„Der Mensch muss gepackt werden und mitfiebern können!“ – Videointerview mit Joe Fischler

Wir haben Joe Fischler zum Interview gebeten, wo er uns erzählt hat, was Innsbruck zur perfekten Krimikulisse macht, wie kritisch ein Kriminalroman sein muss und warum sich seine Veilchen-Krimis ideal verfilmen ließen.

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Hier findet ihr das Interview in Auszügen zum Nachlesen:

Mit welchen zwei Eigenschaften würdest du deine Veilchen-Romane beschreiben?

Außergewöhnlich, weil sie sich vielleicht ein bisschen von üblichen sogenannten Regionalkrimis unterscheiden und urbaner sind und mehr einen ernsthaften Hintergrund haben mit einem recht ausgefallenen Personal. Und vielleicht auch frisch, nachdem ich ganz frisch in dieses Krimi-Segment reingekommen bin, einen ganz neuen Ansatz dafür gehabt habe und neu auf dieses Metier habe zugehen können.

Hat Valeries Spürnase etwas mit ihrer schwierigen Vergangenheit zu tun?

Ich glaube, dass die Summe der Erfahrung, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht, sich sehr wohl auf das auswirkt, wie er sich dann bestimmten Herausforderungen stellt und wie er damit umgeht. Für Valerie ist natürlich die Backstory sehr wichtig, ihre Tochter, die sie so vermisst, weil sie sie nie kennengelernt hat, sorgt dafür, dass ihre Energie und ihre Leidenschaft dann in andere Kanäle gehen, zum Beispiel in diesen Sinn für Gerechtigkeit und die Verbrecherjagd und so weiter. Das ist am Anfang ganz bestimmend für sie, und im Laufe der Serie klärt sich dann ja auch vieles auf, das heißt, man kann am Beginn einer solchen Krimiserie manche Anker werfen und die dann im zweiten, dritten Band mal wieder ansprechen und das ist natürlich auch sehr praktisch, wenn die Backstory sich dann sogar mit aktuellen Ereignissen verknüpfen lässt. Mir ist es sehr wichtig, […] dass man nicht mit einer unbeschriebenen Figur losstartet, sondern dass man wirklich jemanden hat, der sein Päckchen zu tragen hat und im Laufe der Zeit etwas dazu bekommt, und wieder etwas loswird, und so für den Leser auch immer ein Anreiz da ist, an dieser Serie dranzubleiben.

Krimi und Politik – wie viel Wahrheit steckt in den Veilchen-Krimis?

Foto: Watzec Photografie

Ich glaube, dass die politische Seite meiner Krimis schon auch in diese starke Zeichnung der Situation mit hineinspielt. Das heißt, es sind sicher Situationen, die in dieser Summe und in dieser Fülle nicht unbedingt in der Realität vorkommen. Aber sie sollen schon so sein, dass man dieses Buch aufmacht und liest und sich dann denkt: „Ja, das habe ich mir schon einmal gedacht und das habe ich in der Zeitung gelesen und das in einem anderen Zusammenhang schon einmal mitbekommen.“ […] Ob es dann in dieser geballten Ladung im privaten Leben wirklich vorkommt, das muss man sich natürlich bei jedem Krimi fragen, da geht es dann auch um die Unterhaltung, da muss der Mensch einfach gepackt werden und mitfiebern können!

Wie kritisch soll ein unterhaltsamer Kriminalroman sein?

Das ist eine interessante Frage. Im Grunde glaube ich, ist es auch die Aufgabe von einem Kriminalroman oder von einem Krimi, wenn man so will von einem Tirol-Krimi, kritisch zu sein. Nicht mit erhobenen Zeigefinger, oder um dem Leser die Moral um die Ohren zu schlagen, sondern um anzusprechen, was für Themen die Leute beschäftigen und was im Land aktuell ist. Und ich denke, es gibt aktuell auch in Tirol viele Dinge, die man kritisch sehen kann. […] Auch wenn man als Leser im Ausland ist und nichts von Tirol weiß, sollte man doch ein Feeling dafür bekommen, was in Tirol passiert, wie sich die Leute dort fühlen, und was vielleicht die großen Verstrickungen sind zwischen Medien, Wirtschaft, Politik und so weiter. Ich möchte da niemandem zu nahe treten und das ist wirklich alles zufällig entstanden, und ich möchte wirklich niemanden persönlich angreifen in meinem Krimi, aber ich glaube, es ist wichtig, dass man auch kritische Töne mit hinein verpackt, um die Atmosphäre spüren zu können. Zwischen allem Humor soll es auch einmal irgendwo Ernsthaftigkeit geben.

Was macht Innsbruck und Tirol zur perfekten Krimi-Kulisse?

Ich glaube, dass Tirol und speziell Innsbruck sehr, sehr viel bietet, das einen spannenden Schauplatz ausmacht. Du hast die Urbanität auf der einen Seite, auf der anderen Seite kannst du wirklich sofort aufs Land hinaus, auf die Berge, die ja eigentlich selten jemand so vor der Haustür hat wie wir hier. Ich glaube, es ist ein irrsinnig spannender Schauplatz, weil du so viele verschiedene Facetten bringen kannst. Du kannst mal eher urban sein und sagen, es passiert viel in der Stadt und da geht es dann um Straßen und Lokalitäten und so weiter und du zeichnest ein Bild von Innsbruck, wie es ist. Auf der andren Seite kommst du auch voll in die Natur hinaus. […] In den wenigsten Regionen wird es der Fall sein, dass jeden Tag ein extremer Kriminalfall passiert. Gott sei Dank leben wir in einem sicheren Land. Innsbruck unterscheidet sich jedoch in keiner Weise von anderen Kriminalschauplätzen, was die Rechtfertigung betrifft, ob was passieren kann oder nicht. Überall kann was passieren und irgendwo muss etwas passieren und Innsbruck ist einfach ein wahnsinnig toller Schauplatz, der sich übrigens auch super für eine Verfilmung eignen würde.

Talent oder Fleiß? Kann man das Schreibhandwerk lernen?

Also ohne Fleiß kein Preis. Du kommst ohne Fleiß nirgendwo hin, ich war immer der Vertreter der Theorie, dass harte Arbeit einen schon irgendwohin bringen kann, egal ob man jetzt talentiert ist oder nicht. Das nötige Talent ist natürlich essentiell, um irgendwohin zu kommen, beziehungsweise auch Spaß daran zu haben. Ich glaube, wenn man nicht für etwas talentiert ist und man merkt, man eckt ständig damit an oder man bringt einfach nichts weiter, dann wird man es auch irgendwann lassen. Aber ich glaube, es ist beides wichtig, der Einsatz ist wichtig und das Talent und natürlich eine Portion Glück, die dann am Schluss das letzte Sahnetopping ausmacht.

 

 

Valerie „Veilchen“ Mauser ist schockiert: Ihr Kollege und Seelenverwandter Manfred Stolwerk schaut begeistert die „Bauerlorette“, eine Live-Kuppelshow, in der fünf Bauern um eine Frau und eine Million Euro Preisgeld kämpfen. Als zwei der Kandidaten kurz hintereinander unter mysteriösen Umständen ein tragisches Ende finden, wird Valerie wider Willen in das alpine Fernsehspektakel hineingezogen. Hinter den Kulissen von Glanz und Glamour der Live-Sendung entdeckt sie eine so oberflächliche wie morbide Welt. Nicht einmal zwei Todesfälle können die Produzenten von ihrem kruden Sendungskonzept abbringen: The Show must go on!

Ein Krimi wie ein Pulverfass – Gastbeitrag von Matthias Wittekindt & Rainer Wittkamp

Der neue Kriminalroman „Mord im Balkanexpress“ von Matthias Wittekindt und Rainer Wittkamp nimmt uns mit auf eine Reise durch die prachtvolle und spannungsgeladene Welt des Fin de Siècle zwischen Berlin, Wien und Belgrad. In ihrem Gastbeitrag geben die Autoren Einblicke in das Leben der ProtagonistInnen Prinz Albrecht von Schwarzburg-Rudolstadt und Christine Mayberger, die in einer explosiven Zeit leben …

Eine Reise in eine vergangene Zeit

Das Zeitalter der Dynamitarden

1895. Noch knapp zwanzig Jahre bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs.
Noch knapp fünfundzwanzig Jahre bis zur Entmachtung der großen Herrscherhäuser Europas.
Ist von diesen kommenden Umwälzungen schon etwas zu spüren? Gab es so etwas wie ein Vorbeben? Vielleicht sogar mehrere?
Auf den ersten Blick zeigt sich die Welt der Habsburger und Hohenzollern im Fin de Siècle noch recht erbaulich. Wien ist die Hauptstadt eines Weltreichs. Zu dem Zeitpunkt, an dem unsere Geschichte dort beginnt, feiert man gerade die Einsetzung des neuen Burgtheaterintendanten.

Auch die beiden Hauptfiguren dieses Abenteuers gehören einer Schicht an, die man heute als High Society bezeichnen würde. Albrecht Prinz von Schwarzburg-Rudolstadt genießt als Cousin des deutschen Kaisers etliche Privilegien. Zwar arbeitet er für den gerade erst installierten preußischen Geheimdienst, doch genauso wichtig sind für ihn seine diversen gesellschaftlichen Verpflichtungen.
Albrechts Geliebte, Christine Mayberger, kann auf keinen derartigen Stammbaum verweisen. Ihr Vater, ein Gründerzeitfabrikant, musste vor einigen Jahren Bankrott anmelden. So war sie auf ihr Talent angewiesen, um nach oben zu kommen.
Inzwischen ist Christine Mayberger ein gefeierter Star, nicht nur am Wiener Burgtheater. Sie kommt herum, pendelt zwischen den Welten, hört mehr als andere.
Aber in Christine Mayberger schwelt ein Zorn. Ein Zorn, der sich für eine Dame der Belle Époque eigentlich nicht gehört. Oder vielleicht doch?

