„Die Zukunftsgestaltung ist davon abhängig, wie wir die Vergangenheit interpretieren.“ Christoph W. Bauer im Videointerview

Es sind Niemandskinder ganz unterschiedlicher Art, denen Christoph W. Bauer in seinem Roman nachspürt – verdrängt aus der Ordnung der Welt, gebunden an eine fremde Vergangenheit, vergessen für eine lebenswerte Zukunft. Ein Reigen von Abwesenden, während im Hintergrund sich eine weitere Hauptfigur erhebt: ein Paris zwischen dem Glanz seines Zentrums und der Düsternis seiner Peripherie, gezeichnet von der Bedrohung des Terrors im Alltag.

Wie war es für dich, den Roman in Paris, einem so illustren Schauplatz der Weltliteratur, anzusiedeln?

Foto: Fotowerk Aichner

Im Wissen, dass es natürlich eine der in der Literatur am meisten besprochenen Städte ist, war das schon eine Herausforderung, gerade Paris als Hauptschauplatz zu nehmen. Aber es war natürlich auch ein Reiz, das zu machen, und ich habe mich da auch gar nicht so sehr orientiert an anderen, die ebenfalls Paris als Hauptschauplatz haben, sondern ich habe versucht, meine Sicht auf diese Stadt eben in diesen Roman einfließen zu lassen.

Hat sich die Stadt – und dein Bild von ihr – im Zuge deiner Reisen und Recherchen gewandelt?

Es hat sich komplett geändert eigentlich. Ich war ja seit 2015 meist dann fast monatlich unterwegs, immer ein paar Tage in Paris. Und dann hatte ich die Möglichkeit, 2019 zwei Monate am Stück dort zu leben. Und zwar wirklich mitten im Zentrum der Stadt, also fünf Minuten von Notre-Dame entfernt. Und da hat sich der Blick dann schon geändert, weil ich dann nicht mehr so sehr Gast war in einem Hotelzimmer, sondern ich hatte ein kleines Atelier, ich musste selbst einkaufen gehen. Und das hat sich dann verändert, und vor allem wurde mir – das ist mir schon in den letzten Jahren aufgefallen – bewusst, wie groß die Armut auch in der Stadt ist, also wie viele in Zelten übernachten oder in Schlafsäcken, mitten im Zentrum der Stadt. Und das ist mir in den früheren Jahren so sehr nicht aufgefallen.

Der zaudernde Protagonist, der sich zu keiner Haltung durchringen kann – Ist das ein unbesungener Held unserer Zeit, ein Symptom unserer Gesellschaft?

Ja, je nachdem, wie man ihn interpretiert natürlich. Er zaudert, er zaudert aber vor allem auch aus dem Grund, weil er sich gegen alle Zuschreibungen und Mutmaßungen und zu raschen Meinungen verwehrt. Das will er nicht. Ich weiß nicht, ob das typisch ist für diese Zeit, weil wir ja doch in einer Zeit der Meinungsmache leben und er will eigentlich aus dem ausscheren. Insofern wird es wahrscheinlich einige geben, die das auch machen. Und, der unbesungene Held, das gefällt mir eigentlich gut, ja.

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Spiegelt sich dieses Zögerlich-Tastende des Zauderers auch in der sprachlichen Gestaltung des Romans?

Das, glaube ich, spiegelt sich jetzt schon im Aufbau des Romans und in der Sprache des Romans wider. Da kommen ja mehrere Sprachebenen aufeinander. Aber das zeigt schon auch die Charakteristik der Figur und die Figur ist ja der Ich-Erzähler auch. Deswegen habe ich das schon versucht, im Aufbau, in der Struktur, in diesen Suchbewegungen, in diesem Sich-voran-Tasten, irgendwie wirklich auch manifest zu machen und die Figur dadurch eigentlich noch stärker zu verbildlichen; vor Augen zu führen, wie er da durch die Stadt geht und wie er von einem Archiv ins andere geht und so weiter.

Das Erforschen der eigenen Erinnerung ist ein treibender Motor in „Niemandskinder“. Kann der Blick in die Vergangenheit zur Gestaltung unserer Zukunft beitragen?

Davon gehe ich aus. Ich glaube, die Zukunftsgestaltung ist davon abhängig, wie wir die Vergangenheit interpretieren und was wir aus der Vergangenheit für Lehren ziehen. Ich weiß schon, da gibt es immer dieses „Man lernt nichts aus der Vergangenheit“. Aber ich glaube schon, dass uns das weiterhelfen kann im Miteinander und wie wir einfach miteinander umgehen. Also, ich kann ja nur von mir selbst sprechen, ich lerne aus einem Blick in die Vergangenheit für die Gegenwart etwas, aber auch für die Zukunft, für das Kommende.

Wer sind diese „Niemandskinder“, nach denen der Protagonist forscht?

In erster Linie – er ist ein Historiker – und in erster Linie forscht er nach – und zwar sind das Kinder, die während der Besatzungszeit aus Verbindungen hervorgegangen sind, also ob das jetzt französische Soldaten waren oder amerikanische – Ich habe mich hier auf die französischen konzentriert. Und diese Kinder sind ohne ihre Väter aufgewachsen. Oft wussten die Väter gar nicht, dass sie Väter sind. Ja, die wurden gleich an den nächsten Kriegsschauplatz weitertransferiert. In der Nachkriegsgesellschaft war das natürlich sehr schwierig für diese Kinder. Sie haben dunklere Hautfarbe gehabt mitunter. Und der Allgemeinbegriff hat sich dann durchgesetzt: Das sind „Niemandskinder“. Die Niemandskinder der anderen Art, die im Roman auch eine Rolle spielen, haben ja auch – es geht ja in diesem ganzen Roman um Kindheiten und um Verlust und um Sehnsucht, um Liebe auch – die haben ebenfalls ihre eigene Geschichte zu tragen, ihre eigene Kindheit zu tragen, und deswegen sind es Niemandskinder unterschiedlicher Art. Aber eigentlich habe ich den Begriff hergeleitet eben von den Kindern der Besatzungssoldaten, die man damals „Niemandskinder“ genannt hat.

Österreich scheint sich kaum an die Niemandskinder zu erinnern. Wie gestaltet sich die Aufbereitung ihrer Schicksale in Frankreich?

Eigentlich ist es in Frankreich ganz ähnlich. Also diese Besatzungs- oder Befreiungszeit, diese Jahre in Österreich, diese zehn, die haben überhaupt keine Spuren im Gedächtnis hinterlassen. Und mir ist das aufgefallen, oft, wenn ich dort auch gefragt habe, wenn ich recherchiert habe, dass mich wirklich manche erstaunt angeschaut und gesagt haben: „Und warum – Warum waren die in Tirol? Warum waren die in Vorarlberg?“ Und das ist auch bei uns so in Österreich. Und was die Niemandskinder angeht, hat man sich da eher immer konzentriert so auf Wien, auf die Kinder russischer Soldaten, auch auf die Kinder von GIs in Deutschland vor allem. Und die Kinder der französischen Soldaten, die sind irgendwie in Tirol ganz wenig thematisiert worden, mehr schon in Vorarlberg, wo die Truppen auch länger waren als in Innsbruck oder in Tirol.

 

Das Jahr 2015 ist wenige Tage alt, als Paris von einem Terroranschlag erschüttert wird, der die Seele der Stadt über Nacht verändert. Mittendrin ein junger Historiker, auf der Suche nach einer vergangenen Liebe. Es ist über zehn Jahre her, dass Samira und er getrennte Wege gegangen sind. Wohin er auch kommt, erfassen ihn Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Dabei ist es vordergründig eine andere Frau, der er auf der Spur ist – Marianne, Kind einer österreichischen Mutter und eines marokkanischen Vaters, seit bald vier Jahrzehnten vermisst. Eine Zeitungsmeldung mit ihrem Bild hat ihn elektrisiert: Ihr Gesicht ähnelt dem Samiras frappierend …

Zum Buch

Eine ergreifende Coming-of-Age-Story zwischen Schläfenlocken und Jeans (Leseprobe)

Ezra Kramer besucht eine konservative jüdische High School in Boston, sein Traum aber ist die Freiheit: eine Karriere als Fotograf in New York. Die Sehnsucht, aus der ultraorthodoxen Gemeinde auszubrechen, teilt er mit seinem besten Freund Carmi. Gemeinsam und doch jeder auf sich gestellt, wagen die beiden den entscheidenden Schritt in eine aufregend freie Welt.

„Eindringlich, intensiv und glaubwürdig zeichnet der Autor Ezras Aufbruch in die Freiheit … Ein großartiges Plädoyer für Selbstbestimmung und den Glauben an die eigene, künstlerische Kraft.“
Buchmedia

„von einer wohltuenden Frische“
La Repubblica, Susanna Nirenstein

Ezra Kramer besucht eine konservative jüdische High School in Boston, aber eigentlich träumt er von einer Karriere als Fotograf in New York. Dafür müsste er aus seiner ultraorthodoxen Gemeinde ausbrechen, die einen ganz anderen Weg für ihn vorsieht …

Leseprobe aus „Weitwinkel“

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Es krachte

und ich saß allein im Auto, blieb aber unverletzt, weil es in dieser Welt nicht die Unfälle sind, die Wunden zufügen, sondern die Menschen mit ihren Worten und dummen Ideen. Der Motor war durchgebrannt, aus der Stereoanlage kam weiterhin Musik, und das war ebenso unpassend wie zuvor meine Aktion, Vater das Auto zu stehlen und mich in die Nacht davonzumachen. Ich stieg nicht aus, holte keine Hilfe, klopfte nicht an die Tür des nächsten Hauses, sondern blieb einfach sitzen, was völlig unsinnig war, und hoffte wohl zu ersticken. Eine Frau aus der Nachbarschaft, die vom Geruch nach Verbranntem wach geworden war, rief die Rettung. Die Polizei kam, ein Abschleppwagen brachte das Auto weg.

Nach dem Unfall musste Vater ziemlich viel Geld lockermachen, um den Wagen zu reparieren, und Mutter machte ziemlich viel Tränen locker. Einige Wochen lang schaute sie mich mit gebrochenem Blick an, als ob ich wie der Motor von einem Moment auf den anderen in die Luft gehen könnte.

Ganz Brighton sprach darüber, vom Jungen, der um drei Uhr morgens das Auto des Vaters gestohlen und demoliert hatte. Judy Franzman von der koscheren Bäckerei sprach darüber, Binyomin Fischer mit seiner Frau, Mutter und Vater sprachen mit dem Rabbiner darüber.

