kernstück des Prosa-bandes darstellt." Und später heißt es:
„Charakteristisch für kasers Prosa ist, daß das Knappe und von der Konvention Abweichende auf der Ebene der Sprache nicht bedeutet, daß er nicht doch ein Geschichtenerzähler ist. In seiner Kurzprosa finden sich neben Märchen, Legenden und historischen Bildern immer wieder auch Reiseskizzen (z.B. Städteimpressionen) und Naturbeschreibungen."
Auch kasers polemische Texte und Zeitungsglossen, die sich auf ganz konkrete Anlässe und Zustände in seiner Umgebung beziehen, haben literarische Qualität und sind in den Band aufgenommen, den wieder ein Kommentarteil und ein Register abschließen.