Keine betuliche Zeit

Das Fin de Siècle war keine betuliche Zeit. Nicht nur die Entwicklung von Technik, Waffen und Massenvernichtungsmitteln machte sprunghafte Fortschritte, auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen begann sich zu verändern. Schauspielerinnen galten nicht mehr, wie noch wenige Jahre zuvor, als bessere Prostituierte.
Auch die Moderne in Psychologie, Kunst, Literatur, Musik und Architektur, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit aller Macht durchsetzen wird, errichtet in diesen Jahren die ersten Grundpfeiler.
Das alles steht im krassen Widerspruch zur zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft und einem überzogenen Nationalismus in Europa.

Was Albrecht und Christine eint, ist ihr Gespür, dass im Habsburgerreich nicht alles so kommod läuft, wie es sich der Oberschicht aus Adeligen, Militärs und Bankiers darstellt. Auf dem Balkan rumort es, in Serbien entstehen separatistische Bestrebungen.
Eine Welle terroristischer Anschläge rollt Ende des 19. Jahrhunderts über Europa hinweg. Die Erfindung des Dynamits verschafft nämlich nicht nur den Tunnelbauern, sondern auch politischen Umstürzlern ungeahnte Möglichkeiten. Das Sprengmittel ist eine gefürchtete Waffe. Überall erheben sich die Dynamitarden gegen die Mächtigen.

Showdown im Zug

Es formieren sich Zellen von … Wie soll man sie nennen? Anarchisten? Freiheitskämpfer? Nationalistische Separatisten? Oder gar Terroristen? Diese Männer und Frauen setzen sich mit Leib und Seele für ihre Sache ein. Notfalls binden sie sich die Sprengstoffgürtel um den eigenen Leib. Tausende von Bombenattentaten werden verübt. Später wird man die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts als das Jahrzehnt der Dynamitarden bezeichnen.
Was diese Gruppierungen eint, ist der Mangel an Geld. Und so lassen sich manche auf einen Pakt mit dem Teufel ein. Das Geld kommt dann aus Kreisen, die alles andere im Sinn haben als eine Befreiung der Arbeiterklasse oder eine Welt ohne Herrschaft und Unterdrückung.

Unter Spannung

Die Weltmacht Österreich-Ungarn steht also unter großen sozialen und politischen Spannungen. Da spielt das noch nicht lange geeinte Deutsche Reich ebenso eine Rolle wie das zaristische Russland und das – noch – um Ausgleich bemühte Großbritannien. Auch die Türken verfolgen ihre Interessen auf dem Balkan, den sie zu ihrem Herrschaftsgebiet rechnen.

Was für ein Kontrast: Auf der einen Seite das Flair der Belle Époque, eine prickelnde Liaison zwischen Albrecht und Christine, Prunk und Glorie einer Monarchie … auf der anderen Seite die Schilderung der ärmlichen Verhältnisse, in denen die Anarchisten leben.
„Ein Pulverfass“, dieser Begriff wird später für den Zustand gewählt in dem sich Europa damals befand.
Diplomatische Virtuosen wie Bismarck haben das schlingernde Schiff längst verlassen, das Militär avanciert mehr und mehr zum politischen Ratgeber.
Dass sich ein Sturm ankündigt, wird verdrängt. Rauschende Bälle werden gefeiert, Militärs und Fabrikanten in den Adelsstand erhoben. Noch scheinen alle Großmächte abzuwarten.

Das ist das Tableau auf dem sich unsere Geschichte entwickelt. Christine Mayberger und Albrecht Prinz von Schwarzburg-Rudolstadt werden in Ereignisse hineingerissen, deren Tragweite sie Anfangs noch gar nicht überblicken. Die Entscheidung fällt schließlich in Belgrad.
1895 kommt es noch nicht zu der großen Katastrophe, die dann ganz Europa in einen Abgrund reißt. Das heute so gerne glorifizierte Fin de Siècle hat also noch ein paar ereignisvolle Jahre vor sich. Aber die Herrscherhäuser, Diplomaten und Führer der Großmächte agieren zunehmend mit einer Ungeschicklichkeit und Arroganz, die Historiker noch heute verblüfft.

Die Geschichte ist mit diesem Buch also noch längst nicht zu Ende erzählt.

Eine Welle terroristischer Anschläge rollt Ende des 19. Jahrhunderts über Europa hinweg. Die Erfindung des Dynamits verschafft nämlich nicht nur den Tunnelbauern, sondern auch politischen Umstürzlern ungeahnte Möglichkeiten. Das Sprengmittel ist eine gefürchtete Waffe. Überall erheben sich die Dynamitarden gegen die Mächtigen.

 

 

 

Kommt mit auf eine furiose Reise in die Zeit der Jahrhundertwende und lasst euch von Matthias Wittekindt & Rainer Wittkamp in ihrem neuen Kriminalroman „Mord im Balkanexpress” in eine spannende Epoche entführen – zwischen Glanz und Elend, Monarchen und Anarchisten, Militärs und Geheimbünden!

Der europäische Traum … Eine Illusion? Ein Interview mit Autor Andrej Kurkow

In der letzten Nacht vor der Aufnahme Litauens in den Schengenraum beschließen drei Paare den Aufbruch in ein neues Leben: Ein Paar zieht es nach London, eines geht nach Paris, das dritte bleibt im Baltikum und versucht dort sein Glück mit einer originellen Geschäftsidee. Ob glänzende Metropole oder osteuropäische Provinz – die jungen Menschen möchten den europäischen Traum von einer besseren Zukunft zum Leben erwecken. Vom Leben in Europa erwarten sie sich mehr als Reisefreiheit und Telefonieren ohne Roaming-Gebühren.

Aber kann Europa sein großes Versprechen von Freiheit und Miteinander tatsächlich einlösen? Und was ist dieser „europäische Traum“ eigentlich? Über diese und weitere Fragen sprechen wir mit Andrej Kurkow im Interview:

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Bitte erzählen Sie uns, worum es in Ihrem neuen Roman „Kartografie der Freiheit“ geht. In ein paar Sätzen:

In ein paar Sätzen ist es ganz schwierig über einen solchen großen Roman zu reden. Aber es geht um Europa und die Frage ist: Wie viel Europas gibt es in Europa? Ist jedes Land sein eigenes Europa oder nicht? Die Geschichten in dem Roman finden in Litauen, Frankreich und Großbritannien statt. Ist das ein Europa oder gibt es ein französisches Europa, englisches Europa und litauisches Europa? Und warum möchten die Leute aus dem einen Europa in ein anderes Europa reisen oder fliehen?

Warum verlassen die jungen Leute in Ihrem Roman ihr Heimatland Litauen?

Ja, die jungen Leute träumen gerne und zu träumen bedeutet eigentlich auch über eine andere Zukunft nachzudenken, als einen Zuhause erwartet. Man sucht irgendwo anders sein Glück. Und das ist ein großes Problem von Litauen, wo 30 % der Leute schon emigriert oder weggelaufen sind auf der Suche nach dem anderen Glück.

Glauben Sie, dass Osteuropäer und Westeuropäer denselben europäischen Traum träumen?

Ja, ich glaube, das Wort „Europa“ hat ganz viele Bedeutungen, zum Beispiel bedeutet in der Ukraine das Wort „Europa“ nicht „Europäische Union“ sondern „das zivilisierte Leben mit Regeln und ohne Korruption“. Für Osteuropäer aus baltischen Staaten ist Europa etwas Großes, wo es genug Raum für jeden Menschen gibt, weil ihre Länder klein sind. Wenn diese Leute ihre Länder verlassen, sind die Länder groß geworden, aber ohne Volk.

Sie haben 2012 begonnen diesen Roman zu schreiben, noch vor dem Kiewer Majdan?, noch vor dem Krieg in der Ostukraine. Haben die Proteste in Kiew und der Krieg in der Ukraine Ihren Roman verändert?

Ich wollte diesen Roman anders schreiben als meine vorigen Romane. Ich wollte in diesem Roman ernster sein. Eigentlich glaube ich, dass ich während der Ereignisse von Majdan und am Anfang des Krieges meinen Humor ein bisschen verloren hatte und selber ein bisschen ernster geworden war. Und dieser Roman ist ernster und vielleicht mit weniger Humor, aber mit viel mehr Philosophie und Geopolitik entstanden. Und auch gibt es – so kann man sagen – die Frage des Krieges in diesem Roman. Es geht um den 1. Weltkrieg und welche Rolle dieser Krieg für Europa heute spielt. Ist der 1. Weltkrieg zu Ende oder nicht?

Wie haben sich das Schreiben und die künstlerische Arbeit in der Ukraine seit dem Majdan verändert? Für Sie persönlich und für Ihre Schriftstellerkollegen in der Ukraine.

Ich glaube, viele von meinen Kollegen schreiben jetzt mehr Non-fiction, mehr Kommentare und Essays als Romane und die Literatur in der Ukraine ist seit 2013 stärker politisch engagiert. Ich bin jetzt auch Teil dieser Literatur und habe ebenfalls schon ein paar Bücher geschrieben, die sich von meinen früheren unterscheiden.

In Ihren Romanen begegnet man immer wieder Figuren, die ganze Länder und Kontinente durchwandern. Was macht für Sie diesen Reiz von Figuren aus, die immerzu auf Reisen sind, die eine Mission haben?

Reisen ist ein Beweis dafür, dass der Reisende lebendig ist, etwas sucht und lernen will. Meine Helden in diesem Roman reisen gerne und sie lernen ohne zu verstehen, dass sie das Leben lernen während ihrer Reise, nicht nur Länder und verschiedene Völker, sondern das Leben selbst.