Der Einzige, der nicht darüber sprach, war ich.

Der junge Turiner Simone Somekh lebt als Autor und Journalist in New York. Sein Debütroman „Weitwinkel“ wurde 2018 mit dem Premio Viareggio für das erste Werk und mit dem Premio Letterario ADEI-WIZO Adelina della Pergola ausgezeichnet. – Foto: Privat

EINS
Tante Suzie bot mir zu essen an

und ich lehnte ab. „Du rufst mich an und bittest um Hilfe, weigerst dich dann aber, von meinen Tellern zu essen?“, sagte sie sichtlich verärgert. Tante Suzie sah mit ihrer rabenschwarzen Mähne sicher meiner Mutter ähnlich, bevor sich diese den Kopf bedeckte und lange züchtige Kleider trug. Eine Frau, die selten lächelte, aber im Gegensatz zum ersten Eindruck, den man von ihr gewann, voller Lebenslust war.
Von meinen Tellern hatte sie gesagt, nicht von meinen Speisen. Darum ging es nämlich: nicht um die Speisen, die auf den Tellern serviert wurden, sondern um die Teller selbst. Tante Suzie hätte mir nie Hummer angeboten oder Bauchspeck oder andere verbotene Speisen, doch allein die Tatsache, dass auf den Tellern auch nur einmal eine solche gelegen haben mochte, machte diese unrein und unbrauchbar.
„Ich habe keinen Hunger“, log ich.
„Dann schau mir zu, während ich esse, denn ich bin hungrig, und zwar ziemlich.“
Sie begann zu kauen, und ich sah ihr wie verlangt dabei zu. Der Mensch kann wirklich abstoßend sein, wenn er isst, dachte ich.
Also wandte ich meinen Blick von ihrem Mund ab und betrachtete das Esszimmer. Es war klein, ein paar Bilder und Nippes schmückten den schlecht beleuchteten Raum.

Tante Suzie nahm ihre Befragung wieder auf: „Wann hältst du den Zeitpunkt für gekommen, mich über den Grund deines Anrufs aufzuklären, Ezra?“
„Jetzt“, sagte ich. Ich zog ein weißes Kuvert aus meinem schwarzen Rucksack hervor, in dem ich Kopien der Fotografien aufbewahrte, wegen derer ich von der High School verwiesen worden war. Tante Suzie betrachtete die Fotos, unschlüssig, wie sie darauf reagieren sollte.

Schließlich entschied sie sich für eine eigenartige Mischung aus verlegen, erschüttert und schelmisch, wobei sie in Wirklichkeit sicher nicht allzu überrascht war.
„Wer ist das?“
„Malka Portman“, antwortete ich, „die Schwester eines Schulkollegen, Moshe Portman. Sie ist schön, nicht wahr? Ihr Bruder prahlt immer damit, wie schön sie ist, also kam mir die Idee, sie in die Jungenetage zu schmuggeln, und dort habe ich sie dann in die Toilettenräume gebracht. Das sind meine besten Fotos, bisher.“
Tante Suzie sah ein Foto nach dem anderen an, und eines nach dem anderen drehte sie beim Weglegen so um, als hätte sie in jedem einzelnen die ganze Macht der Gesetzesübertretung wahrgenommen, und zwar nicht nur der Gesetze der Yeshiva High School.
„Mutter und Vater werden begeistert sein“, meinte sie ironisch.
„Nun, sie haben sie nicht gesehen. Aber sowohl Malka als auch ich wurden von der Schule verwiesen, und ich bin sehr glücklich darüber. Denn nun muss ich nicht mehr darum kämpfen, mich in einer anderen High School einschreiben zu dürfen.“

Durch das Objektiv seiner Kamera erlebt Ezra die Welt aus einer ganz neuen Perspektive.

Natürlich hatte ich den Verweis nicht geplant. Niemand durfte die Fotos sehen, auch wenn ich im Innersten davon überzeugt war, dass sie mir eines Tages nützlich sein würden, sollte ich ernsthaft Fotograf werden wollen. Frauen zu fotografieren war in meiner Gemeinschaft ein Tabu. Oft kamen die Schüler bis zum Abschluss der High School, ohne einem Mädchen in die Augen geblickt zu haben. Ich hatte in die Augen von Malka Portman geschaut, und ich hatte sie fotografiert.
Die Fotos waren wunderbar, tausendmal besser als jene, die ich zu den Hochzeiten und den Bar-Mizwas machte, wo die Fotografierten von einer geologischen Schicht Make-up überzogen waren und die Lichter so gedimmt, dass sogar die Falten der ältesten Frauen verschwanden.

Ezra Kramer hatte seit jeher Eltern und Lehrern Sorgen bereitet. Jetzt wird er den Eltern aller Mädchen der Gemeinde Sorgen bereiten; und er wird, so dachte ich, jetzt auch den Rabbinern Sorgen bereiten. Erstmals wurde mir die Tragweite dessen, was ich getan hatte, bewusst. Ich war stolz auf die Fotografien, aber die Folgen dieser Schnappschüsse, die Frau Portman gefunden hatte, als sie das Zimmer ihrer Tochter aufräumte, waren verhängnisvoll.

Judy Franzman würde mir nie wieder einen Keks anbieten, wann immer ich bei ihr auf einen Gruß im Geschäft vorbeischauen würde. Vater und Mutter würden mich vielleicht von zu Hause vertreiben. Vielleicht würde man mich für immer aus der Gemeinde ausschließen. Vielleicht hatte Ezra Kramer in der unbändigen Genialität eines fünfzehnjährigen Künstlers den Fehler seines Lebens begangen. Vielleicht wäre es besser gewesen, in jener Nacht im verqualmten Auto zu sterben.

Eine Geschichte über den Traum von Freiheit und eine außergewöhnliche Freundschaft: Simone Somekhs Roman „Weitwinkel”

 

 

Mit dem Premio Viareggio für das erste Werk bekam Simone Somekh 2018 für „Weitwinkel“ einen der prestigeträchtigsten Literaturpreise Italiens zugesprochen und darf in einer Reihe mit namhaften Vorgängern wie u. a. Roberto Saviano („Gomorrha“) genannt werden. Eindringlich zeichnet der junge Turiner Autor Ezras Aufbruch in die Freiheit, der auch bedeutet, familiäre Geborgenheit hinter sich zu lassen. Ein ebenso berührender wie lebensnaher Roman über Selbstermächtigung, Glaube in der modernen Welt und Kunst als Rebellion. – Hier geht’s zum Buch.

„Gegen den Biermösel aus dem Ausseerland ist der Hiob aus dem Walbauch das reinste Glückskind.“ – Manfred Rebhandl interviewt Manfred Rebhandl

Lange vergriffen und heiß ersehnt: Manfred Rebhandls Kultfigur Biermösel, seines Zeichens trostloser Ausseer Gendarm mit Verdauungs- und auch sonstigen Störungen, darf endlich wieder ermitteln! Grund genug, um Biermösel-Neulingen den Einstieg schmackhaft wie Marillenschnaps zu machen und langjährigen Fans Glückstränen in die vorfreudigen Augen zu treiben. Dazu führt Manfred Rebhandl – Schöpfer der bedauernswerten Ermittlerfigur und begnadeter Interviewer – höchsteigen in einem Gespräch mit sich selbst in die wunderbare Welt des Biermösel ein.

Herr Rebhandl. Der Biermösel …

Jaja, zwei wunderschöne Namen, die mit einem „L“ ausklingen …

Was ist los? Hat Sie die Melancholie ummantelt, die auch Ihren Helden umgibt?

Was heißt Melancholie? Beim Biermösel ist das keine Melancholie! Es ist das reine Unglück, eine einzige Nachtfahrt, ein Fest des misslungenen Lebens! Umsonst heißt es ja nicht über ihn: „Nur Bier, nie Möse!“ Und dann wird am Stammtisch wieder hinter vorgehaltener Hand oder sogar ganz unverhohlen über ihn gelacht, und nicht nur die toten Jäger lachen ihn aus, die ihn überreden wollen, doch mal ein Wildbret zu probieren anstatt des innigst geliebten Schweinsbratens von seiner Schwester Roswitha. Also was heißt Melancholie? Gegen den Biermösel aus dem Ausseerland ist der Hiob aus dem Walbauch das reinste Glückskind. Es ist ja kaum vorstellbar, was Gott mit ihm alles anstellt!

Gott waren in diesem Fall Sie.

Spielt gerne Gott: Manfred Rebhandl – Foto (c) Kurt-Michael Westermann

Ja, dieser Gott war in diesem Fall ich, kein gütiger Gott, weiß Gott nicht! Ich habe mir da Gott sei Dank wirklich einiges einfallen lassen, wenn ich den Biermösel nicht nur über die lange Gerade im Silbertannenwald jage, wo er in seinem Wetterfleck und auf seiner alten Triumph Fips immer unterwegs ist vom Gendarmerieposten in Aussee drüben zum „Gasthaus zum Auerhahn“ herüben, das auf halber Strecke nach Goisern liegt, sondern durch einen Reigen an düsteren, abartigen, Bier- und schnapsgetränkten Ereignissen.

Beispiele?

Du lieber Himmel, Dutzende! Wer erinnert sich nicht an seine Begegnung mit den Goldhaubenträgerinnen und Zimttörtchenscheißerinnen! Mit den Sir-Irisch-Moos-Trägern und Autoverkäufern! Mit den Jägern aus dem Jenseits und seinem Zuchteber Archie unten im Kanal! Mit dem Hasenscharten-Ulf …

… dem Glöckner im Kirchturm vom Pfarrer Hein …

… oder mit der gachblonden Discowirtin drüben in Goisern, die dort ihr Gastroimperium „Chez la Blonde“ betreibt samt Bauerntrotteldiscohütte „Blondi“, über die sich ihr Gast Claus Peymann während einer feurigen Gulaschsuppe so aufregt hat, weil sie „Eva Braun der Berge“, wie er sie ohne Grund nannte, nicht wusste, dass das Hundsvieh von der Drecksau Hitler auch so geheißen hat.

Die gachblonde Discowirtin ist Ihnen vielleicht von allen Figuren eine der liebsten?

