„Plädoyers für Toleranz und Menschlichkeit im Umgang mit Justiz und Verbrechen“ – Georg Hasibeder über Alfred Komarek
Wir trauern um Alfred Komarek. Mit ihm verlieren wir einen Schriftsteller, der Orte, Landschaften und Menschen klug und mit viel Feingefühl porträtierte und im Schreiben wie im Leben stets die Toleranz hochhielt, einen Anstifter zum Innehalten, einen, der so viel Fantasie hatte, dass er sie mit uns allen teilen konnte.
Zum Gedenken teilen wir hier einen Text von Georg Hasibeder über Alfred Komarek, der 2011 entstanden ist, als Alfred Komarek den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln erhielt.
Alfred Komarek nimmt unter den österreichischen Kriminal-Autor*innen eine herausragende Position ein: Nicht nur, weil er mit seinen „Polt“-Romanen den Grundstein für das Genre des charakteristischen Österreich-Krimis gelegt hat, nicht nur, weil er mit Gendarmerieinspektor Simon Polt eine einzigartige, vielschichtige und zutiefst authentische Ermittler-Figur geschaffen hat, nicht nur, weil seine „Polt“-Romane weit über das Krimi-Genre hinaus als literarische Porträts eines besonderen Kultur- und Lebensraumes, des Weinviertels, gelesen werden können. Über all das hinaus besitzen Komareks „Polt“-Romane auch noch eine weitaus tiefere sozusagen rechtsphilosophische Ebene, die der Autor unaufdringlich, aber konsequent und klug durchdacht durch alle fünf Episoden rund um Simon Polt hindurchführt. Dabei interessiert den Autor in erster Linie der Konflikt zwischen einem juridischen und einem rein menschlichen Gesetzesverständnis.
Der einfache Gendarm Polt fühlt sich stets im Zwiespalt zwischen der Befolgung seiner Dienstpflichten, der Vorschriften und Gesetze einerseits und seinem menschlichen Gewissen andererseits. Wo das Gesetz dem Gendarm Polt klare Entscheidungen vorgeben würde, ist dem Menschen Polt zugleich bewusst, dass es Situationen gibt, in denen die Buchstaben des Gesetzes in Frage stehen, stehen müssen – weil er weiß, dass die Bestrafung eines Verbrechers nichts ändern, keine Gerechtigkeit herbeiführen würde, oder weil die Gründe für ein Verbrechen so nachvollziehbar und schlüssig sind, dass er sich nur schwer dazu durchringen kann, es in aller Härte zu verfolgen. Das bedeutet nicht, dass Simon Polt ein Anarchist wäre, der sich um die Gesetze nicht kümmert – er ist ein pflichtbewusster Staatsdiener, aber zugleich auch ein sich selbst treuer Mensch, der es sich nicht so leicht machen will, den Zwiespalt zwischen Gesetz und Menschlichkeit zu ignorieren.
Alfred Komarek versteht es meisterhaft, diese Konflikte und Interessenskollissionen – mit denen alle mit der Strafverfolgung betrauten Personen und Organe, vom ermittelnden Polizisten bis hin zum Richter, die in ihrem Beruf eine Verpflichtung und einen Dienst am Menschen sehen, zwangsläufig immer wieder konfrontiert werden – einzufangen und bietet in seinen Romanen Lösungen an, die puren Juristen vielleicht nicht gefallen mögen, die aber Leser*innen, die diese Konflikte verinnerlichen können, im Endeffekt sehr befriedigen.
Foto: János Kalmár.
Damit sind Alfred Komareks Kriminalromane zugleich auch als Plädoyers für Toleranz und Menschlichkeit im Umgang mit Justiz und Verbrechen zu verstehen – nicht in dem Sinn, dass Komarek des Verbrechen beschönigen oder gar gutheißen würde, aber insofern, als er nachdrücklich darauf hinweist, dass eine eindimensionale, bloß am Buchstaben des Gesetzes ausgerichtete Sichtweise auf das Verbrechen nicht ausreichend ist, um die menschliche Dimension beider Seiten.
Der nachhaltige kulturelle und gesellschaftliche Wert von Alfred Komareks Gesamtwerk – seinen „Polt“-Kriminalromanen, der Roman-Serie rund um Daniel Käfer, die im Salzkammergut angesiedelt ist, wie auch seinen literarischen Reportagen und Landschaftsbüchern – liegt darüber hinaus in seiner von tiefem Verständnis und Sympathie getragenen, dabei aber nie beschönigenden oder idyllisierenden Landschaftsporträts. Mit seinen literarischen Darstellungen besonderer österreichischer Kultur- und Lebensräume wie des Waldviertels oder des Salzkammerguts weckt er ein dauerhaftes Bewusstsein, dass eine Region weit mehr ist als die Summe ihrer Sehenswürdigkeiten oder Traditionen, weit mehr als ihre touristische Selbstinszenierung. Gerade im Blick auf die Details, in der Konzentration auf das Unspektakuläre, Unauffällige und Stille macht Alfred Komarek deutlich, dass der Charakter einer Landschaft in ihren Bewohner*innen, in der Authentizität ihres Alltags besteht, und nicht in der touristischen Selbstvermarktung, im Beharren auf erstarrte Traditionen oder in der ängstlichen Abgrenzung vor dem Fremden.
Auch damit leistet Alfred Komarek einen Beitrag für ein ausgewogenes, tolerantes, weltoffenes und selbstbewusstes Verständnis österreichischer Kultur, der weit über die Landesgrenzen hinaus hörbar ist und wahrgenommen wird.