Du interessierst dich besonders für Literatur aus der Ukraine?
Dann bist du bei uns an der richtigen Adresse! Neben Andrej Kurkow haben wir in Zusammenarbeit mit unseren Übersetzer*innen auch andere wundervolle ukrainische Stimmen ins Deutsche gezaubert: Natalka Sniadanko, Serhij Zhadan, Maria Matios, Oleksij Tschupa, Kateryna Babkina, Jurij Wynnytschuk und Oleksandr Irwanez erzählen in ihren Büchern von der Buntheit eines Landes, seiner Bewohner*innen von heute und damals, von seiner Geschichte und dem Hauch Zukunft und Widerstandsgeist, der die literarischen Werke immer umweht. Viel Spaß beim Entdecken!

 

 

Aus einem zutiefst menschlichen Blickwinkel zeichnet Andrej Kurkow die Schicksale dreier Paare – ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, ihr Festhalten am großen gemeinschaftlichen Freiheitsversprechen. Welche Rolle spielt die europäische Idee für die Identität der Menschen und Nationen? Waren wir uns unter dem Eindruck zweier Weltkriege näher, als heute unter dem gemeinsamen Dach der Europäischen Union? Sind wir wirklich ein Europa? Ein mutiger und aufrüttelnder Roman.

„Bevor wir verschwinden“ in fünf Songs

In seinem Debütroman „Bevor wir verschwinden“ erzählt der Autor, Onkologe und Palliativmediziner David Fuchs von einem Wiedersehen im Angesicht des Abschieds: Der angehende Arzt Ben trifft völlig unerwartet seine Jugendliebe Ambros wieder, der jedoch auf der Krebsstation als Patient behandelt wird. Erinnerungen werden wach, gemeinsame Vorlieben, gemeinsame Autofahrten, gemeinsame Abenteuer brechen sich Bahn und die Hymnen ihrer Jugend spülen längst vergangene Erlebnisse ins Gedächtnis. Nicht nur im Roman, sondern auch im Leben von David Fuchs spielt Musik eine wichtige Rolle: Welcher Song den Autor schon seit dem Studium begleitet und welcher am Anfang der Beziehung von Ben und Ambros steht, erfahrt ihr hier – zusammengestellt von David Fuchs:

The Shins – Caring is Creepy

Die Shins habe ich, wie wahrscheinlich die meisten, mit dem Soundtrack von „Garden State“ entdeckt. Der Song kommt nicht im Roman vor, allerdings war die Band für mich in der Zeit als Student, in der ich etwa so alt war wie Ben im Roman, für mich sehr wichtig und jetzt wertvoll, um mich in dieses Studentengefühl zurückzuversetzen. „Caring is creepy“ ist einer meiner Lieblingssongs von den Shins und hier in einer schönen Solovariante vom Sänger James Mercer zu hören.

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Nirvana – The Man Who Sold The World (unplugged)

Zu diesem Song muss man nicht mehr viel sagen. Das Album haben natürlich in den Neunzigern alle rauf und runter gehört und es hat sich gut gehalten. Das Lied spielt auch im Roman an einer zentralen Stelle gegen Ende eine Rolle, hat mich aber die ganze Entstehung über begleitet, sowohl in der Nirvana-Version als auch im Original von David Bowie.

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Bush – Machinehead

Ein unheimlich schneller, aggressiver Song, einer meiner liebsten, seit ich ihn vor mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal gehört habe. Da war gerade das zweite Album „Razorblade Suitcase“ in den Charts und ich habe Bush entdeckt. Für mich war die Band so essentiell für die Neunziger, dass ich sie im Roman mehrfach eingebaut habe, und „Machinehead“ an zentraler Stelle, am Beginn von Ben und Ambros’ Beziehung.

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The Antlers – Two

Ein Arzt steht mit einem Mann am Krankenhausgang und erklärt ihm, dass seine Freundin sehr bald sterben wird. Mit diesem Moment beginnt „Two“ vom Album „Hospice“ der Antlers, bevor das Lied dann das ganze Spektrum der Emotionen auffächert, die danach kommen. Solche Momente kenne ich (wenn auch nicht vom Krankenhausgang) sehr gut, und „Two“ ist eine wunderschöne Interpretation, ein großartiger Song – einer der authentisch-emotionalsten, den ich kenne.

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The Fratellis – I’ve been blind

Der neueste Song in dieser Liste, und einfach mein Lieblingslied bei den letzten Überarbeitungen am Roman und beim Schreiben der ersten Texte für die nächsten Projekte.

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Wie sich die erste Begegnung zwischen Ben und Ambros zu „Machinehead” von Bush abgespielt hat, erfahrt ihr in „Bevor wir verschwinden” des FM4-Wortlaut-Gewinners David Fuchs. Der Roman ist eine Hommage an den Augenblick: berührend und lebensnah, mitunter auch zum Schmunzeln.

„Beeindruckend und auch sehr berührend – ein Kondensat von ein paar wirklich sehr starken kleinen Anekdoten und Bildern, die zu einer ganz großen Lebens- und Liebesgeschichte werden.“
Jurybegründung zum FM4-Wortlaut 2016

Laudatio für Ehrenglauser-Preisträgerin Edith Kneifl

Bei der diesjährigen Criminale wurde Edith Kneifl für ihr Engagement für die deutschsprachige Kriminalliteratur und ihr literarisches Schaffen mit dem Ehrenglauser gewürdigt. Bei der Preisverleihung am 5. Mai hielt Autorin Tatjana Kruse die Laudatio, in der sie unter anderem erzählt, wie Edith Kneifl von einer angehenden Sportjournalistin zu einer Autorin wurde, die trotz ihres Erfolges auf dem Boden geblieben ist und die Literaturwelt immer wieder aufs Neue bereichert. Und die möchten wir euch nicht vorenthalten!

Tatjana Kruse bei ihrer Laudatio zu Ehren
von Edith Kneifl.

No hype, just love and true dedication – Laudatio für Edith Kneifl – von Tatjana Kruse

Der diesjährige Ehrenglauser geht an Dr. Edith Kneifl. Ja, Doktor – soviel Zeit muss sein. Das wissen viele gar nicht. Weil man sich als Krimiautor ja immer nur selbst googelt und dann kommt lange nichts. Aber wenn man sie googeln täte, da würden einem die Augen übergehen. Weil nämlich der Teil ihres Lebens, der nicht in irgendeiner Weise jugendgefährdend ist, jede Menge Stoff für Hollywood-Filme bieten würde. Nein, ich übertreibe nicht.

Was war – und ist! – das für ein pralles Leben. „Um schreiben zu können, muss man erstmal leben“, sagte Ernest Hemingway. Edith Kneifl praktiziert das vor.

Sie wuchs in Oberösterreich auf und studierte ein Semester Publizistik, um Sportjournalistin zu werden, nahm aber „von diesem Berufswunsch Abstand, als sie merkte, dass sie mit dem schon damals lausigen Journalisten-Honorar nicht einmal ihren Zigarettenkonsum finanzieren konnte“ (O-Ton).

Ich habe extra nicht erwähnt, wie alt Edith ist, aber wir deduktiv geschulten Fachleute ahnen, dass das schon eine ganze Ecke her sein muss, wenn es damals noch kein Widerspruch war, zu rauchen und im österreichischen Tischtennis-Nationalteam (!) zu spielen.

Sie ging an die Uni Wien, wo sie in Psychologie und Ethnologie promovierte, und machte später eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin. Noch mehr Wien geht kaum.

Eine Zeit lang arbeitete sie damals in der „interministeriellen Arbeitsgruppe zur Behandlung frauenspezifischer Angelegenheiten“, was für uns Heutige ein bisschen gynäkologisch und nach PMS-Attacken klingt, aber ein politisches Engagement war.

Edith hat sich nämlich immer auch politisch engagiert, hat klar Stellung bezogen, damals für „Künstler für den Frieden“ und heute, wie ihre Freundin und Kollegin Doris Gercke hervorhebt, gegen Rechts.

Brava!

Edith Kneifl (li) und Tatjana Kruse (re)
nach der Preisverleihung.

Was wissen wir über Edith als Mensch? Sie ist immer schon gern gereist. Sehr oft nach Griechenland, was man an ihrer großzügigen Gastfreundschaft merkt. Die Reiselust hat sie auch in die USA geführt (in „Blutiger Sand“ rechnet sie mit dem American Way of Life ab), und wer sie kennt, sagt Doris Gercke, weiß um ihre Sehnsucht nach dem Meer und ihre Liebe zu Triest: Man muss nur ihren melancholisch-schönen „Triestiner Morgen“ lesen, um zu spüren, wie groß diese Liebe ist. Und apropos Meer: Edith ist einmal mit KGB-Agenten im Pazifischen Ozean geschwommen – da hat man doch sofort das Bild von ihr als Ursula Andress vor Augen, wie sie aus den Fluten steigt, neben ihr Sean Connery, nur eben nicht als James Bond, sondern als Igor, der Schlächter von Wladiwostock –, aber das ist eine andere spannende Geschichte …

Und da sind wir auch schon bei Ediths schriftstellerischem Schaffen. Sie hat als junge Frau alles von Dashiell Hammett und Raymond Chandler gelesen, fing relativ früh mit dem Schreiben an und hat die Meister des Noir feministisch parodiert.

Wenn’s stimmt, wollte anfangs sogar der Frauenmörder Jack Unterweger einen Kurzkrimi von ihr verlegen. Das hat nicht geklappt – wer weiß, ob wir heute und hier sonst in dieser Konstellation so beisammen sitzen würden.