Sie sagen es! Eine Frau, für die der Mick Jagger den Welthit „Angie“ geschrieben hat! Die den schwarzen Afghanen in ihrem Strumpfband stecken hat! Und die selbst einem Tunichtgut wie dem Kaltenböck Karl (aka Jackpot Charlie von der Ackerbau- und Viehzuchtbank) immer noch ein Achterl aufs Haus ausschenkt, wenn der Spielsüchtige auf seine Pferderennen drüben in Santa Anita wettet … Melancholischer als die gachblonde Discowirtin kann man nicht sein. Na gut, vielleicht, dass der Jackpot Charlie noch ein bisserl melancholischer ist …

Na und die Ivana?

Die platinblonde Ivana aus Russland drüben? Die vom Puffkaiser Schlevsky aus dem Deutschen Osten vom Tingeltangel in Strudelwasser an der Oder nach Aussee hinunter verschleppt wird und mit ihm oben im Flachdachneubau vom Stararchitekten Wollatz leben muss? Die sich nach ihrem Mütterchen zuhause auf Nowaja Semlja sehnt und nach ihrer großen Liebe Pavel, der von einem russischen Bären zerrissen wurde, als er für seine Ivana ein Bärenfell organisieren wollte? Naja, da haben ’S natürlich recht, die ist schon auch sehr, sehr melancholisch.

Melancholischer noch als die Lois Lehn?

Die rasende Reporterin vom Ländlichen Boten, die sich immer erst ihren Holzfuß anschnallen muss, bevor sie zu rasen anfängt, und die zuhause den Rotwein gerne kalt trinkt, wenn sie mit ihrem Reporterkollegen Bob Woodward von der Washington Post drüben „auf Augenhöhe“ telefoniert? Naja gut, da haben Sie schon wieder recht, weil die ist schon auch sehr, sehr melancholisch.

Besser geht es dem Weiß Ferdl, dem weltberühmten Volksmusikanten aus Aussee …

… der es bis nach Paris geschafft hat! Und der dort einen wunderbaren Welthit geschrieben hat, auf teils Deutsch, aber auch auf teils Französisch.

Kostprobe?

Bitte! Gerne!

Schö tem hier und schö tem da
Schö aime dich das ganze Jahr
Überall auf der Welt
Wo’s mir Herzbub grad gefällt.

Allerdings fand auch der Weiß Ferdl ein tragisches Ende …

Natürlich! Natürlich! Und das hat er auch verdient! Anders als der Matthias von den „Radinger Spitzbuben“, der den Biermösel ja mit der schönen Gabe „Joe“ bekannt gemacht und ihm den ersten Joint überhaupt gewuzelt hat, als der ihn aus seinem Tourbus heraus gefangen hat, in dem sich neben großdutteligen blonden Damen eben auch jede Menge Trompeten und Klarinetten und halt auch Rauschmittel gefunden haben; nebst einem Luftballon, der innen mit weißlicher Flüssigkeit … Naja … Lassen wir das lieber.

Der Stoff, aus dem Biermösels keusche Träume sind: der Schweinsbraten seiner ureigensten Schwester Roswitha

Sagen Sie, was wirklich viele interessiert: Ist es richtig, dass der Biermösel und seine Schwester Roswitha oben in der Kammer …?

Ja!

Und dass der Biermösel noch nie, also überhaupt noch nie …?

Nie!

Auch nicht mit der Putzfrau Anni, die er ja über alle vier Bände hinweg „packen“ will und der er vermutlich zwei Lastwagenladungen voll mit „Mon Cheri“ geschenkt hat, um sie für sich zu gewinnen?

Auch nicht mit ihr.

Finden Sie das traurig?

Ob ich das traurig finde? Du meine Güte, so ist halt das Leben! Es kann ja nicht jeder ausschauen wie der Burt Lancaster! Dafür kann der Biermösel aus der Hüfte heraus schießen wie nicht einmal der John Wayne drüben in Amerika! Und er hat jeden Tag das Schweinsbraterl mit einem Krusterl, wo du dir alle zehn Finger abschleckst, und dazu Knödel und Kraut und Marillenschnaps ohne Ende! Und jetzt einmal unter uns Pastorentöchterln: Hat das vielleicht der Burt Lancester auch?

Der Burt Lancaster ist tot.

Dazu von mir und dem Biermösel vielleicht nur zwei Worte: Mir wurscht!

Das ist das Schlusswort?

Nein. Das ist das Schlusswort: Prostmahlzeit!

Weder beruflich noch privat kann er irgendwelche Erfolge vorweisen: Manfred Rebhandls Ausseer Gendarm Biermösel

 

 

Wem jetzt der Appetit noch nicht vergangen ist, der hat gut lachen: Die vier bisher erschienenen Biermösel-Krimis „Lebensabende und Blutbäder“, „Löcher, noch und nöcher“, „Scheiß dich nicht an – lebe!“ sowie „56,3° im Schatten“ werden erstmals gesammelt in hochwertiger Ausstattung neu aufgelegt. Als Draufgabe gibt es eine brandneue Biermöselgeschichte: In dieser hat es ein charismatischer, aufstrebender Bürgermeister im Slim-Fit-Trachtenanzug („Ich habe die lange Gerade im Silbertannenwald im Alleingang geschlossen!“) auf die hochtrainierte Säuferleber vom Biermösel abgesehen.

Manfred Rebhandls höchst kultverdächtige Kompilation aus Blutbädern, Blähungen und Bierräuschen finden Sie hier.

Jetzt reinlesen: Kaschmirgefühl

Gottliebs Tage sind nicht gerade von Leidenschaft erfüllt. Als Krankenpfleger im Hospiz ist er täglich mit dem Tod konfrontiert, Romantik im Privatleben: Fehlanzeige. Zu lange schon ist er Single, lebte bis vor Kurzem mit seiner Mutter zusammen.

Von Einsamkeit getrieben ruft Gottlieb eines Nachts bei einer Sexhotline an. Ein Knistern in der Leitung, dann hört er zum ersten Mal Maries Stimme – und mit einem Schlag verändert sich alles.

Jetzt reinlesen und reinhören: 

Leseprobe

– Hörst du mich?
– Ja.
– Ich bin Yvonne. Und ich werde mich jetzt um dich
kümmern. Ich werde dafür sorgen, dass du diesen
Anruf nie wieder vergisst.
– Ich habe das hier noch nie gemacht.
– Das macht gar nichts. Du sagst mir, worauf du stehst,
und dann machen wir alles, was du dir vorgestellt
hast.
– Ich habe mir nichts vorgestellt.
– Ach, komm schon, Süßer.
– Wirklich nicht. Ich weiß nicht, wie das hier funktioniert.
Ob ich das überhaupt kann. Fühlt sich irgendwie
komisch an.
– Jetzt mal ganz langsam. Du bist doch scharf, oder?
Sonst hättest du kaum hier angerufen. Also hör auf
nachzudenken und entspann dich. Es gibt hier keine
Regeln, kein richtig oder falsch. Es geht nur darum,
dass wir beide ein bisschen Spaß miteinander haben.
– Ich bin mir nicht sicher.
– Mach dir keine Sorgen, gemeinsam bekommen wir
das hin. Kannst mir vertrauen, ich bin richtig gut in
meinem Job. Ich verspreche dir, dass du gleich den
Orgasmus deines Lebens haben wirst.
– Danke.
– Du bedankst dich?
– Ja.
– Aber wofür denn?
– Dafür, dass Sie mich nicht auslachen.
– Sie? Du bist ja süß. So schüchtern, das mag ich. So
einer wie du ist mir tausendmal lieber als all diese
Typen, die nach vier Minuten auflegen und sich nicht
mal verabschieden, geschweige denn sich für irgendwas
bedanken. Freut mich wirklich sehr, dass du so
höflich bist. Und dass du unter all den Frauen da
draußen gerade mich angerufen hast.
– Das war Zufall.
– Das denke ich nicht. Ich weiß, das klingt verrückt,
aber seit ich heute Morgen aufgewacht bin, warte
ich insgeheim darauf.
– Worauf?
– Auf einen Anruf, der mein Leben verändern wird.
Auf einen Mann, den ich glücklich machen kann. Auf
einen, der vielleicht auch mich glücklich machen
wird.
– Sagen Sie das zu jedem?
– Ja.
– Funktioniert es?
– Meistens. Aber jetzt mach erst mal deine Augen zu.
– Was soll ich?
– Du sollst deine Augen zumachen.
– Und wozu soll das gut sein?
– Ich bin dir näher, wenn sie zu sind. Also mach einfach,
was ich dir sage, und alles wird gut.
– Sie sind jetzt zu.
– Sehr gut. Und jetzt möchte ich wissen, für wen ich
mich ausziehe. Wie heißt du, mein Süßer?
– Joe.
– Echt jetzt?
– Ja.
– Du heißt doch nie im Leben Joe.
– Warum denn nicht?
– Weil du schüchtern bist. Und schüchterne Männer
heißen nicht Joe. Außerdem hast du deine Augen
offen.
– Woher wollen Sie das wissen?
– Ich mach das hier schon ziemlich lange.
– Ich fühle mich unwohl, wenn die Augen zu sind.
Wie gesagt, es ist das erste Mal, dass ich so etwas
mache.
– Dann lass sie offen. Aber bitte lüg mich nicht mehr
an, Joe.
– Ich lüge nicht.
– Alle lügen, glaube mir. Das fängt beim Namen an
und hört beim Aussehen auf. Du erzählst mir doch
sicher gleich, dass du eins neunzig groß bist, schlank
und muskulös, und dass du es eigentlich gar nicht
nötig hättest, hier anzurufen. Stimmt’s?
– Nötig habe ich das tatsächlich nicht.
– Wusste ich’s doch.
– Vielleicht ist es besser, wenn ich jetzt auflege.
– Aber warum denn?
– Weil ich mir das anders vorgestellt habe.
– Wie denn? Sag es mir.
– Nicht so.
– Rede ich dir zu viel?
– Nein. Ich dachte einfach, dass es anders abläuft. Entschuldigen
Sie bitte. Ich wollte Sie nicht kränken
oder zurückweisen.
– Du willst mich nicht zurückweisen? Du hast das
Konzept wohl nicht verstanden. Du bist es, der hier
anruft. Du willst etwas von mir, und nicht ich von
dir.
– Ich wollte Sie wirklich nicht verärgern.
– Hör endlich auf mich zu siezen. Sag mir lieber, was
ich für dich tun kann. Wie du es gerne hättest. Ent13
täusch mich jetzt nicht, Joe. Auf welche Schweinereien
stehst du?
– Sie sind seltsam.
– Was bin ich?
– Seltsam.
– Weil ich dir nicht sage, dass du der Größte bist, oder
was? Weil ich nicht stöhne? Ich bin dir zu wenig
Nutte, richtig?
– Nein, das ist es nicht.
– Soll ich dir sagen, dass ich nackt bin? Dich einfach
nur geil machen?
– Nein.
– Du willst dir ganz gemütlich einen runterholen,
genau so ist es doch, oder?
– Nein, so ist es nicht.
– Wie ist es dann, verdammt noch mal? Denkst du,
du kannst hier anrufen und mich beleidigen? Willst
du mich erniedrigen, dich abreagieren, deinen Frust
an mir abarbeiten?
– Es gibt keinen Grund, mich so anzufahren. Ich habe
Ihnen nichts getan.
– Dir. Ich habe dir nichts getan.
– Ich dachte, das hier ist eine Sexhotline.
– Ist es auch. Aber wir spielen hier nach meinen
Regeln.
– Ich glaube nicht, dass ich das will.
– Du willst. Sonst hättest du bereits aufgelegt.


