„Wien um 1900 ist einer der interessantesten historischen Schauplätze für einen Roman.” Edith Kneifl im Gespräch
Edith Kneifl erweckt in ihrer Krimiserie um den charmanten Privatdetektiv Gustav von Karoly das Wien des Fin de Siècle zum Leben und lässt in der historischen Kaiserstadt die Puppen tanzen.
Ein Gespräch
Deine Serie um Privatdetektiv Gustav von Karoly spielt im historischen Wien, genauer gesagt im Wien der Jahrhundertwende. Inwiefern ist das Wien des Fin de Siècle die perfekte Krimikulisse?
Wien um 1900 ist für mich politisch und kulturell einer der interessantesten historischen Schauplätze für einen Roman.
Die industrielle Revolution und das neue Selbstbewusstsein des wohlhabenden Bürgertums seit 1848 – die Fabrikbesitzer waren meist keine Adeligen, sondern Großbürger, der sogenannte Geldadel –, führten zu einem unerhörten Aufschwung in wissenschaftlichen, technischen und, damit einhergehend, auch in künstlerischen Bereichen. Vor allem die Nationalitätenkonflikte in dieser Zeit und die Fortschrittsverlierer, die Obdachlosen, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die vielen Zuwanderer aus den ärmlichen Kronländern, bildeten den Gegenpol zum Glanz des Bürgertums und dem gleichzeitigen Niedergang des Adels. Dieses Spannungsverhältnis aus dem, sehr vereinfacht ausgedrückt, letztendlich der Zerfall der alten Monarchien Europas nach dem Ersten Weltkrieg resultierte, hat mich immer fasziniert.
In meinen historischen Kriminalromanen ist zwar auch Platz für Glanz und Glorie, für Bälle und große Gelage in feudalen Ringstraßenpalais oder für Schönbrunn, die Hofburg und die Wiener Oper, aber interessanter finde ich die Kapitel, in denen ich mich mit der Verlogenheit und der Doppelmoral der damaligen gutbürgerlichen und adeligen Gesellschaft und mit den grauenhaften Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerung auseinandersetze, zum Beispiel mit dem Subproletariat und den Kriminellen im Prater in „Der Tod fährt Riesenrad“ oder eben mit den vielen Migranten aus den Kronländern in „Totentanz im Stephansdom“. Dabei ging es mir vor allem um die jungen Frauen und Mädchen, die aus diesen armen Ländern nach Wien verschleppt wurden. Miese Schlepper gab es schon damals!
Die Bücher sind hervorragend recherchiert, es mischen sich reale Geschehnisse mit Krimihandlung – wie bist du vorgegangen?
Ich habe immer viel gelesen – und Lesen bildet eben. Im Ernst, ich habe mich sogar in meiner Schulzeit für Geschichte begeistert. Die Jahrhundertwende hat mich auch während meiner beinahe zehn Jahre währenden Ausbildung zur Psychoanalytikerin beschäftigt. Freud und Schnitzler, Klimt und Johann Strauss, die großen Fortschritte in den Naturwissenschaften und vor allem die damals immer stärker werdende Arbeiterbewegung finde ich unerhört spannend und wichtig. Ich habe also während der Arbeit an diesen Romanen viele Bücher über Zeit und Leute gelesen und eben so manches in die Krimihandlung eingebaut.
Übrigens bekomme ich von jungen Lehrerinnen und Lehrern Komplimente. Sie meinen, auf diese Art könnte man die Schüler sehr wohl für den Geschichtsunterricht begeistern. Tja, mal sehen, vielleicht werden demnächst einige Mittelschüler oder Gymnasiasten meine historischen Krimis lesen? Ich würde mich freuen!
Wien ist ja für seine Morbidität bekannt. Wie ist dein Gefühl, hat der Wiener bzw. hat die Wienerin einen besonderen Zugang zum Düsteren, eine eigene Beziehung zur Sterblichkeit?
Ja, „der Tod muss ein Wiener sein“ (Georg Kreisler). Sicherlich hängt die vielzitierte Morbidität der Wiener mit dem Zusammenbruch der Monarchie zusammen. Dieser Zusammenhang wurde bereits oft analysiert. Ich glaube übrigens nicht, dass die heutige Wiener Bevölkerung so besonders morbid ist. Wahrscheinlich hat das eher auf die Nachkriegsgenerationen zugetroffen, sowohl auf die Überlebenden des Ersten als auch des Zweiten Weltkrieges. Reste dieses Hangs zur Morbidität finden sich sicherlich bis heute bei den Wiener Intellektuellen. Eine besondere Beziehung zum Tod haben aber auch andere Völker und Kulturen.