Göttinseidank trat schon bald der Haymon Verlag aus Innsbruck an sie heran, und Kollege Alfred Komarek, der Edith einen präzisen Intellekt attestiert, verbunden mit einer zutiefst Wienerischen Weltsicht, was er beides sehr an ihr schätzt, riet ihr, das Angebot anzunehmen. Haymon ist sie bis heute treu geblieben. In einer Zeit, in der Autoren mit ihren Serien des Öfteren Verlags-Hopping betreiben, ist ihre Loyalität ein seltenes Gut. Was auch Verleger Markus Hatzer zu schätzen weiß, der besonders ihre Empathie für die Menschen und ihre Probleme in der Gesellschaft hervorhebt. Oder wie Janwillem van de Wetering es formulierte: „Gute Kriminalschriftsteller sind die Psychoanalytiker der menschlichen Schattenseiten“. Und genau das ist Edith, eine exzellente Detektivin der Seele. Ihre Figuren – Katharina Kafka, Gustav von Karoly, Joe Bellini, Lisa Maurer – sind echt, bis hin zu den Nebenfiguren. Und ihre Schreibe ist einzigartig – da gibt es dann auch schonmal achtzehn Seiten Monolog. „Abseits gängiger Erwartungen“ hat das Börsenblatt die Entscheidung der Jury tituliert, den Ehrenglauser an Edith zu verleihen, und meinte damit, dass sie eine Autorin ist, die ihren Weg jenseits der Erwartungen des Mainstream geht. Eine Autorin, die es nicht mag, schubladisiert zu werden – Frauenkrimis, Wienkrimis, Thriller – und die keine endlosen Serien mag: nach drei bis fünf Büchern langweilt sie sich mit ihrer Personage und bricht zu neuen Ufern auf.

Edith Kneifl hört gerührt bei der
Laudatio zu.

Sich so bewusst abseits gängiger Vorstellungen, wie das Genre zu sein habe, zu bewegen, ist auch ein Zeichen von Mut und Charakterstärke.

Es gibt in unserer Branche ja die gehypten Stars, die in aller Munde sind und medienwirksam auf der Welle ihres Erfolgs surfen, mehr oder weniger lange, aber daneben gibt es eben auch die stillen Stars, die immer da sind, immer auch draußen in den Wellen, nur halt nicht so mittendrin in der medialen Wahrnehmung. Und da übersieht man leicht, was diese stillen Stars Unglaubliches geleistet haben. Edith beispielsweise ist gelungen, was in der über 30-jährigen Geschichte des Syndikats noch niemand gelang: Sie hat für „Zwischen zwei Nächten“ 1992 den Glauser für den besten deutschsprachigen Roman bekommen – „höchst verdient“, wie Felix Huby attestierte – und erhält jetzt den Ehrenglauser, nicht (oder nicht nur) für ihr Lebenswerk, das ist noch lange nicht beendet, sondern vor allem in Würdigung ihres Einsatzes für den deutschsprachigen Kriminalroman. Und das geht weit darüber hinaus, einfach nur exzellente Kriminalromane zu schreiben und es auszusitzen, bis man quasi altershalber den Ehrenglauser überreicht bekommt, wie es beim Literaturnobelpreis der Fall ist.

Kollege Jürgen ‚Ali‘ Alberts hat hervorgehoben, dass Edith die Türöffnerin aller österreichischen Kolleginnen und Kollegen war, die mittlerweile stark im Syndikat vertreten sind und die Criminale schon zweimal nach Österreich geholt haben, nach Wien und Graz. Edith hat u. a. tatkräftig mitgeholfen, Krimi-Events zu etablieren, hat Anthologien herausgegeben, in denen sie Kolleginnen und Kollegen eine Plattform zur Veröffentlichung bot, hat sich immer „mit lauter Stimme“, wie die Jury sagt, dafür eingesetzt, dass der Kriminalroman – der im Lande der Dichter und Denker jahrzehntelang nur heimlich gelesen wurde und der bis heute nicht wirklich als E-, sondern nur als U-Literatur gilt und es gerade mal so eben allmählich ins Feuilleton schafft –, dass also dieser Kriminalroman die ihm gebührende Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Öffentlichkeit bekommt. Und ihr jahrzehntelanges Engagement trägt nun Früchte.

Wir Altgedienten des Syndikats hätten ihn ja alle gern, den Ehrenglauser. Und ich glaube, als Jürgen Kehrer aus Münster (der zusammen mit Sabina Naber aus Österreich und Sunil Mann aus der Schweiz die Jury bildete) mit seiner sexy Stimme bei Edith anrief und ihr sagte, dass sie die diesjährige Ehrenglauserpreisträgerin ist, ging auch für sie ein Wunschtraum in Erfüllung. Da werden aber keine Wunder wahr, das passiert nicht einfach mit ein bisschen Glück und Feenstaub, da bekommt eine Krimischaffende, die sich konsequent über Jahre und Jahrzehnte hinweg für Kolleginnen und Kollegen und für den Kriminalroman als solchen eingesetzt hat, – ohne Hype, nur mit Liebe und Hingabe, das was sie verdient: Liebe Edith, das ist dein Ehrenglauser!

Edith Kneifl: Der Tod ist ein Wiener

 

 

Ein Krimi voller morbidem Wien-Charme von Glauser-Preisträgerin Edith Kneifl
Magdalenas, Elviras und Sofias Ermittlungen zwischen Otto-Wagner-Kirche, Wienerwald und Wilhelminenberg bringen die dunkle Seite der österreichischen Hauptstadt zum Vorschein. Inmitten der lieblichen Hügel des Wienerwaldes haben sich in der Vergangenheit grausige Szenen abgespielt. Und bald steht auch noch eine der Wiener Ermittlerinnen selbst unter Mordverdacht. Düstere Spannung und Frauenpower im neuen Wien-Krimi von Edith Kneifl!

Tatjana Kruse: Stick oder stirb

 

 

She did it again: Tatjana Kruse, die Königin der Krimödie, hat wieder zugeschlagen
„Kruse schießt die Pointen völlig ungeniert gleich salvenweise aus der Hüfte, und sie bricht lustvoll mit wirklich allen gängigen Klischees ihres Genres.“ So schön formuliert es Krimi-Kollege Ralf Kramp für den FOCUS – und trifft damit ins Schwarze. Die Königin der Krimödie kombiniert meisterinnenhaft rasante Krimihandlung mit Wortwitz und den schrulligsten Figuren der deutschsprachigen Krimilandschaft.

„Das Lachen wird den Leserinnen und Lesern vielleicht manchmal im Hals stecken bleiben.“ – Edith Kneifl im Interview

Ein neuer, brisanter Fall führt die Drei vom Naschmarkt in eine Jugendstilvilla am Rande des Wienerwalds. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie schon bald auf dunkle Abgründe der Vergangenheit Wiens. Edith Kneifl stellt das Trio in ihrem Buch „Der Tod ist ein Wiener“ vor den düsteren Hintergrund der österreichischen Medizingeschichte. Inwieweit die drei Ermittlerinnen trotzdem ihren Wiener Charme behalten und warum die Autorin die Psychiatrie am Steinhof in den Fokus nimmt – das verrät sie uns hier!

Die Drei vom Naschmarkt ermitteln in ihrem neuen Fall vor einem ernsteren Hintergrund als im ersten Band. Darf man trotzdem wieder mit einer kräftigen Portion Wiener Schmäh rechnen?

Humor kommt in all meinen Kriminalromanen nicht zu kurz. Allerdings handelt es sich in „Der Tod ist ein Wiener“ eher um schwarzen Humor. Das Lachen wird den Leserinnen und Lesern vielleicht manchmal im Hals stecken bleiben. Nicht zufällig habe ich mich für diesen Titel entschieden – ein abgewandeltes Zitat eines Songtexts von Topsy Küppers und Georg Kreisler: „Der Tod, das muss ein Wiener sein…“ Spezieller Wiener Schmäh ergibt sich durch die Freundschaft der drei Ermittlerinnen. In ihren Dialogen blitzt er immer wieder auf. Aber es ist kein lustiger Krimi, dazu ist mir das Hintergrund-Thema viel zu ernst.

Fussfessel

Auch die unmenschlichen Zustände, denen psychisch kranke Personen am „Steinhof“ lange ausgesetzt waren, rückt Edith Kneifl in ihrer Neuerscheinung ins Licht. (Symbolbild)

Dein neuer Kriminalroman spielt vor dem Hintergrund der Geschichte der Psychiatrie am Steinhof in Wien. Was hat dich daran interessiert? Wie bist du bei deiner Recherche vorgegangen?

Da ich über 25 Jahre lang psychisch kranke Menschen behandelt habe, liegt es nahe, dass ich mich auch mit der Geschichte der österreichischen Psychiatrie auseinandergesetzt habe. Das heutige Otto-Wagner Spital, umgangssprachlich immer noch „Steinhof“ genannt, kann sowohl mit einer glorreichen als auch mit einer grauenhaften Vergangenheit aufwarten. Außerdem habe ich während meiner psychoanalytischen Ausbildung kurz dort gearbeitet. Allerdings war das nach der großen Psychiatriereform, d.h., die Zustände, die ich in diesem Roman beschreibe, habe ich zum Glück nicht mehr selbst erlebt.

Wir wussten aber alle über die Verbrechen Bescheid, die in der Nazizeit am Steinhof begangen worden waren. Auch die unmenschlichen Bedingungen, unter denen psychisch Kranke bis in die 1970er Jahre in dieser Psychiatrischen Anstalt festgehalten wurden, waren kein großes Geheimnis.