– Ich wollte dir wirklich nicht zu nahe treten.
– Du bist wirklich süß. So einen wie dich habe ich
selten.
– Das alles hier ist ein großes Missverständnis. Ich
wollte dich nicht erniedrigen. Tut mir wirklich leid.
– Bleib locker, Joe. Ich hab doch nur Spaß gemacht.
Wollte sehen, wie du reagierst, wenn man dich
anpflaumt. Quasi ein Belastungstest gleich zu
Beginn. Ich würde sagen, du hast ihn bestanden.


– Warum tust du das?
– Damit das Ganze ein bisschen spannender wird.
Wir beide wollen uns ja nicht langweilen, oder?
Außerdem weiß ich jetzt, mit wem ich es zu tun
habe. Du scheinst ein sensibler Mann zu sein. Ein
Frauenversteher. Ist selten heutzutage. Gefällt mir,
Joe. Und deshalb darfst du dir jetzt auch etwas wünschen.
Egal was, ich mache es.
– Ich muss jetzt auflegen.
– Aber warum denn?
– Das ist mir zu schräg hier. Du bist mir zu schräg.
– Ach, komm schon, Joe. Jetzt wird es doch richtig
gemütlich. Wir lernen uns gerade erst kennen. Ich
denke, dass das Ganze auch für mich spannend werden
könnte. Wenn ich mir vorstelle, was du gleich
mit mir machen wirst, werde ich ganz feucht.
– Es tut mir leid.
– Was tut dir jetzt schon wieder leid?
– Ich muss meine Mutter ins Bett bringen.
– Du musst deine Mutter ins Bett bringen? Habe ich
das gerade richtig verstanden?
– Sie schläft. Tief und fest neben mir auf der Couch.
Wenn sie die ganze Nacht hier liegt, jammert sie
morgen wieder, dass sie Kreuzschmerzen hat.
– Was um Himmels willen redest du da?
– Sie ist vor dem Fernseher eingeschlafen, ich wollte
sie nicht wecken.
– Spinnst du?
– Sie hat nur mich. Ich kümmere mich um sie.
– Du rufst bei einer Sexhotline an, während deine
Mutter neben dir schläft?
– Ja.
– Das glaub ich jetzt nicht.
– Ist aber so.
– Da habe ich mich wohl getäuscht in dir. Schade. Du
bist auch nur einer dieser Spinner, die mir mein
Leben schwermachen.
– Aber es kann dir doch egal sein, ob sie da ist oder
nicht.
– Glaubst du wirklich, dass ich es mit dir mache, während
deine Mutter neben dir sitzt? Ich mag es zwar,
wenn nicht immer alles ganz nach Plan läuft, aber
das geht zu weit.
– Wenn man der Statistik glaubt, erledigst du ohnehin
deine Hausarbeit, während du mit mir telefonierst.
Wahrscheinlich bügelst du gerade.
– Drehst du jetzt völlig durch?
– Ich habe ein bisschen im Internet recherchiert, bevor
ich diese Nummer gewählt habe. Es heißt, dass diese
Frauen etwas ganz anderes machen, während sie
telefonieren.
– Diese Frauen?
– Ja. Außerdem habe ich gelesen, dass es darum geht,
die Anrufer so lange wie möglich in der Leitung zu
halten.
– Du bist ja ein ganz Schlauer.
– Ich würde sagen, du bist außerordentlich gut. Auch
wenn es ziemlich ungewöhnlich sein dürfte, wie du
es machst. Wahrscheinlich kann nicht jeder damit
umgehen, dass du so durchgeknallt bist, oder?


– Weißt du was, Joe?
– Was denn?
– Du kannst mich mal.

– Hörst du mich?
– Ja.
– Ich bin Yvonne. Und ich werde mich jetzt um dich
kümmern. Ich werde dafür sorgen, dass du diesen
Anruf nie wieder vergisst.
– Fängst du immer so an?
– Du schon wieder?
– Ja.
– Was soll das? Mit Perversen will ich nichts zu tun
haben, ich denke, das habe ich klargemacht. Weck
deine Mama auf und geh mit ihr ins Bett, wenn du
willst. Aber mich lässt du bitte in Ruhe.
– Es gibt keine Mama auf der Couch. Die habe ich
erfunden. Wollte nur sehen, wie du reagierst. Quasi
ein Belastungstest gleich zu Beginn. Ich würde sagen,
du bist durchgefallen.


– Du hast mich verarscht?
– Ja. So wie du mich vorhin. Ist nur fair, finde ich.
– Respekt. Hätte ich dir gar nicht zugetraut.
– Das freut mich, Yvonne.
– Das war ziemlich abgefahren, Joe.
– Danke.
– Ich muss zugeben, ich habe wirklich gedacht, dass
du völlig humorlos und verklemmt bist.
– Bin ich das nicht?
– Schaut nicht so aus. Deshalb schlage ich vor, dass
wir noch mal von vorne anfangen. Wir gehen die
ganze Sache langsam und behutsam an. Wie du nämlich
schon richtig gesagt hast, geht es hier darum,
den Anrufer so lange wie möglich in der Leitung zu
halten. Damit ich so viel Geld wie möglich verdiene.
– Du bist witzig.
– Ja, das bin ich wohl.
– Und sehr ehrlich.
– Da muss ich dich leider enttäuschen.
– Du heißt also nicht Yvonne?
– Natürlich nicht.
– Und du schaust auch nicht so aus wie auf der
Anzeige?
– Auf welcher denn? Ich habe in verschiedenen Zeitungen
inseriert. Mit unterschiedlichen Fotos. Welches
hast du vor dir?
– Blond, große Brüste.
– Oh ja, die ist heiß. Das Foto funktioniert am besten.
– Wer ist die Frau?
– Keine Ahnung, ich hab das Foto aus dem Netz
geklaut.
– Aber das ist doch strafbar, oder? Warum erzählst
du mir das?
– Weil ich mich dir zuliebe bemühe, ehrlich zu sein.
– Aber es fällt dir schwer.
– Ja. Weil es am Ende nur darum geht, Illusionen zu
verkaufen. Wenn die Männer da draußen große
Brüste wollen, habe ich große Brüste. Wenn sie auf
kleine stehen, habe ich kleine. Ich bin alles, was du
dir wünschst, Joe.

– Also was macht dich an? Warum hast du mich angerufen?
– Das ist eine gute Frage.
– Darf ich raten?
– Ja.
– Du bist verheiratet, in deiner Ehe läuft es nicht mehr
so richtig. Du bist verzweifelt und wolltest endlich
wieder mal Dampf ablassen. Richtig?
– Falsch.
– Dann bist du einer dieser einsamen Kerle, die niemanden
haben, mit dem sie reden können. Du hattest
seit Monaten keinen Sex, wahrscheinlich schon
seit Jahren nicht. Und jetzt hast du dich nach langem
Hin und Her endlich dazu durchgerungen, bei
dieser Nummer anzurufen.
– Nein, so ist es auch nicht.
– Wie ist es dann, Joe?
– Ich bin glücklich verliebt.
– Ich verstehe. Und deshalb rufst du die Frau mit den
großen Titten an.
– Es ist kompliziert.
– Ich habe Zeit, Joe. Und ich höre dir gerne zu. Aber
weil ich heute einen guten Tag habe, sage ich es dir
noch einmal. Dieses Gespräch kostet Geld. Vor allem,
wenn du dich entschließt, länger auszuholen.
– Geld spielt keine Rolle.
– Das sagst du jetzt. Aber nachher bereust du es. Es
wäre nicht das erste Mal, dass sich hier einer um
den Verstand redet. Wenn du also möchtest, kann
ich mein Strickzeug kurz zur Seite legen, und wir
machen es miteinander.
– Strickzeug? Kein Scherz?
– Kein Scherz. Ich bin nackt, und ich stricke. Sitze in
meinem Schaukelstuhl und warte darauf, dass aus
dieser verdammten Wolle ein Pullover wird. Aber
leider ist die Sache wesentlich schwieriger, als ich
mir das vorgestellt habe. Ich bin völlig unbegabt,
was das Stricken angeht.


– Du bist also nackt?
– Ja. Da ist nur der Wollfaden auf mir.
– Erzähl mir mehr.
– Ich dachte, du wolltest mit mir über deine wunderbare
Beziehung reden.
– Wie schaust du wirklich aus? Kleine Brüste?
– Was denn nun, Joe? Doch die Sexhotline?