Gustav von Karoly ist ja ein besonders charmanter Charakter, dem die Frauen reihenweise verfallen. Kannst du ihn uns kurz vorstellen?
Mit Gustav von Karoly hat ein äußerst charmanter und liebenswerter Mann die Bühne der Kriminalliteratur betreten. Ehrlich gesagt habe ich mir eine Art Traummann erschaffen. Gustav entspricht auch äußerlich dem Typ von Mann, für den ich immer anfällig war und bis heute bin: groß, schlank, schwarzhaarig, ebenmäßige Züge … Aber so sehen viele Männer aus. Das Anziehende an Gustav sind für mich seine Sensibilität und seine Schwächen. Einerseits ist er ja durchaus ein mutiger Mann, aber er gesteht sich eben auch seine Ängste ein und handelt entsprechend. Außerdem ist er klug und hat Humor. Und vor allem benimmt er sich meistens rücksichtsvoll und hat viel Verständnis für Frauen, kann gut zuhören und nimmt ihre Probleme und Ratschläge ernst. Solche Männer gibt es auch in der Realität, aber sie sind eher eine Rarität.
Starke Frauen spielen ebenfalls eine Rolle in deinen Büchern, was, gerade vor der Kulisse der Donaumonarchie, sehr spannend ist. Inwiefern war dir das wichtig?
Die starken Frauen in meinen historischen Kriminalromanen sind mir ebenso wichtig wie der schöne Gustav von Karoly. Im Grunde geht es mir in allen meinen Romanen immer um Aufbruchs- oder Ausbruchsversuche von Frauen. Das Genre des historischen Krimis erlaubt es mir, die Anfänge dieser ersten wichtigen Frauenbewegung in unserem Land zu beschreiben. Diese Frauen um die Jahrhundertwende haben für uns nicht nur das Wahlrecht, sondern auch den Zugang zu höherer Bildung erkämpft und damit unsere heutigen Karrieren ermöglicht.
Ohne Gustavs Tante Vera und seine große Liebe, die zukünftige Ärztin Dorothea, oder die Erzieherin Clara in „Totentanz im Stephansdom“, wären wir Frauen heute noch „Besitz“ unserer Väter oder Ehemänner und würden, falls wir aus armen Verhältnissen stammten, unser Leben als Dienstbotinnen, schlecht bezahlte Fabrikarbeiterinnen oder Prostituierte fristen. Auch das ist ein wichtiges Thema in all meinen historischen Krimis.
Die emotionalen Probleme, die Frauen damals um die Jahrhundertwende hatten, sind den Problemen heutiger Frauen nicht so unähnlich, wie man vielleicht denkt. Um sie zu beschreiben, brauche ich keine Recherchen durchzuführen, die kenne ich genauso gut wie jede andere Frau.
Zu guter Letzt (und nicht zuletzt, weil der neue Krimi „Der Tod liebt die Oper“ an der Staatsoper spielt): Welche Melodie dürfen sich deine LeserInnen in den Hintergrund denken, wenn sie vor ihrem inneren Auge Gustav durch Wien flanieren sehen?
Ich würde empfehlen, die beiden Verdi-Opern „La Traviata“ und „Rigoletto“ beim Lesen meines neuen historischen Krimis „Der Tod liebt die Oper“ im Ohr zu haben. Den Idioten „Otello“ sollten wir Frauen lieber vergessen.
Vor allem empfehle ich die Arien: „Lunge da lei“ („Entfernt von ihr gibt’s kein Glück für mich“) von Alfredo aus „La Traviata“ sowie die Schmerz-Arie aus dieser Oper: „Cessarono gli spasmi del dolore“, gesungen von Violetta.
Die wohl berühmteste Arie der Welt, „La donna è mobile“, des Herzogs von Mantua aus „Rigoletto“ würde ich ebenfalls den Opernliebhaberinnen und -liebhabern unter meinen Leserinnen und Lesern bei der Lektüre dieses Krimis ans Herz legen. Mir kommen dabei immer die Tränen, obwohl dieser Herzog ja ein fürchterlicher Womanizer war und den Tod verdient hätte.