Außerdem habe ich als junge Studentin in den 1970er Jahren mit großer Begeisterung den Kampf des berühmten italienischen Psychiaters Franco Basaglia und seiner Kollegen für eine demokratische Psychiatrie und die Freiheit der Patienten verfolgt. Ich bin damals mit zwei Freunden bei Nacht und Nebel nach Triest gefahren und bei den Aufsehen erregenden Demonstrationen gegen die katastrophalen Zustände in den italienischen „Irrenanstalten“ dabei gewesen. Die Schließung dieser menschenunwürdigen Anstalten und die Anfänge einer offenen Psychiatrie in Italien habe ich ebenfalls miterlebt.

Basiert die Geschichte der Patientin vom „Steinhof“ auf Tatsachen oder ist sie fiktiv?

Schätzt Wien als Kunsthauptstadt und fiktiven Tatort: Autorin Edith Kneifl. Foto: Kurt-Michael Westermann

Die Figur der Larissa Lepinska, einer psychiatrischen Patientin in meinem neuen Roman, ist selbstverständlich frei erfunden. Doch alles, was ich über psychische Erkrankungen und die Torturen weiß, denen Patienten früher in der Psychiatrie ausgesetzt waren, fließt natürlich in diese Kapitel über Larissas stationäre Aufenthalte am Steinhof mit ein.

Auch die österreichische Kunstgeschichte wird in dem zweiten Band zum Thema. Wie nahe steht dir Wien als „Kunsthauptstadt“?

Wien ist meiner Meinung nach ein schönes Museum – zumindest die Innenstadt. Da ich gerne Museen besuche, meine ich dies nicht einmal besonders kritisch. 2018 haben wir das 100. Todesjahr von Otto Wagner, des großen österreichischen Architekten der Moderne, dem Wien viele seiner schönsten Bauten zu verdanken hat. Auch der Todestag des großartigen Jugendstil-Künstlers Koloman Moser jährt sich heuer zum 100. Mal. Es wird einige spannende Ausstellung zum Themenjahr 2018: „Schönheit und Abgrund“ geben. Und ich freue mich schon auf viele Museumsbesuche. Denn Architektur und Bildende Kunst interessierten mich seit jeher ebenso sehr wie die Literatur. Deshalb geht es in meinem neuen Roman „Der Tod ist ein Wiener“ unter anderem auch um die Kunst der Jahrhundertwende und der Zwischenkriegszeit, um Egon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und immer wieder um Otto Wagner.

Außerdem sind meine wichtigsten Protagonistinnen, neben dem Ermittler-Trio, eine alte Wiener Kunsthändlerin namens Adele, die ein großes Erbe hinterlassen wird und ihre Freundin und Geliebte, die russische Malerin Larissa Lepinska, die in den 1970er Jahren in Wien lebte, an einer bipolaren Störung erkrankt und am Steinhof nicht nur vergewaltigt wurde, sondern auch zu Tode kam.

Eigentlich dreht sich in diesem Roman alles um Larissas Tochter Tanja, die gleich nach ihrer Geburt zur Adoption freigegeben wurde. Magdalena Musil und ihre Freundinnen sollen diese Frau nun nach 42 Jahren ausfindig machen, weil die Kunsthändlerin Adele der Tochter ihrer geliebten Freundin all ihre Besitztümer und vor allem ihre wertvolle Bildersammlung vermachen möchte. Adeles nächste Verwandte sind natürlich nicht begeistert von diesem Plan.

Gespenster der Vergangenheit beschäftigen Magdalena Musil bei ihren Recherchen mehr als ihr lieb ist. Das Wiedersehen mit ihrer ersten großen Liebe erleichtert ihr kurzfristig die Ermittlungen in diesem Sumpf aus längst verjährten Verbrechen, aus niemals verjährtem Mord und tödlicher Rache.

Magdalena, Elvira und Sofia sind ja nicht gerade Klischee-Detektivinnen. Was macht die drei so besonders?

Die Drei vom Naschmarkt haben zumindest eines gemeinsam: Sie sind sehr neugierig – eine wichtige Voraussetzung für Ermittlerinnen, denke ich. Ansonsten entsprechen sie tatsächlich nicht den üblichen Klischees, sind weder besonders tough noch sehr exzentrisch – was momentan im Krimigenre ja auch „in“ ist. Sie sind sozusagen ganz normale Frauen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften ausgestattet. Deshalb eignen sie sich vielleicht auch recht gut als Identifikationsfiguren.

Interessant finde ich immer, mit welcher meiner Protagonistinnen sich meine Leserinnen gerne identifizieren. Bereits nach dem Erscheinen meines ersten Romans mit den Drei vom Naschmarkt „Tot bist du mir lieber“, erlebte ich schon so manche Überraschung. Ich hätte zum Beispiel nie erwartet, dass sich eine tüchtige Geschäftsfrau in der romantischen, verträumten Sofia wiedererkennt. Ich fand es jedenfalls reizvoll, gleich drei sehr differenzierte Frauencharaktere zu erfinden und bin selbst gespannt, wie sie sich weiterentwickeln werden.

Trotzdem möchte ich zum Schluss noch ein paar Eigenheiten meiner sympathischen neuen Freundinnen hervorheben: Magdalena Musil, Zweiflerin und Grüblerin, hält sich selbst für eine Versagerin, trotz ihrer außerordentlichen Intelligenz und ihrer bemerkenswerten Courage. Sofia Schanda, „die Schöne“, entwickelt sich gerade von der unsicheren, braven Hausfrau und Mutter zu einer Karrierefrau und Femme fatale, was nicht ohne Abstürze vor sich geht. Elvira Smejkal, die handfeste, lebenslustige Kosmetikerin, Neo-Wienerin aus dem benachbarten Bratislava, bringt sich und ihre Freundinnen mit ihrer direkten, unverblümten Art und ihrem guten Herzen immer wieder in Schwierigkeiten.

Ich hoffe, meine Leserinnen und Leser werden meinen Ausflug in die düstere Vergangenheit Österreichs spannend finden und gleichzeitig genauso viel Spaß mit den Dreien vom Naschmarkt und ihren mörderischen und amourösen Abenteuern haben wie ich beim Schreiben.

Edith Kneifl: Der Tod ist ein Wiener.

 

 

 

Mit dem typischen Wiener Charme begegnen die Drei vom Naschmarkt ihrem neuesten Fall und sind dabei mit der dunklen Vergangenheit Wiens konfrontiert. Düstere Spannung und Frauenpower in Edith Kneifls „Der Tod ist ein Wiener“! – Hier geht’s zum Buch

100 Jahre danach: eine Auseinandersetzung mit dem Erbe des Ersten Weltkriegs – Bettina Balàka blickt vor allem auf die Frauen (Leseprobe)

Kaiser, Krieger, Heldinnen … 100 Jahre nach dem Ausrufen der Ersten Republik sind sie verschwunden, diese Figuren der Vergangenheit. Doch nicht ihre Geschichten: Präzise recherchiert und erzählerisch gewitzt erzählt Bettina Balàka über die Schicksale und Erlebnisse verschiedenster Menschen und Menschengruppen von 1918 bis heute. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die Entwicklung der Stellung der Frau. In ihren Essays wirft die Autorin einen Blick auf den immer noch lebendigen Habsburger-Mythos, die Tradition Europas als Schmelztiegel der Kulturen und darauf, wie wir uns an den Krieg erinnern.

Leseprobe aus Bettina Balàkas „Kaiser, Krieger, Heldinnen

Ein Bus steht in der Haltestelle. Doch er fährt nicht los. Die Minuten vergehen. Immer wieder versucht der Fahrer zu starten, doch der Motor bleibt tot. Unruhe macht sich breit unter den Passagieren. „Wie lange dauert das denn noch?“

Dann plötzlich sagt eine Frau: „Is des a Frau?“ Alle lugen nach vorne zum Führerstand und versuchen, über die Köpfe der anderen hinweg zu erkennen, wer sich dort abmüht. „Des is a Frau!“, sagt eine andere Frau zur ersten. „Wirklich?“, schalten sich weitere Fahrgäste ein. „Jössas na!“ „Na dann wundert mi nix.“

Die Fahrerin kämpft. Der Busmotor stottert, jammert und stirbt. Man schüttelt die Köpfe, raunt, spricht gerade so laut, dass es die Fahrerin hören muss, aber nicht laut genug, als dass man einem Einzelnen vorwerfen hätte können, er hätte etwas gesagt. Oder sie hätte etwas gesagt. Denn vor allem Frauen sind von der Aussichtslosigkeit der Fahrerinnenbemühungen überzeugt. Zumindest tun sie diese Überzeugung kund, während die Männer still beobachten.

Die Fahrerin steigt aus. Sie hat rote Flecken im Gesicht und ein bisserl verschwitzt scheint sie auch zu sein. Sie geht um den Bus herum und schaut irgendetwas nach. „Des wird nix mehr.“ „Also wenn ma so an Bus ned amal starten kann …“ Die Busfahrerin steigt wieder ein und versucht, halbwegs würdevoll eine Durchsage zu machen: „Bitte alle aussteigen. Aufgrund eines technischen Gebrechens kann die Fahrt leider nicht fortgesetzt werden.“

Die Bustüren öffnen sich, die Fahrgäste versammeln sich vor dem zusammengebrochenen Bus zum Meinungsaustausch. Die Fahrerin kommt dazu, sie ist mit ihren Nerven am Ende, hat sie gar Tränen in den Augen? Wahrscheinlich wird sie auch gleich zusammenbrechen. Sie versucht sich zu rechtfertigen: „Ich kann nichts machen! Es ist ein technisches Problem!“ Man tauscht wissende Blicke aus und strömt auseinander. „A Jammergschpü, des Ganze …“, ist noch zu hören.

Diese Szene spielte sich nicht 1916 ab, nicht 1956 und auch nicht 1976, sondern 1992 – dem ersten Jahr in der Geschichte der Wiener Verkehrsbetriebe, in dem Frauen als Busfahrerinnen eingesetzt wurden. Was undenkbar erscheint, kann sich erstaunlich schnell ändern. Heute wäre eine Szene wie die eben beschriebene undenkbar, vor einigen Jahrzehnten waren es Frauen als Busfahrerinnen.