– Ficken oder reden, Joe? Du musst dich entscheiden.
– Reden. Wie gesagt. Ich bin verliebt.
– Noch mal, Joe. Warum rufst du hier an?
– Wir telefonieren doch nur. Es ist nichts passiert.
– Noch nicht, Joe. Aber der Wollfaden, der zwischen
meinen Beinen liegt, sagt mir, dass es nicht mehr
lange so bleiben wird. Kaschmir, Joe. Diese wunderbare
Wolle ist wie ein Finger, der mich da unten
berührt. Wenn ich weiterstricke, läuft der Faden
genau über meine feuchte Muschi.
– Muschi?
– Ja, Joe. Muschi.
– So hat meine Mutter dazu gesagt, als ich ein Kind
war.
– Du kannst sie auch Fotze nennen. Oder Möse, wenn
dir das lieber ist. Wichtig ist nur, dass sie nass ist.
Und dass sie sich jetzt durchaus vorstellen könnte,
wie du sie leckst.
– Hör bitte auf, so zu reden.
– Wie rede ich denn?
– Das ist ordinär. Und widerlich. Ich will das so nicht.
– Aber ich spüre doch, dass du heiß bist, Joe. Am liebsten
würdest du mir mein Strickzeug aus der Hand
reißen und über mich herfallen, stimmt’s?
– Nein.
– Warum nicht?
– Ich kann nicht.
– Schämst du dich?
– Nein.
– Doch, das tust du, Joe. Das alles hier passt nämlich
nicht in deine Welt. Es ist dir peinlich, dich mit
einer wie mir über ihre feuchte Muschi zu unterhalten.
So ist es doch, oder? Deine Geliebte könnte
ja davon erfahren. Sie würde dir das nie verzeihen,
richtig?
– Richtig.
– Das ist Schwachsinn, Joe. Und weißt du auch,
warum? Es gibt gar keine Geliebte. Und du bist auch
nicht glücklich, du bist allein da draußen. Und nur
aus einem einzigen Grund rufst du die Tittennummer
an. Weil da sonst keiner ist, der dich in den Arm
nimmt, Joe. Niemand außer mir.
– Du irrst dich.
– Und du bist feige. Traust dich nicht. Tust nicht, was
du gerne tun möchtest.
– Das ist lächerlich. Ich muss mir das hier nicht anhören.
– Du bist dir also zu gut dafür, es der versauten
Schlampe am Telefon zu besorgen. Du hältst dich
für etwas Besseres, nicht wahr? Aber das ist lächerlich,
Joe. Weil du in Wirklichkeit doch nur ein verklemmter
kleiner Scheißer bist. Einer, der mir Märchen
erzählt, weil er nicht imstande ist, sich ein
einziges Mal im Leben fallen zu lassen.

– Du bist eine traurige Figur, Joe. Du verschwendest
dein Geld. Und meine Zeit.
– Dann lege ich jetzt besser auf.
– Nein, das tust du nicht. Wir sind noch nicht fertig
miteinander.
– Doch, das sind wir.

 

 

Gibt es Schöneres, als zwei Menschen zuzuschauen, wie sie sich ineinander verlieben?

Große Emotionen und die nötige Portion Spannung treffen in Bernhard Aichners „Kaschmirgefühl“ aufeinander. Wir alle kennen die Sehnsucht nach einem glücklicheren Leben, und diese Sehnsucht ist es, die Gottlieb und Marie immer weitertreibt – mit Wucht in die offenen Arme des Anderen …


Zum Buch

Spuren im World Wide Web – Thomas Baum über seine Recherche zu „Kalter Kristall“

CSI auf Österreichisch mit spektakulären Verfolgungsjagden und überraschenden Wendungen: Drehbuchautor Thomas Baum legt den wohl rasantesten Krimi der Saison vor! Nach mehreren „Tatorten“, Folgen der „Rosenheim-Cops“ und dem Kinohit „In drei Tagen bist du tot“ zeigt er mit „Kalter Kristall“, dass er nicht nur auf Kinoleinwänden und Fernsehbildschirmen mit schnellen Cuts und atemloser Spannung überzeugen kann. Wie es ihm bei der Recherche ergangen ist und wo die großen Unterschiede zwischen Buch und Drehbuch liegen, erzählt er uns in seinem Gastbeitrag.

Bitcoins, Darknet, Finsternis: Thomas Baum hat sich mit dunkler Materie beschäftigt.

Die Unterwelt des Internets

Zuerst interessierten mich die Bitcoins. Eine Kryptowährung ohne Geschichte, ohne Seele, ohne Kultur. Ein aufgeblasenes Vieles und Nichts, das Goldgräberstimmung und einen Spekulationshype erzeugt. An mir gehen solche Geld-Dynamiken normalerweise vorüber. Die Unterwelt des Internets, in der Bitcoins als einzig wahres Zahlungsmittel gelten, habe ich bisher gemieden. Ich bin nicht der Typ, der sich einfach so ins Darknet klickt. Das macht eine Figur aus „Kalter Kristall“ für mich. Sie weiß, welche spezielle Software es fürs Betreten des Darknets braucht. Sie ist versiert im Verschlüsseln der eigenen Identität und Verwischen von Spuren. Bitcoins bestimmen ihren täglichen Umsatz. Im Deep Web bewegt sie sich beinahe so selbstverständlich wie andere auf Google oder Facebook.

Drogen, Waffen und Sex

Beim Recherchieren fand ich es sehr erstaunlich, dass die Marktplätze im Darknet in etwa so funktionieren wie der uns bekannte legale Online-Handel. Man klickt auf ein Produkt und legt es in den Warenkorb. Gekauft werden Drogen, Waffen, gestohlene Kreditkarten, Medikamente und Sex.
Die erworbenen Amphetamine und Pistolen landen in neutralen Päckchen mit Aufschriften wie „Alles für den Garten“ im Briefkasten. Auf diese Weise ist jeder unauffällige Familienvater in der Lage, ein kriminelles Kleinunternehmen zu gründen. Oder einen internationalen Handel im ganz großen Stil.
Das Erkunden des Darknets brachte mich auf die Fährte abgebrühter Geschäftemacher und düsterer Foren. Allein beim Eintippen von einschlägigen und problematischen Suchbegriffen beschlich mich das unangenehme Gefühl, mir könnten diverse Cyber-Cops im Nacken sitzen. Das Internet schläft nie, Kontrolle ist immer und überall. Die perfekt getarnten Pfade des dunklen und mächtigen Web-Paralleluniversums sind nichts für schwache Nerven.

 

Drehbuch ist nicht gleich Buch – aber Gemeinsamkeiten gibt es dennoch.

Late in, early out

Drehbuch ist nicht gleich Buch – aber Gemeinsamkeiten gibt es dennoch.

Möglichst direkt rein in die Kapitel und rechtzeitig wieder raus – dieses Prinzip habe ich vom Drehbuchschreiben übernommen. Wie viel ist nötig und wie wenig genügt, um die Story und ihre Figuren stimmig voranzutreiben? Solche Fragen spielen bei einem Hauptabend-Fernsehfilm im Zeitkorsett von 90 Minuten eine noch wesentlichere Rolle als bei einem Roman mit 300 Seiten.
Beim Krimi in Buchform genieße ich den großzügigen Raum für Nebenstränge und deren Verflechtungen.

Außerdem steht mehr Platz für die Eigenheiten und Beweggründe der einzelnen Charaktere zur Verfügung.
Im Film erklären sich die Figuren vor allem über Handlung und Dialoge. Der Roman ermöglicht ein weitaus intensiveres Eintauchen in die unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Gedankenwelten. Zum Beispiel liebe ich es sehr, in den rasantesten Momenten auf Zeitlupe zu schalten und das Geschehen minutiös aus der subjektiven Perspektive einer beteiligten Person zu schildern.

Komplexes Handwerk: Drehbuch und Roman

Auch wenn viele Gesetzmäßigkeiten des Geschichtenerzählens für beide Formen gelten, gibt es wesentliche handwerkliche Unterschiede. Beim Film denkt man in Szenen, Sequenzen, Plot Points und Akten und schreibt neben einer eher nüchternen, ökonomischen Prosa möglichst punktgenaue und pointierte Dialoge. Die Stoffentwicklung erfordert außerdem einen ständigen und nicht immer einfachen Austausch mit Redaktionen, ProduzentInnen und RegisseurInnen.
Romane werden im Wesentlichen von der ganz persönlichen Handschrift und Sprache der AutorInnen getragen. Der Rhythmus und Klang einzelner Sätze und das exakt gesetzte Wort verleihen dem Text seine eigene, besondere Färbung.
Für kritische Anmerkungen sorgen im Entstehungsprozess ausgewählte LeserInnen und professionelle LektorInnen. Die Geschichte lebt für sich selbst und braucht keine weitere Umsetzung durch ein anderes Medium oder andere Personen.
Außerdem vermittelt sich über die individuelle Erzählweise auch das spezielle Menschenbild der AutorInnen. Mir bereitet es großes Vergnügen, zwischen den Zeilen meine eigenen Zugänge zu den kleinen und großen Herausforderungen des Lebens durchschimmern zu lassen – solange es der Geschichte und den Figuren dient. Und dem, was gute Krimis brauchen: überraschende Wendungen, Witz und Spannung.

 

 

Überraschende Wendungen, Witz und Spannung: All das hat er zu bieten, der neue Kriminalroman von Thomas Baum! Hier geht’s zum Buch!

Mit Nadel, Faden und Pistole: Siggi Seifferheld ist zurück!

Schwäbisch Hall. Ein malerisches Städtchen wie aus dem Bilderbuch. Mittelalterliches Flair, eine historische Altstadt, freier Internetzugang – es könnte alles so schön sein. Und so ruhig. Siggi Seifferheld, Ex-Kommissar im unruhigen Ruhestand, wünscht sich gemütliche Stunden mit seiner Liebsten Marianne und seinem Hund Onis, der auch nicht mehr der Jüngste ist. Aber ein wildes Welpenrudel, ein Gesangsprojekt der Jungs vom Männerkochkurs und ein russischer Mafiaboss machen ihm einen Strich durch die Rechnung.

Einer von den Guten

Siggi Seifferheld hat sich vor Jahren eine Kugel in der Hüfte eingefangen – dienstlich. Aber auch, wenn er damals nicht in den Vorruhestand versetzt worden wäre, wäre er jetzt wohl nicht mehr im Dienst – denn jünger wird er nicht. Aber trotz Gehhilfe und nachlassender Blasenkapazität ist er ausgesprochen umtriebig: Das Schnüffeln kann er sowieso nicht lassen – einmal Wadenbeißer, immer Wadenbeißer -, die Jungs vom Männerkochkurs halten ihn auf Trab, seine Frau Marianne sowieso, er verfasst für das Haller Tagblatt regelmäßig den Polizeibericht und jetzt hat er auch noch ein ganz spezielles Ehrenamt übernommen.

Hinter Gittern wird gestickt.

Knaststickkränzchen mit Ex-Kommissar

Seit kurzem leitet Siggi nämlich einen Stickkurs in der Haftanstalt Schwäbisch Hall. Der begeisterte Sticker – mit eigener Sendung für stickende Männer im Radio – ist Experte und damit bestens für diese Aufgabe geeignet. Mit von der Stickpartie sind: Kurt, ein zottelhaariger Ex-Junkie, der wegen leichter, aber wiederholter Beschaffungskriminalität einsaß und im Knast zu Gott gefunden hatte; Saiid, ein zartbitterschokoladenbrauner Somali, von dem es hieß, er sei Pirat gewesen, der jetzt aber an den Rollstuhl gefesselt war, warum, das wusste keiner; Trân, ein winziger Vietnamese, der einen Schmuggelring geleitet hatte; Murat, eine Seele von Mensch, der erstaunlich echt wirkendes Falschgeld in großen Mengen produziert und unter die Leute gebracht hatte; und Pjotr, der greise Russenmafioso, der mit seinem weißen Vollbart und den buschigen weißen Augenbrauen wie ein wohlwollendes Großväterchen wirkte.