Ich wünschte nun, ich könnte eine glorreiche Erinnerung vorweisen, etwa, dass ich damals schon (womöglich als eine von wenigen) genau durchschaute, was sich da abspielte. Oder dass ich gar in einem heroischen Akt der Zivilcourage der Fahrerin gegen das Mehrheitsknurren zu Hilfe gekommen wäre. Aber für ein solch geistesgegenwärtiges Handeln war ich damals, mit sechsundzwanzig, zu unsicher und unerfahren.

Allerdings bezog ich aus dem Vorfall einige wertvolle Erkenntnisse. Etwa: Die Sozialisation wirkt auf sehr heimtückische Weise. Denn obwohl ich mich – insbesondere im universitären Umfeld – seit Jahren geradezu im Zentrum feministischen Denkens und Forschens bewegte, und obwohl ich nicht eine Sekunde gezögert hätte, für die Ausübung jeden Berufes durch Frauen auf die Barrikaden zu gehen, trieb mein Gehirn für wenige Augenblicke ein unheimliches Spiel mit mir. Inmitten des raunzigen Aufruhrs hatte auch ich – plötzlich und sofort niedergekämpft – das Gefühl: Vielleicht ist es doch nicht so eine gute Idee, wenn Frauen Autobusse fahren.

Gewohnheit prägt. Man will auf der sicheren Eisschicht des eigenen vorbildlichen Denkens über sie hinwegschreiten, und bricht doch immer wieder ein. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich noch nie eine Busfahrerin gesehen. Ich hatte in meinen wenigen Jahren in Wien auch noch nie eine Straßenbahnfahrerin gesehen, obwohl diese offiziell seit 1970 zugelassen waren. Wohl operierten sie nur sehr vereinzelt und sehr versteckt oder mittlerweile vielleicht gar nicht mehr.

Im Salzburger Biotop meiner frühen Kindheit, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, war selbst das Autofahren für Frauen ein nervenaufreibender Ausstieg aus der traulichen Normalität, in der der Mann die Familienkutsche lenkte. Nur wenige Mütter in meiner Bekanntschaft fuhren Auto (oder besaßen gar eines), und ehrlich gesagt fuhr ich auch lieber bei den Vätern mit. Sie waren gelassener und souveräner und schrien nicht zu den Kindern, die unangeschnallt auf der Rückbank herumkugelten, nach hinten: „Ihr müsst jetzt still sein, damit ich mich konzentrieren kann!“

Zuschreibungen wirken innerlich. Die Frauen, denen man immer wieder gesagt hatte, dass sie zum Autofahren zu nervös, zu emotional, zu hysterisch, zu sehr hormonellen Schwankungen unterworfen, zu wenig technisch versiert und nicht hinreichend mit räumlichem Orientierungsvermögen ausgestattet seien – wie sollten sie dabei souverän sein? Sie mussten nicht nur gegen die äußeren, sondern auch gegen innere, internalisierte Stimmen aufbegehren: Kann ich das wirklich? Was, wenn die anderen Recht haben und ich mich irre?

Auf der anderen Seite gab es für Auto fahrende Frauen eine spezielle Gratifikation. So manche berichtete, sie habe schon wieder „einen Mann überholt“. Im wörtlichen Sinne. Damit könnte man heute wohl kaum mehr Furore machen. Auch die Busfahrerin aus der eingangs geschilderten Szene sah sich einer selbsterfüllenden Prophezeiung ausgesetzt. Obwohl es fast jeder Fahrgast schon einmal erlebt hatte, dass ein Bus auf der Strecke blieb, und keiner je auf die Idee gekommen wäre, den männlichen Fahrer dafür persönlich verantwortlich zu machen, musste sie gegen den Generalverdacht auf weibliche Busfahrunfähigkeit ankämpfen. Sie zeigte Nerven, sie hatte Mühe, ihr Selbstbewusstsein zu bewahren. (Im Übrigen: Wäre es nicht sogar vorstellbar, dass sich spaßig aufgelegte Kollegen den Jux machten, der neuen Fahrerin zum Einstand einen nicht ganz fahrtüchtigen Bus zuzuweisen?)

Es ist wichtig, sich an diese Pionierinnen zu erinnern und ihnen zu danken. Nicht nur den Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen, den Ärztinnen und Politikerinnen, den Juristinnen und Journalistinnen, sondern jeder einzelnen Frau, die bei all dem vorauseilenden Misstrauen den Mut hatte, in eine „Männerdomäne“ zu gehen. Junge Frauen der Gegenwart sind häufig überzeugt, dass sie niemals Selbstzweifel gehabt oder sich irgendetwas gefallen hätten lassen. Wie mühevoll die Wege geebnet wurden, auf denen sie heute schreiten, ist ihnen oft schwer vorstellbar.

Österreichische Geschichte aus einer vollkommen neuen Perspektive: Bettina Balàkas Kaiser, Krieger, Heldinnen

 

 

Erhellend und unterhaltsam beschreibt Bettina Balàka einen Teil österreichischer Geschichte aus einer vollkommen neuen Perspektive! Mit Fokus auf die Frauengeschichte, den Habsburgermythos und Europa als Vielvölkerstaat trifft die Autorin auch den heutigen Zeitgeist und zeigt uns, wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinwirkt. Hier geht’s zum Buch!

Wenn Eltern die Psyche eines Kindes zermürben, bis es zur Eskalation kommt – Ein Gastbeitrag von Herbert Dutzler

In Herbert Dutzlers Kriminalroman „Am Ende bist du still“ erzählt er eine Geschichte mit höchst brisanter Thematik: Helikoptereltern, die ihren Kindern die Luft zum Atmen und den Raum zur freien Entfaltung nehmen. Im Roman kommt es zur schlimmsten aller Konsequenzen: ein Kind mit dem unstillbaren Wunsch nach Rache an seiner eigenen Mutter.

Durch seine jahrelange Erfahrung als Lehrer weiß Herbert Dutzler, wie sehr manche Eltern versuchen, ihre Kinder zu kontrollieren und zu perfektionieren und welche Auswirkungen das haben kann. Gerade dadurch schafft er es, die Atmosphäre im Elternhaus von Protagonistin Sabine beklemmend realistisch wirken zu lassen …

Ein Gastbeitrag

Eine Mutter, die man sich nicht wünscht

Schon als ich das erste Mal mit meinem Verleger, Markus Hatzer, über meinen Roman „Am Ende bist du still“ sprach, schüttelte er lachend den Kopf und meinte nur „Die Mutter!“ Und nachdem mehrere andere Testleser*innen das Manuskript gelesen hatten, wurde mir immer klarer, dass es nicht ausschließlich ein Roman über eine rachsüchtige Tochter, sondern vor allem auch über eine Mutter ist. Eine, die man sich nicht wünscht, ganz sicher nicht.

Das wirft natürlich die Frage auf, ob es solche Mütter überhaupt gibt oder ob der Charakter der Mutter – im Roman, glaube ich, kommt kein einziges Mal ihr Vorname vor – nur die literarische Verdichtung eines ganz bestimmten Typus ist und daher in dieser Ausformung in der Realität gar nicht existiert.

Eine Mutter, die sich nicht um ihr Kind kümmert, sondern eine einwandfrei funktionierende Kopie ihrer selbst auf den Weg ins Leben schicken will. Ein Kind, das nicht quietscht, knackt und schmutzt, sondern eines, das sich nur Drehbuchautor*innen gnadenlos kitschiger Fernsehserien vorstellen können. Ein Kind, das gerade gut genug dafür ist, einen Hintergrund für die Konsumwünsche der Mutter abzugeben – es macht schließlich unbändigen Spaß, ein kleines Mädchen ganz nach eigenen Vorstellungen zurichten und einkleiden zu können. Ob dieses Kind selbst auch etwas will – na, darüber könnte man zwar in stillen Stunden einmal nachdenken, will man aber nicht.

Ein Erfahrungsschatz von 2700 Müttergesprächen

Wenn Liebe zur Last wird: Viele Kinder fühlen sich durch die erdrückende Zuwendung ihrer Eltern in einen goldenen Käfig gesperrt.

Und was Mütter betrifft, brauche ich mein Licht als Experte mit jahrzehntelanger Erfahrung wirklich nicht unter den Scheffel stellen. Ich habe es überschlagen: In 35 Jahren Unterrichtstätigkeit habe ich schätzungsweise 3000 Gespräche mit Erziehungsberechtigten geführt. Und 90 Prozent davon waren, das scheint bei uns eine hartnäckige Tradition zu sein, Mütter. Also circa 2700 Müttergespräche.

Jetzt lassen wir einmal alle die Mütter beiseite, mit denen man sachliche Gespräche führen konnte, die man verstand und die einen verstanden, die ihre Kinder mit Geduld, Humor, Zuwendung und Gelassenheit erzogen, wie ich es für vernünftig halte. Solche, die ihr Kinder ernst nehmen, ihnen zuhören und wissen, dass es oft Zeit braucht, bis Krisen und Probleme überwunden werden. Die lassen wir jetzt beiseite, denn die sind, mit Verlaub, literarisch, nun ja, wie soll man es sagen, etwas uninteressant. Was soll man schon schreiben über eine Familie, in der mehr oder weniger alles funktioniert, ohne dass man sich gegenseitig an die Gurgel geht? Wie gesagt, im wirklichen Leben sehr schön, in der Literatur nicht zu gebrauchen.

Also erinnert man sich, nachdem der Plan gefasst worden ist, eine alles erstickende Mutterfigur in einem Roman auf- und abtreten zu lassen, an die – Gott sei Dank seltenen – Begegnungen mit Müttern, die man auch zu Hause gleich weitererzählt, weil man den Schrecken irgendwie loswerden muss. Die Gespräche mit hysterischen Furien ebenso wie tief besorgten, weinerlichen Frauen, die nicht nur ihren Kindern, sondern sogar hartgesottenen Lehrerveteranen bleibende Schuldgefühle zu implantieren vermögen.

Schlaflose Nächte und verunsicherte Kinder

Da war jene Mutter, die mir erklärt hat, die Rechtschreibschwäche der Tochter werde gezielt bekämpft, indem man täglich mehrere Stunden konzentriert übe. Das Mädchen war ein zerfahrenes Nervenbündel, das bei jedem Laut zusammenzuckte und keinen zusammenhängenden Satz mehr herausbrachte. Zumindest in Gegenwart der Mutter. Wahrscheinlich wäre auch ich selber nach einem solchen wochenlangen Übungsdrill zusammengebrochen und hätte nicht einmal mehr einfachste Wörter richtig schreiben können.

Und da war die, die mit tiefen Augenringen in die Sprechstunde kam, erklärte, sie könne selbst in den Nächten vor Schularbeiten nicht mehr schlafen und müsse, ebenso wie ihr Sohn, regelmäßig am Morgen vor der Schularbeit erbrechen. Wie wird sich das Kind gefühlt haben, dem jeden Morgen mit weinerlicher Stimme deutlich vorgeführt wurde, welch schwere Schuld es am elenden Zustand der Mutter trug?

Und da war jene aufgetakelte Mutter, deren Parfumwolke einem fast den Atem nahm. Nach dem Sprechtag stieß einen der Schulwart kumpelhaft in die Seite und erklärte, er wisse schon, warum man sich die Dame als letzte ins Klassenzimmer geholt habe, als keiner mehr draußen gewartet habe. Sie sei Geschäftsfrau, könne sich nicht ständig um das Kind kümmern, das im übrigen nicht der Sohn ihres jetzigen Lebensabschnittspartners sei. Sie habe Geld investiert, Nachhilfe bezahlt, biete alles, was sich ein Kind nur wünschen könne. Wie es möglich sei, dass ihr Sohn derart schlechte Leistungen erbringe. Ob das nicht, man überlege ja nur, an der Unfähigkeit der Lehrperson liege? Der Sohn, so erinnere ich mich, war ein Schatten, der in der Schule herumschlich, ohne Kontakt zu anderen Kindern aufnehmen zu können, der so wenig Distanzgefühl besaß, dass er an einen so nahe herantrat, bis er einen berührte, und der im Turnunterricht nicht einmal in der Lage war, einen Ball zu werfen, geschweige denn, zu fangen.

Drei Beispiele, aus denen man sich als Autor dann ein Schreckgespenst von einer Mutter zusammensetzt, das es glaubwürdig erscheinen lässt, dass sie von ihrer Tochter gehasst wird.

Autor Herbert Dutzler weiß durch seine Tätigkeit als Lehrer nur zu gut, wie viel Druck Eltern oftmals auf ihre Kinder ausüben. Foto: Haymon Verlag/ Fotowerk Aichner.

Schwarzmalerei?

Ist denn das zulässig, wird man fragen, ist denn das realistisch, darf man denn das, sich eine so abgrundtief unsympathische Figur ausdenken, sollte man nicht lieber auch die guten Seiten eines Charakters darstellen, anstatt einseitige Schwarzweißmalerei zu betreiben?

Die Arbeit an literarischen Charakteren ist aber immer eine Verdichtung eigener Lebenserfahrung.

Die fiktiven Charaktere werden aus Merkmalen konkreter zusammengesetzt, sodass sich im besten Fall eine stimmige, glaubwürdige Figur ergibt, die aber immer fiktiv, erfunden bleibt, weil sie in ihrer Ganzheit so nicht existiert. Aber existieren könnte.

Dazu kommt, dass ich bisher nur Romane aus personaler Erzählperspektive verfasst habe, das heißt, die Geschichten werden ausschließlich aus dem Blickwinkel einer einzigen Person erzählt, man folgt immer den Handlungen und Gedanken dieser einen Person. Und von dieser kann man jetzt natürlich nicht Objektivität und Distanz erwarten, diese Person steht den anderen Charakteren des Romans mit Gefühlen, manchmal sogar mit Vorurteilen behaftet, gegenüber.

Nicht autobiographisch

Fast immer steht, bei Gesprächen nach Lesungen zum Beispiel, die Frage im Raum, inwieweit Charaktere und Ereignisse in einem Roman autobiographisch sind. Natürlich war auch meine Mutter das eine Mal zu ängstlich, zu besorgt, ein anderes Mal zu dominant, ein wieder anderes Mal unbeherrscht und voller Zorn. An solche Einzelheiten, ich nenne sie einmal Gedankensplitter, erinnert man sich während des Schreibens, versucht die eine oder andere Situation, das eine oder andere Gefühl aus der Kindheit wachzurufen, um schließlich eine glaubwürdige Komposition eines Charakters abliefern zu können. Aber so ist eben literarisches Schreiben – als autobiographisch kann man es, denke ich, deshalb nicht bezeichnen.

Zum Ende möchte ich noch eine Bitte um Verzeihung anfügen, die ich auch schon in der Danksagung des Romans vorgebracht habe: Ich möchte mich bei der überwältigenden Mehrheit aller Mütter entschuldigen, denn die ist nicht so wie die Mutter in meinem Roman.

Und: Verschenken Sie das Buch nicht zum Muttertag. Unpassend!

Brandaktuell und nervenzerreißend spannend: „Am Ende bist du still“.

 

Sabine kann sie nicht mehr ertragen: ihre Mutter, die sie ständig überwacht und die ihr, schon seit sie ein kleines Mädchen war, vorschreibt, was sie zu tun, zu fühlen, zu denken hat. Und die auch ihre erwachsene Tochter nicht loslassen will. Bis Sabine nur noch einen einzigen Ausweg sieht: Sie muss sich befreien. Ihre Mutter muss sterben.

Verstörend nachvollziehbar und nervenzerreißend spannend erzählt Dutzler eine Geschichte, die tragischer nicht sein könnte. Ein einzigartiges Feuerwerk aus verstörender Spannung und dem unstillbaren Wunsch nach Vergeltung! Lasst euch mitreißen!

Mehr Infos zum Buch gibt es hier.

Sprengt den Parthenon!

 „Wir sind die verträumten Irren dieser Erde,

die mit dem entflammten Herzen, dem enthemmten Blick.

Wir sind die unerlösten Denker und die tragisch Liebenden.“

– Jorgos Makris, „Wir, die Wenigen“ (1950) 

 

Zerstörung als Kunst, Zerstörung als Befreiung. Was vielen von uns als größtmöglicher Akt der Barbarei erscheint, als Zivilisationsbruch schlechthin, das ist für Jorgos Makris eine Geste der Emanzipation: „Sprengt den Parthenon!” – so lautet sein ungeheuerlicher Aufruf am 18. November 1944.

In Tagen, in denen uns der blindwütige Bildersturm des „Islamischen Staates” erschüttert, liest sich sein Programm heute wie ein verdammenswerter Aufruf zum Terrorismus. Und doch lohnt sich die Auseinandersetzung mit seinem subversiven Werk, denn es berührt uns in den Grundfesten unserer Gesellschaft und lässt tief blicken. Christos Chryssopoulos nimmt in seinem neuen Roman das provokante Manifest des Künstlers auf und wagt ein ungeheuerliches Gedankenexperiment: Ein Buch wie pures Dynamit.

Hoch thront die Akropolis über Athen, der übergroße Schatten den sie wirft, erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Als Symbol für die Zivilisation schlechthin, als „Wiege der Demokratie” und als Ausgangspunkt europäischer Kultur verkörpert sie wie kaum ein anderes Monument ein gemeinsames Erbe, das sich tief in unser Selbstverständnis und unser kollektives Unterbewusstsein eingegraben hat. Eines das die nationale Identität determiniert, ein Monument, wie ein unüberwindbares Mahnmal, das an eine glorifizierte Vergangenheit erinnert. Die Akropolis als Über-ich einer Gesellschaft, als gigantische Vaterfigur, die an die eigene Unzulänglichkeit appelliert, ein unerbittlicher Patriarch, dem man nicht gerecht werden kann.

Jorgos Makris

Für den Surrealisten Makris stand das Emblem abendländischer Überlegenheit für einen lähmenden Kult: Der Parthenon lastet schwer auf den Schultern der (griechischen) Gesellschaft, die nicht aus seinem Schatten treten kann. Die Auslöschung aller antiken Denkmäler propagierte der streitbare Künstler jahrzehntelang in Pamphleten, Interventionen und Debatten. In Traktaten der „Bewegung der Verantwortungslosen“, wie sich Anfang der 1950er Jahre eine größere Gruppe von Intellektuellen und KünstlerInnen nannte, in der auch Jorges Makris Mitglied war, wird die Zerstörung von antiken Denkmälern als nihilistisch motivierter Akt erklärt, der das Ende des „lächerlichen und verlogenen Überlebensgetues“ und der Anziehung von stümperhaften „Amateurtouristen und Eunuchen“ zum Ziel habe.