Aber selbst dieser harmlose Haufen – der Fromme, der Fette, der Nette, der Zwerg, der Rollstuhlfahrer und der Greis – bekam jeweils nur eine einzige, stumpfe Sticknadel ausgehändigt. Um das Risiko zu minimieren.

Hovawart Onis ist wenig erfreut: Ein Welpenkindergarten überrennt das Seifferheldhaus.

Seifferheld hat es nicht leicht

Doch nicht nur in der Haftanstalt, sondern auch in Seifferhelds Zuhause hat er das Vergnügen von illustren Runden. Seine Frau hat einen Welpenkindergarten eröffnet – für Welpen mit besonderen Bedürfnissen, will heißen: Welpen, die aus Mischbeziehungen stammen. So hatte beispielsweise der Pickel, der eigentlich Bruno hieß und der Sohn eines Pitbulls und einer Dackelhündin war, die kurzen Beinchen seiner Mutter, aber den stämmigen Schädel seines Vaters geerbt. Er brauchte ein völlig anderes Training, nämlich vor allem das der Nackenmuskulatur, als beispielsweise die Bichogge, das Kind der Liebe einer Dogge und eines Bichon Frisé, mit ihren langen Giraffenbeinen und der wild wuchernden Pilzkopffrisur. Oder als der Schnudel (Schnauzer und Pudel) mit seiner geländegängigen Körperform beziehungsweise der kleine, stämmige Chips (Chihuahua und Mops).

Und als wäre all das nicht genug, hat auch noch Kläuschen eine seltsame Idee geboren:

Die Männerkochkursgruppe soll jetzt singen – und eine Platte mit den schönsten Kochliedern aufnehmen. Und Siggi tut sich schrecklich schwer damit, dem euphorischen Klaus einen Wunsch abzuschlagen …

Markenzeichen der Seifferheld-Reihe: Der Gartenzwerg.

Seifferheld taucht ab

Seifferheld hat ja wirklich schon viel erlebt. Tote Galeristen, konkurrierende Stricker, ermordete Schauspielerinnen, Undercoverermittlungen im indischen Kochkurs – all das kann einen erfahrenen Kommissar nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Aber diesmal ist alles anders. Denn diesmal verschwindet Seifferheld von der Bildfläche. Bei einem Gassigang mit Onis – denn auch dessen Prostata ist nicht mehr die jüngste, beobachtet er, wie Häftling Pjotr von zwei Beamten in eine Klinik gebracht werden soll. Zwei verdächtige Männer beobachten die beiden. Und dann passiert es:

Die Beamten riefen unisono: „Scheiße!“
Seifferheld rief: „Rauchgranate!“ Reflexartig zog er Onis weg von der Dose und in Sicherheit.
In diesem Moment zog der Muskelmann zwei Taser aus seinen Anzugjackentaschen. Er taserte mit der einen Hand den Beamten, der Pjotr am Ellbogen hielt, um nur einen Sekundenbruchteil später mit einem zweiten Taser den anderen Beamten, dessen Hand schon zur Waffe gefahren war, wenn auch zu langsam, außer Gefecht zu setzen. Zuckend gingen die beiden zu Boden. Wo sie bestimmt noch eine Weile vor sich hinzuckten, was man aber nicht sehen konnte, weil die Nebelbombe jetzt – besser spät als nie – anfing, eine unglaubliche Menge an blickdichtem Rauch zu produzieren.
Pjotr, dieser Greis mit dem gütigen Weihnachtsmannvollbartlächeln, sah Seifferheld fassungslos an. Der wiederum wurde von dem Muskelmann kräftig in die offenen Eingeweide des Geländewagens gestoßen, wobei Siggi der Gehstock entglitt und auf den Pflasterboden fiel.
Siggi quietschte unwillkürlich auf, als er in den unnachgiebigen Armen eines dritten Fremden landete.
Onis sprang seinem Herrchen instinktiv hinterher. Der Muskelmann wollte nach der Leine greifen und den Hund wieder aus dem Wagen zerren, aber der junge Mann am Steuer rief ihm auf Russisch etwas zu, woraufhin der Ungeschlachte den Greis in den Wagen hob, hinterhersprang und die Tür zuknallte. Und schon schoss der Geländewagen in einem Affenzahn rückwärts auf die Haalstraße und bretterte gleich darauf mit Karacho durch die Innenstadt.
In einem spektakulären Husarenstück hatte man Pjotr … tja, was genau? Befreit?
Entführt?
Nur eins stand felsenfest: Seifferheld und Hund Onis waren zu Geiseln geworden!

Hier geht’s zum Buch!

 

 

Ein Muss für alle Seifferheld-Fans und für alle zukünftigen Seifferheld-Fans sowieso: Mit Wortwitz und Drive lässt Tatjana Kruse diesmal die Seifferheld-Mischpoke ermitteln: Seine liebe Frau Marianne, seine kratzbürstige Schwester Irmgard, Tochter Susanne und Nichte Carina, Nicht-Putzfrau Olga, die Jungs vom Kochkurs und die ehemaligen Kollegen machen sich auf die Suche. 

Die Königin der Krimödie kombiniert meisterinnenhaft rasante Krimihandlung mit Wortwitz und den schrulligsten Figuren der deutschsprachigen Krimilandschaft. Deshalb ist die Seifferheld-Reihe einer der beliebtesten im deutschsprachigen Raum, dafür lieben ihre Fans Tatjana Kruse seit der allerersten Seifferheld-Stunde, und darüber dürfen sie sich jetzt endlich wieder freuen!

Ein trinkfestes Doppel: Gucki Wurm und ihr Spitz(-enermittler) Turrini

Die Mühlviertler Powerfrau Gudrun (Gucki) Wurm und ihr trinkfreudiger Spitz Turrini lösen in „Turrinis Hirn“ ihren mittlerweile sechsten Fall. Auch diesmal ist echtes Teamwork gefragt, um einen Mörder, der seine Opfer mit Hundehalsbändern stranguliert, zur Strecke zu bringen. Grund genug, sich das unzertrennliche Duo einmal genauer anzusehen!

Er steckt hinter dem kongenialen Duo: Franz Friedrich Altmann. Foto: Rainer Kocher

Die Dame mit dem Hündchen

Wenn man über die Gucki und den einzig wahren Mann in ihrem Leben was erzählen will, tut man sich schwer mit passenden Vergleichen, weil die zwei eigentlich ziemlich einzigartig sind. Es fängt schon damit an, dass der Lebensmensch von der Gucki gar kein Mensch ist, sondern ein Hund. Gut, Kriminalfälle lösende Mensch-Hund-Zweigespanne gibt es eh viele, aber zu Kommissar Rex oder Tim und Struppi ist es doch ein himmelweiter Unterschied.

Journalistin mit kriminalistischer Ader

Erstens ist die Gucki keine Kommissarin – bei der Polizei würd sie es auch gar nicht aushalten, mit so depperten Kollegen wie dem Otto Rammer –, sondern Redakteurin bei den Mühlviertler Nachrichten. Genauer gesagt bildet sie gemeinsam mit der Renate, ihrem Mädchen für alles, die Redaktion dieses Glanzstücks provinziellen Journalismus. Dabei hat die Journalistin eindeutig das Zeug zur Ermittlerin:

„Für diejenigen, die die Gucki noch nicht kennen, muss man jetzt vielleicht dazusagen, dass sie einen Meter fünfundachtzig ist und hübsch ein Schmalz hat.“

Blitzgescheit ist sie auch noch, und obendrein kann sie es beim Tarockieren und Saufen locker mit jedem Mannsbild aufnehmen. Vielleicht ist das der Grund, warum sie es noch mit keinem Mann länger als ein paar Tage ausgehalten hat. Wobei:

„Die einzige Ausnahme war ein gewisser Zellner Andi. Hat aber nach fünf Wochen auch aufgegeben. Hat keine Schuhe mehr gehabt. Weil der Turrini alle Schuhe vom Andi zerlegt hat. Hat seinen Konkurrenten praktisch hinausgebissen.“

Im Prinzip kommt die Gucki aber sowieso ganz gut ohne Mann zurecht, und wie sie an ihrer alten Schulfreundin Sabine und ihrem Karli sehen kann, schafft das Eheleben mehr als genug Probleme, die man mit einem Hund sicher nie hat.

Spitz Turrini kann fast alles. Sogar selber Jägermeister-Flascherln aufmachen. Wer den Schnaps hat, braucht für den Spitz nicht zu sorgen.

Spitz auf Jägermeister

Zweitens ist der Turrini eben kein Schäferhund, sondern ein Spitz, und hat noch dazu einen sehr komischen Namen für einen Hund. Wie es dazu wohl gekommen ist? Eine lange Geschichte, die am besten ganz von vorn erzählt wird:

„Also: Vor siebzehn Jahren hat sich die Gucki vom Leo Höller einen Hund andrehen lassen. Mit der Mitleidstour: Sonst landet er im Tierheim! Hat die Gucki den Hund Turrini getauft. Weil sie damals grad an ihrer Diplomarbeit Sentimentale Motive im Dramatischen Werk von Peter Turrini geschrieben hat. Und weil der Hund dem Theaterdichter wirklich total ähnlich geschaut hat: ein bisserl kleiner, ein bisserl fester, dafür aber umso temperamentvoller.“

Wäre also geklärt, warum der Turrini Turrini heißt und nicht Rex, Struppi, Fifi oder Waldi. Wobei er zum Wald sozusagen einen ganz besonderen Bezug hat. Der Turrini ist nämlich eine Art Jagdhund, weil er dem Jägermeister – also dem Schnaps – zugetan ist. Das war jetzt eine Anspielung auf dem Turrini sein Parade-Kunststück. Hat ihm der Leo Höllerer beigebracht:

„Das geht so: Der Leo bestellt einen Jägermeister und stellt ihn dem Turrini vor die Schnauze. Der klemmt das Flascherl zwischen die Vorderpfoten und kletzelt den Schraubverschluss mit den Zähnen auf. Dann schnappt er das Flascherl mit den Vorderzähnen und lässt den Jägermeister in seine Gurgel rinnen. Zum Schluss stellt er das Flascherl wieder ordentlich auf die Bar. Normalerweise sagt dann der Leo: ‚Bravo, Turrini!‘“

Wieso „normalerweise“? Was passiert denn hier, das normalerweise nicht passieren sollte? Das wird an dieser Stelle noch nicht verraten, aber so viel sei angedeutet: Auch am besten Hund geht die Zeit nicht spurlos vorüber, und irgendwann muss auch ein Jägermeister in die ewigen Jagdgründe eingehen …

Franz Friedrich Altmann: Turrinis Hirn.

 

 

Lust auf eine rasante und alkoholschwangere Verbrecherjagd vor der idyllischen Kulisse des Mühlviertels? Na dann wurde „Turrinis Hirn” quasi für dich geschrieben! Hol dir jetzt Gucki & Turrinis sechsten Fall und stürze dich in einen Kriminalfall, der alles ist, nur nicht konventionell.

Andrej Kurkow über seinen neuen Roman „Kartografie der Freiheit“

Drei junge Paare aus Litauen wollen in Andrej Kurkows „Kartografie der Freiheit“ den europäischen Traum von einer besseren Zukunft zum Leben erwecken. Schnell holt sie jedoch die schmerzhafte Realität ein – entgegen dem Ideal eines Europas ohne Grenzen spalten sich Union und Gesellschaft in vermeintlich „alte“ und „neue“ Europäer. Plötzlich finden sich die jungen Paare als Fremde an den gesellschaftlichen Rand und in den finanziellen und persönlichen Ruin gedrängt. Warum es für den Autor auch zwei Arten von Europäern gibt und warum er von dem Land Litauen so fasziniert ist, erzählt er in seinem Nachwort.

Auszug aus „Kartografie der Freiheit“:

Flüchtlinge sind in den letzten Jahren in Europa zu einem zentralen Thema geworden. Immer wieder wurde die Befürchtung geäußert, Europa könne daran zerbrechen. In meinem Roman geht es nicht um Flüchtlinge. In meinem Roman geht es um Europäer, die den Wegfall der Grenzen und die europäische Zusammengehörigkeit ernst nehmen. In meinem Roman geht es um junge Leute, um Litauer, die die Rückkehr ihres Landes nach Europa als ein Signal verstehen, das „europäische Glück“ zu suchen und zu finden, als Anlass, in dem europäischen Traum „aufzugehen“: in Paris, London, Venedig und anderswo. Der europäische Traum war nie so konkret wie der American Dream. Ihn zu verstehen und zu ergründen, steht noch aus. Nicht nur für die Figuren in meinem Buch, sondern für uns alle. Warum geht es in meinem Buch um Litauen und die Litauer? Weil der einstmals größte Staat Europas – das Großfürstentum Litauen – heute ein kleines Land am Rand der Europäischen Union ist, das die anderen Europäer aus Mangel an Zeit übersehen. Im „alten Europa“ nennt man die Litauer oft in einem Atemzug mit Bosniern, Serben, Bulgaren, Polen und Ungarn und impliziert, diese Migranten seien eigentlich gar keine richtigen Europäer, auch wenn sie aus Mitgliedsländern der Europäischen Union kommen. Das „neue“ – östliche – Europa ist für die Bewohner des „alten“ Europas nach wie vor etwas nicht ganz Dazugehöriges, Unverständliches, beinahe Fremdes. Das hat auch damit zu tun, dass man viel Zeit investieren und sich mit der Geschichte und Kultur der Länder auseinandersetzen muss, wenn man dieses Europa, das so neu eigentlich gar nicht ist, verstehen will. Litauen ist nur eines dieser Länder. Bevor ich „Kartografie der Freiheit“ geschrieben habe, bin ich zwölf Jahre lang nach Litauen gereist. Jahr für Jahr, mehrere Male. Ich wusste am Anfang nichts. Irgendwann war ich unheimlich fasziniert von diesem unglaublich interessanten Land, seinem Volk, seiner Geschichte und Kultur. Ich lernte Litauisch, um noch besser zu verstehen, wie die Menschen denken. Länger als alle anderen Völker in Europa waren die Litauer Heiden. Die Black Boxes für die sowjetischen Flugzeuge wurden nur in Litauen hergestellt. Ich frage mich immer noch, ob diese beiden Tatsachen etwas miteinander zu tun haben. Mehr als andere Länder leidet Litauen unter dem europäischen Traum: Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung sind auf der Suche nach dem europäischen Glück ins alte Europa ausgewandert, haben ihre Heimat verlassen, aber nicht vergessen. Die Osteuropäer träumen noch von einem Europa, in dem sie satt und glücklich sind und von Unheil verschont bleiben.

Andrej Kurkow wohnt in Kiew und beherrscht insgesamt elf Sprachen, unter anderem Litauisch. Foto: Fotowerk Aichner

Die Bewohner des alten Europas haben sie etwas Banales, Altmodisches und Lästiges, das ihren Erwartungen und Hoffnungen nicht gerecht geworden ist. In meinem Roman gibt es sozusagen zwei Europa: das alte und das neue und damit natürlich auch zwei Gruppen von Europäern. Die einen glauben an Europa und knüpfen all ihre Hoffnungen daran, die anderen leben einfach in Europa, ohne es bewusst wahrzunehmen. Diese beiden Europa werden in meinem Roman von den Gedanken und Wanderungen einer mir sehr wichtigen Figur verbunden: von Kukutis. Er ist weniger realistisch als die anderen Protagonisten. Halb mythische Figur, halb Mensch, stolzer Besitzer von sechs Pässen, hat er den Ersten Weltkrieg miterlebt und den Zweiten als Augenzeuge erlebt.

Er folgt den jungen Litauern, die ihr Land verlassen haben, und weiß schon vor ihnen, wo und wann ihnen ein Unglück zustoßen wird. Kukutis ist unterwegs, um ihnen zu helfen, weiß aber, dass er nie rechtzeitig zur Stelle ist. Und das ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass er im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hat und nun mit einem gesunden Bein und einer Holzprothese nicht besonders schnell vorwärts kommt. Er ist die gute Seele all jener Litauer, die ihre Heimat verlassen haben. Aus der eigenen Erfahrung kennt er noch die Zeit, als West- und Osteuropa ein Ganzes, einfach Europa waren. Das ist für ihn bis heute so. Wie auch für mich, den Autor.

Ich habe den Roman 2012 zu schreiben begonnen. 2013 wollte die ukrainische Regierung den europäischen Weg nicht fortsetzen und dem Volk den europäischen Traum nehmen. Die Menschen in der Ukraine haben daraufhin eine Revolution gestartet und eine neue Staatsmacht gewählt, die das Land wieder auf europäischen Kurs gebracht hat. Wegen der Ereignisse von 2013/2014 habe ich die Arbeit an dem Roman unterbrochen. Erst 2015 konnte ich weiterschreiben. Ich war und bin bis zum heutigen Tag gleichzeitig Europa-Optimist und Europa-Realist. Vielleicht hat deswegen mein Roman nichts von einem Märchen.

Andrej Kurkow

 

Hier geht es zu Kurkows neuem Roman Kartografie der Freiheit!

 

Kurkow muss nicht böse oder radikal sein, um mitten ins Herz zu treffen.“
Der Stern, Annett Klimpel

„Spannung, Einfühlung, Witz und Zynismus“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Hannes Hintermeier  (aus den Pressestimmen zu „Der wahrhaftige Volkskontrolleur“)

„Ich werde wahrscheinlich bis zum letzten Atemzug arbeiten.“ Michael Krüger im Videointerview

Michael Krüger erzählt von verschiedenen Arten von Flucht in seinem neuen Roman: der Flucht aus dem Leben, der Flucht in ein Leben, der Flucht voreinander, der Flucht zueinander, nicht zuletzt auch von der Flucht vor dem Ruhestand. Und er zeichnet wie nebenbei das wunderliche Gesicht der Gegenwartsgesellschaft – melancholisch und hochkomisch, resignativ und unverbesserlich hoffend.

Der Schriftsteller, Verleger und Herausgeber feiert seinen 75. Geburtstag – und findet die Vorstellung, nichts mehr zu tun, aberwitzig.

Der Erzähler deines Romans „Vorübergehende“ ist ein Getriebener – weshalb flieht er den beschaulichen, schönen Lebensabend?

Ja, das ist eine eigene Erfahrung. Ich weiß eben nicht, was ist ein schöner Lebensabend? Ich bin ja nun auch nicht mehr der jugendliche Held und habe mich immer gefragt … Die Vorstellung, nichts mehr zu tun, ist so aberwitzig. Das heißt, es ist ein Ethos, dass man immer weitermacht. Das steckt irgendwie in einem drin. Würde ich Boule spielen oder Skat oder so etwas, dann würde ich abends ins Gasthaus gehen und spielen. Aber ich kenne das nicht, kann das nicht. Ich werde wahrscheinlich bis zum letzten Atemzug selber immer arbeiten. Und natürlich ist das eine Projektion auf diesen Mann, der immer aufhören will, vor allem weil er eine Arbeit macht, die er durchschaut hat. Weil er sieht, dass Menschen, die sich nach dieser Idee von Arbeit richten, natürlich auch viel zugrunde richten. Wir haben den Fall ja überall in der Politik: Einer kann nicht loslassen. Im Theater, überall. Es gibt Intendanten, die nach fünf Jahren aufhören, und es gibt Intendanten, die bis zum letzten Blutstropfen unbedingt Theaterleiter sein wollen. Und ein bisschen von dieser Ausweglosigkeit zwischen dem einen Extrem und dem anderen steckt in dieser Person. Er ist ja Coach. Das heißt, er geht durch die Welt und versucht, den Leuten klar zu machen, wie sie Schwächen schwächen und Stärken stärken. Eine uralte, nicht besonders originelle Form der Unternehmensberatung, die aber nach wie vor und bis heute in vielen Unternehmen angewandt wird. Warum kann man sich nicht verbessern in der Arbeit, in Abläufen etc.? Und nur weil man alt ist, kann man ja den Tod nicht überlisten. Man kann also die Zeit vor dem Tod Schwächen schwächen, Stärken stärken … Das haut nicht hin. Das heißt, er kann nur eins machen, er kann so weitermachen wie bisher, um auf diese Weise dem Tod mitzuteilen: Bei mir hast du nichts zu suchen, es geht bei mir weiter. Aber das ist natürlich eine Selbstlüge und ein Selbstbetrug. Ein bisschen etwas von diesem Problem wollte ich in diesem Buch verhandeln.