Christos Chryssopoulos erlebt die schwierigen Verhältnisse in Griechenland hautnah und sieht es als Pflicht, in seinen Büchern Stellung zu beziehen. Der 1968 in Athen geborene Schriftsteller, Übersetzer und Fotograf studierte Wirtschaftswissenschaften und Psychologie. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. verlieh ihm die Französische Republik 2015 den Titel des Ritters der Wissenschaften und Künste. Christos Chryssopoulos ist Mitglied des Europäischen Kulturparlaments und schreibt regelmäßig für die nationale und internationale Presse. Seine Bücher werden weltweit übersetzt. Mit „Parthenon“ (2018) erscheint erstmals ein Werk von Christos Chryssopoulos in deutscher Sprache. Foto: Tom Langdon

Die freilich provokanten Thesen, die Makris mit revolutionärem Pathos vorbrachte, mögen verstören und gerade angesichts der fatalen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts – aus gutem Grund – indiskutabel scheinen. Und doch werfen sie Fragen auf, die auch vor dem Hintergrund der griechischen Wirtschaftshavarie und Identitätskrise aktueller sind denn je.

Was wäre, wenn die Akropolis eines Tages einfach nicht mehr da wäre? Würde aus den rauchenden Trümmern der Tempelanlage Neues entstehen? Nach dem Schock die Befreiung, das Aufatmen, die Erlösung?

Makris’ radikaler Gedanke ist der Ausgangspunkt für Christos Chryssopoulos’ Gedankenexperiment. Kann die Zerstörung des übermächtigen Monuments ein schöpferischer Akt der Befreiung sein? Kann man seine Vergangenheit auslöschen? Und was tritt an ihre Stelle?

Parthenon

„Parthenon” beginnt mit der vollendeten Tatsache. 60 Jahre nach Makris’ Manifest erwacht die Stadt und ihr Wahrzeichen liegt in Trümmern.  Ein junger unbescholtener Mann hat das jahrtausendealte Symbol zum Einsturz gebracht. Getrieben von der Sehnsucht, sich und die Griechen von der hemmenden Bürde ihres übermächtigen antiken Erbes zu befreien. In einer Zeit, in der sich die griechische Kultur auf eins reduziert hat, nämlich einen Haufen schmutziger Steine, physisch und moralisch verschmutzt von den Horden ungepflegter und ungebildeter Touristen, die keinen Unterschied zwischen einem römischen Tempel und einem griechischen Tempel sehen würden.

So ging der Protagonist Ch.K. den ganzen Weg bis ans Ende seiner Idee, die fest verankert ist mit seinem Gewissen, dass nur die Folgen der Handlung wichtig sind … Und die Reaktion der Behörden lässt nicht lange auf sich warten. Nach dem ersten Schock, geht man der sofortigen Aufklärung des Verbrechens nach, bis immer mehr Details ans Tageslicht kommen und der Täter schließlich entlarvt ist und seine gerechte Strafe erfährt.

Hier setzt die Auseinandersetzung mit der politischen Dimension von Kunst, der Frage der Performativität von Literatur und jene nach Identität ein: Was ist eine Stadt, eine Nation ohne Monument? Was bleibt, außer dem Gefühl von Schutzlosigkeit, wenn man dessen entledigt wird? Was ist die gerechte Strafe für eine so tiefschürfende Tat?

In der Art einer journalistischen Untersuchung, eingebettet mit Archivdokumenten und Zeugenaussagen, macht Christos Chryssopoulos die große Ambivalenz jeder nationalen Identität zum Thema. Es ist ein mutiger, sprachlich kraftvoller Roman über die Konstruktion einer Nation und die Poesie der Zerstörung, der – nun erstmals aus dem Neugriechischen übersetzt – dazu beiträgt, die Lücke der griechischen Gegenwartsliteratur zu erschließen.

Wir laden Sie ein, auf eine längst überfällige Reflexion über das Warum einer ewigen und systematischen Bewunderung für die Überreste einer scheinbar „glorreichen“ Vergangenheit und über den aufwendigen Versuch, die Geschichte frei von allen Übeln neu zu schreiben.

 

„Die Profanierung des Nicht-Profanierbaren

ist die politische Aufgabe der kommenden Generation.“

Giorgio Agamben, „Profanierung“

»Wozu sind wir fähig, wenn der dünne Lack der Zivilisation abblättert?« – Autorin Tanja Paar im Interview

Tanja Paar erzählt in „Die Unversehrten“ eine Geschichte von Unglück, Eifersucht und Rache, die sich in der kleinsten Zelle unserer Gesellschaft abspielt – der Familie. Sie legt mit ihrem Debüt ein intensives Buch vor, das Fragen aufwirft, die Frauen und Männer im modernen Leben gleichermaßen berühren.

Die Konstellation im Roman ist so fatal wie alltäglich: Zwei Frauen, ein Mann, ein Kind – das Kind stammt aus der vorigen Beziehung, die Mutter ist eifersüchtig auf die neue Freundin, der Vater kämpft um den Kontakt zu seinem Kind. Ist die Rollenverteilung so einfach?

Tanja Paar ist Journalistin, Moderatorin und Medientrainerin. Neben ihrem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Graz, Wien und Lausanne arbeitete sie freiberuflich beim FALTER und dem Nachrichtenmagazin Profil. Danach war sie zwölf Jahre Redakteurin der österreichischen Tageszeitung derStandard. 2011 wurde sie zur „Journalistin des Jahres“ gewählt, 2015 zur „Medienlöwin“. „Die Unversehrten“ ist ihr Debüt. Foto: Pamela Russmann

Die Rollenverteilung ist gar nicht einfach. Jede der Figuren gibt ihr Bestes, und doch geht es sich nicht aus mit der heilen Familie – leider. Mir war wichtig, einen emanzipierten Mann zu zeigen, der sich um sein Kind kümmern will. Als Vater funktioniert dieser Martin gut, als Liebhaber hervorragend, als Ehemann weniger bis gar nicht. Und die beiden Frauen liefern sich ein Match, bei dem nur eine – nein, das verrate ich jetzt nicht

Was sind das für Frauen, Violenta und Klara, was unterscheidet die beiden, was eint sie?

Violenta ist sehr strukturiert, karrierebewusst, intellektuell. Manche würden sie vielleicht sogar egoistisch nennen. Bei einem Mann sagt man dazu „zielstrebig“. Klara ist erdiger. Beide sind berufstätig, beide wollen ein selbstbestimmtes Leben führen, beide wollen ein Kind. Der einen passiert es, die andere plant es – und am Ende sitzen sie im selben Boot. Ausgerechnet mit Martin!

Die Themen in deinem Roman sind enorm zeitgemäß, es geht um Frauen zwischen Kind und Karriere, Männer und ihre Rechte in der Obsorge – was hat dich bewegt, darüber zu schreiben?

Rund jede zweite Ehe wird in Österreich geschieden, die Lebensgemeinschaften sind dabei nicht erfasst, geben aber ein ähnliches Bild ab. Die Leidtragenden sind nicht nur, aber besonders, die Kinder. Patchwork ist eine Normalität. Mich hat es interessiert, dieses Modell auf die Spitze zu treiben, quasi als eine Art Gedankenexperiment. Wozu sind wir fähig, wenn der dünne Lack der Zivilisation abblättert? Oder sich schlicht die Gelegenheit zur bösen Tat bietet?

Vor allem geht es in deinem Roman auch um Beziehungen: wie sie sich entwickeln, vom Verliebtsein über den Schmerz der Gewöhnung bis zum Beziehungsaus und was danach passiert. Kann man da tatsächlich Muster ausmachen, die in Beziehungen auftauchen, so unterschiedlich die jeweiligen Partner auch sind?

Ich mag Muster. Mich interessiert diese Geschichte strukturell: Wie können wir nach großem Leid – das kann Krankheit sein, oder ein arger Verlust – weitermachen, weiterleben? Weil im Grunde genommen bin ich Optimistin, auch wenn dieses Buch manchmal ganz schön böse ist.

Ist es ein lustiges oder ein trauriges Buch?

Die größte Herausforderung für mich ist es, das Lustige traurig und das Traurige lustig zu erzählen.

Du erzählst die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Violenta und Klara. Warum hast du diese Erzählform gewählt?

Mir geht es um das Spiel mit der Sympathie. Die Leserin bzw. der Leser können einmal mit der einen, einmal mit der anderen Figur mitfiebern. Wer von den beiden ist im Recht? Vio, die vorher da war? Oder Klara, mit der Martin ein Kind hat? Und gibt es das überhaupt, „Recht haben“ im Sinn von der einen, einzigen Wahrheit? Diese Frage möchte ich als Autorin nicht beantworten, sondern jedem selbst überlassen. Insofern ist es ein sehr offenes Buch, das viel Interpretationsspielraum lässt – hoffe ich jedenfalls. Nur eines ist sicher: Alle Figuren lügen.

Dein Stil ist geprägt von einer knappen, schlichten Sprache. Die Kapitel sind eher kurz und durch den Perspektivenwechsel von der einen Protagonistin zur anderen entsteht eine große Spannung, ein richtiger Sog. Da brodeln die Emotionen, ohne dass davon die Rede ist. Was passiert da?

Die Geschichte ist sehr verdichtet und auf das mir Wesentliche reduziert. Die raschen Szenenwechsel kennen wir aus dem Film. Es gibt kaum Beschreibungen der Umgebung oder der Städte, in denen die  Protagonistinnen agieren. Also quasi das Gegenteil von Knausgard. Mich hat interessiert: Wie sage ich es noch knapper und noch knapper? Zum Glück hat mich der Verlag gestoppt, sonst wäre aus dem Roman ein Haiku geworden.

 

Zwei Frauen, ein Mann, ein Kind – und die bittere Süße des Lebens: Dieses Romandebüt hat es in sich.

Es ist ein harter Text, sehr präzise, sehr eindringlich. Und, ja, am Ende schreckt die Geschichte mit ihrem Mut. Denn manchmal ist das, was sich in einem Menschen aufgrund seines Alters oder einfach seiner Lebensverhältnisse dort transformiert, wo er keinen Zugriff darauf hat, das Unheimlichste schlechthin. Jenseits von Gut und Böse.”
Martin Prinz

Hier geht’s zum Buch!