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Und dieser Coach glaubt also, dass er seinem Leben Sinn geben kann, wenn er einem unbekannten Mädchen hilft?

Ja, das ist … da steckt natürlich eine lange Überlegung, die jetzt gar nichts mit dem Roman zu tun hat, aber die in dem Roman verhandelt wird, drin. Nämlich – das ist ja ein Mensch, der die Sprache des Erzählers nicht kann, mehr oder weniger stumm sitzt sie ihm gegenüber – und die Frage ist: Wie gehen wir mit dem Fremden um? Was machen wir mit dem Fremden? Wir können natürlich sagen, wie in vielen Ländern mittlerweile, wir machen die Grenze dicht und die sollen bleiben, wo der Pfeffer wächst. Aber das ist natürlich die peinlichste Art und Weise, mit Menschen umzugehen, die nicht die eigene Sprache sprechen, den eigenen kulturellen Hintergrund haben, die die gesellschaftlichen Codes nicht kennen und so weiter. Deshalb dachte ich mir, das ist ganz gut, dass so einer, der immer auf den richtigen Effekt hin sein Leben organisiert hat, der wird plötzlich von einer Sprachlosen überrumpelt. Er, der alle Probleme zu verbalisieren gelernt hat … Das war sein Leben: „Wo ist das Problem? Wir müssen es besprechen und dann machen wir eine bessere Lösung.“ Aber ich bin nicht der Meinung, dass in ganz substantiellen Fragen der Gesellschaft wirkliche Verbesserungen zu machen sind. Wir sind eben sehr sterbliche und sehr randständige Figuren und haben uns gerade einmal so eingerichtet, dass jetzt für ein paar Jahrzehnte Frieden war. Aber wir tun so, als sei das die höchste Form des Zusammenlebens überhaupt. Und ich glaube überhaupt nicht daran. Und ich bin sehr davon überzeugt, dass das Fremde, wenn es bei uns selbst einbricht, uns noch einmal zu einem ganz anderen Leben verführen könnte. Das heißt, wir könnten nachdenken und mit denen etwas entwickeln, was zu unser aller Nutzen ist und der ganzen Welt nutzt, weil man etwas jetzt vormachen könnte. Stattdessen haben alle Angst, machen die Grenzen zu, schotten sich ab, wollen nichts damit zu tun haben und tun so, als lebten wir in Europa auf einer Insel der Seligen, die nicht von Unbefugten betreten werden darf. Dieses Schild: „Für Unbefugte Betreten verboten!“ Das ist so ganz gegen meine Haltung im Leben. Und ich finde: Wenn ein bisschen von diesen Problemen in dem Buch vorkommt, dann hat es schon seine Schuldigkeit getan.

Und so hat auch der Erzähler etwas von der Unbekannten Jara zu lernen?

Ja, die ist ja in dem Buch eine Zeichnerin. Die ist zunächst einmal jemand, der auf einem weißen Blatt Papier eine Welt erfindet. Die kommt in eine Welt – nämlich die Welt des Erzählers –, eine hoch gerüstete, elaborierte Welt, in der es alles gibt und wo Reisen kein Problem ist und Pass und Altersversicherung inklusive. Und sie hat gar nichts und bekommt von ihm weißes Papier geschenkt, und dann malt sie eine Welt. Und diese Welt ist weit davon entfernt, eine ideale zu sein, aber es ist doch eine, die nur ihr gehört. Und die durch keinen – durch keine Erziehung, durch keine Reglementierung, durch keine Schule, Universität oder sonst irgendwas, Familie – beeinflusst ist; das ist ihre Welt, die sie, so gut sie kann, aufs Papier bringt. Und ganz offensichtlich ist sie so begabt, dass tatsächlich etwas entsteht, was eine andere Welt darstellt. Ich bin natürlich immer versucht, – selber – mir vorzustellen, was eigentlich auf den Blättern ist. Ich würde wahnsinnig gerne haben, dass jemand das einmal ernst nimmt und sagt: „Ich lese dieses Buch und werde mir jetzt einen Block anschaffen und einmal versuchen, ob ich etwas auf das Papier bekomme, was sozusagen äquivalent ist zu dem, das diese Jara macht.“ Denn die meisten von uns haben ja viele Probleme, die sie nicht bewältigen können. Aber vielleicht ist das … Das klingt jetzt ein bisschen hochtrabend, ich meine es aber ganz konkret, simpel. So, wie man … – glaube ich – sich besser erfährt, wenn man alle Texte, die man sehr liebt, mit der Hand abschreibt: Alle Gedichte, die man gernhat, in ein Buch „Gedichte“. So entsteht eine eigene Welt in der Zusammensetzung. Und so, denke ich mir, ist dieses, dieses große Projekt von dieser Jara, die keiner kennt, die keine Geschichte hat, keiner weiß, wo die genau herkommt – irgendwo vom Balkan. Keiner weiß, wo die Mutter ist, es gibt keinen Pass, es gibt gar nichts. Man weiß nicht einmal ein Geburtsdatum. Aber … Ich glaube, man würde sehr viel von ihr erfahren, wenn man diese Zeichnungen angucken würde. Und all diese Sozialarbeiter, die da immer kommen und fragen: „Was machen wir denn mit dem Mädchen?“ Die gucken natürlich nie die Zeichnungen an – die würden sagen: „Sie sind wohl verrückt geworden. Was sollen wir denn hier die Zeichnungen angucken? Das hat doch … Ich brauche Beweise, dass die irgendwoher kommt.“ Kurzum: Ein bisschen etwas von dieser Idee ist ja in der Umschlagzeichnung realisiert, aber ich glaube eben: Es ist eine Tragödie für den Menschen, dass er vom ersten bis zum sechsten oder zehnten Schuljahr – Kindergarten und so weiter – Zeichnungen macht – und dann nie mehr. Nie mehr! Und es ist so billig, man kann sich einen Block kaufen und anfangen … Keiner macht das. Warum?

Vorübergehende. Ein Roman, der im Gedächtnis verweilt.

 

 

Ein erfolgreicher Mann vor dem Ruhestand auf der Suche nach dem Sinn seines erschreckend gelungenen Lebens: Hier trifft einer, der alles hat und doch nur die Leere kennt, auf eine, die gar nichts hat, und dennoch an Leben ungleich reicher ist. Diese Konstellation schildert Michael Krüger mit der größten Lust, davon abzuschweifen. Denn wenn sein Erzähler seine Gedankenfahrt aufnimmt, bleibt keiner geschont: nicht die Menschen um ihn herum, nicht die deutschen Landsgenossen, am wenigsten er selbst.

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„Das Prinzip ist aus der Realität gegriffen.“ – David Fuchs im Videointerview

Wir haben dem Autor und Onkologen David Fuchs einige Fragen zu seinem Erstlingswerk gestellt. Er erzählt uns von seltsamen Krankenhaustraditionen, der Leichtigkeit der Realität und wie er den FM4-Wortlaut-Wettbewerb gewonnen hat.

Hier findet ihr einige Auszüge und das gesamte Interview mit David Fuchs in zwei Videos direkt darunter.

Dein Roman erzählt eine berührende Geschichte ohne jede Rührseligkeit. Woher kommt diese Leichtigkeit?

Die Leichtigkeit kommt wohl auch ein bisschen aus der Realität einer onkologischen Station oder dieses Bereichs, weil auch im echten Leben dort nicht alles schwer und traurig ist, sondern auch Lachen und Freude ihren Platz haben. Und das konnte auch im Roman dann nicht anders sein. Schon von selber, aber ich habe auch aktiv darauf geachtet, nicht alles bleischwer werden zu lassen.

David Fuchs im Interview

Sind bei euch die Schwestern oder die Oberärzte lustiger?

(lacht) Wenn ich jetzt Oberärzte sage, dann brauche ich wahrscheinlich nicht mehr in die Arbeit kommen, aber ich glaube, das ist personenabhängig, sagen wir es so.

Defibrillierte Schweine, grillende Oberärzte, Eis aus Urinproberöhrchen – haben alle Krankenhäuser solche Parallelwelten?

Alle die ich kenne, ja. Also es gibt überall diese kleinen Skurrilitäten, kleinen Eigenheiten, kleinen Traditionen. Und wenn auch nicht alles, was im Roman vorkommt, auch aus der Realität gegriffen ist, das Prinzip ist es schon. Und das macht die Umgebung ein bisschen charmanter – sowohl in der Realität als auch in der Fiktion.

Für einen Auszug aus deinem Roman wurdest du mit dem FM4-Wortlaut ausgezeichnet. War damals bereits ein ganzer Roman geplant?

Ja, also diese beiden Protagonisten des Romans, Ben und Ambros, die gab es schon, es gab auch schon einiges an Text zu diesem Zeitpunkt. Und ich habe dann für diesen Wettbewerb eine eigene Geschichte, aber mit diesem Personal sozusagen geschrieben. Also ja, es war schon klar, dass das ein längerer Text wird, ein Roman wird.

War auch von Anfang an klar, dass sich die Geschichte um zwei Männer drehen würde?

In den allerallerersten Entwürfen war das schon klar. Es hat sich ein bisschen verändert, die Namen, aber auch das Verhältnis. Also da habe ich verschiedene Dinge probiert, auch ein Verwandtschaftsverhältnis. Letztlich war mir dann eine sehr enge Beziehung zweier männlicher Figuren wichtig, aber das musste auch eine körperliche Beziehung sein. Und dann ist als Logischstes aller dieser Dinge die Liebesbeziehung übriggeblieben – und dann auch geworden.

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Eine zärtliche Liebe unter ungewöhnlichen Umständen.
Als angehender Arzt absolviert Benjamin ein Praktikum auf der Krebsstation. Dass er dort ausgerechnet auf seine Jugendliebe Ambros trifft, hätte er sich nicht träumen lassen. Ambros wird als Patient behandelt, sein Körper ist voller Metastasen. Inmitten des Krankenhausalltags nähern sich die beiden behutsam wieder aneinander an. Zwischen resoluten Krankenschwestern und röchelnden Zimmernachbarn, jovialen Oberärzten und unbelehrbaren Notfallskandidaten ist ihnen bewusst, dass es die Augenblicke sind, die ihnen bleiben …

Hier geht’s zum Buch.