INTO THE DARK – über die, die nachts wach sind

Mit der Dunkelheit verbinden wir vieles: Angst, Bedrohung und Gefahr, aber auch Geborgenheit, Frieden und Ruhe. Wir assoziieren Dunkelheit mit Nacht, mit Schlaf, mit Sternen. Dunkelheit fasziniert uns und Dunkelheit ist vielfältig, ambivalent.

Aber wie ist es, dann zu arbeiten, wenn es dunkel ist und alles schläft –  zu arbeiten, wenn die Welt pausiert? 

Mit Dunkelheit und der Nachtarbeit setzt sich auch Lisa-Viktoria Niederberger in ihrem neuen Essayband „Dunkelheit“ auseinander: 

„Schicht- und Nachtarbeit, also Arbeit außerhalb der üblichen Tagesarbeitszeit, ist gängig, und zwar überall, insbesondere seit der industriellen Revolution, während der Fabrikarbeiter*innen schon gerne mal im Namen der Produktivität und des Wettbewerbs und unterstützt durch das Kunstlicht 80 bis 100 Stunden Wochenarbeitszeit zugemutet wurden, bis die Arbeiter*innenbewegung dem einen Strich durch die Rechnung machte.
Auch in der Gegenwart ist Nacht- und Schichtarbeit in vielen Bereichen nötig für das Fortbestehen der Gesellschaft, in anderen vielleicht nicht dringend überlebenswichtig, aber kulturstiftend und wichtig für das soziale Gefüge.” (Dunkelheit, 2025. S.163)

 

Wir haben mit verschiedenen Menschen gesprochen, die sowohl in system- als auch sozialrelevanten Bereichen nachts arbeiten oder gearbeitet haben. Eine Paketverteilerin, ein Barkeeper, ein Nachtportier, ein Arzt, eine Pflegefachkraft und eine Sanitäterin erzählen: über Schwierigkeiten und Vorteile der Nachtarbeit und über die Bedeutung von Licht.

Klappe die untenstehenden Blöcke aus, um die detaillierten Antworten lesen zu können.

© Zoe Goldstein

Lisa-Viktoria Niederberger, geboren 1988, lebt als Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin in Linz. Ihr Schreiben geht oft Zusammenhängen, feinen Verbindungen und feministischen Fragestellungen nach und scheut sich nicht, nach Schönheit auch an den allerdunkelsten Orten zu suchen. Ihre Prosa wurde u. a. mit dem Kunstförderpreis der Stadt Linz, dem Theodor-Körner-Förderpreis und dem Exil-Literaturpreis ausgezeichnet.

Der natürliche Tagesablauf von hell und dunkel steht deinem Tagesablauf gegenüber: Wenn es hell ist, schläfst du, wenn es dunkel ist, musst du produktiv sein und arbeiten. Wie beeinflusst das dich mental und körperlich?

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Sanitäterin: Wenn der Funkmeldeempfänger geklingelt hat, dann hat es eine gewisse Alarmbereitschaft und Fokus in einem ausgelöst. Ganz unabhängig von Tag oder Nacht, konnte man sich somit auf die anstehende Arbeit konzentrieren und auf der Rückfahrt aus dem Krankenhaus konnte der Stress meist auch wieder abfallen, sodass ich selten länger als 15 Minuten gebraucht habe, um wieder einzuschlafen. Ich denke nicht, dass Einsätze in der Nacht mich mental oder körperlich mehr herausgefordert hätten, außer sie fanden direkt draußen in der Dunkelheit statt, dann war sich einen Überblick verschaffen definitiv erschwert, aber andere Probleme fielen auch weg, wie zum Beispiel Schaulustige.

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Paketverteilerin: Da es nur eine „halbe“ Nacht war, habe ich versucht, am Tag davor früh ins Bett zu gehen, dann aufzustehen für die Arbeit und die halbe Nacht mit einem Mittagsschlaf oder frühen Zubettgehen am selben Tag auszugleichen. Ich habe aber nach einem Monat bereits gemerkt, dass das nicht so ging, wie ich mir das zuvor vorgestellt hatte. Ich habe oft zwei Tage gebraucht, um wieder in meinen Tagesrhythmus zu finden und das war meistens das Intervall, in dem ich den zweiten Arbeitstag der Woche machen musste.

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Arzt: Mit dem Rhythmus als Arzt hat mich das weniger tangiert. Das heißt, ich war immer im Tag/Nacht-Rhythmus, allerdings oft übermüdet und oft hatte ich auch Schlafstörungen.

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Nachtportier: Probleme hatte ich eigentlich nur beim Umstellen des Rhythmus. Die Müdigkeit kam erst in der zweiten oder dritten Nacht, insbesondere die erste Nacht war immer wieder aufs Neue getragen von dem Gefühl des bewussten und ein bisschen faszinierten Erlebens der Zeit. Die Nacht kam mir vor wie ein riesiges Zeitreservoir, das ich dann – manchmal hatte ich Zeit dazu – mit Lesen füllte, vielleicht habe ich da auch größere Teile meiner Diplomarbeit geschrieben. Auch wenn es grundsätzlich sogar erlaubt gewesen wäre, mich kurz hinzulegen, wollte ich nichts von dieser gewonnenen Tageszeit abgeben und habe mich ehrlich gesagt auch nie getraut. Einzelne Nächte oder Wochenend-Vertretungen gingen dann allerdings an die Substanz, weil man den mangelnden Schlaf nicht „aufholen“ kann.

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Pflegefachkraft: Die zweite Nacht ist für mich die schwerste, da ich nach Nacht 1 häufig nicht gut einschlafen kann. Mein Körper ist dann auch nach 9 Stunden Arbeit noch wach, ich komme nicht zur Ruhe und schlafe dann schlecht. Ich bin dann müde, ich friere stark, und fühle mich, als würde ich krank werden. Ich merke nicht nur die Nachtschicht, sondern vor allem die Schichtwechsel. Ich kann mich nie an einen Rhythmus gewöhnen, wenn ich innerhalb von einer Woche alle drei verschiedenen Schichten gearbeitet habe, ist das Normalität. Nach 4 Tagen Spätdienst, wo man um 02:00 Uhr schlafen geht nur einen Tag später dann um 04:00 aufzustehen ist schwierig. Ebenso zählt die Nacht, aus der man kommt und theoretisch schon 7 Stunden gearbeitet hat, als freier Tag. Der wird bei uns Ausschlaftag genannt. So kann es vorkommen, dass man nur 24 Stunden später, wenn man aus der Nacht kommend morgens um 06:00 Uhr Übergabe an den Frühdienst macht, nur 24 Stunden später selbst als Frühdienst dasitzt. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Nachtarbeit. Schlafmasken, Ohrstöpsel und eine gute Planung sind essenziell. Nach einer Nachtschicht brauche ich Regeln für mich selbst. Gerade im Sommer muss es ordentlich dunkel sein, ansonsten liege ich hellwach im Bett, egal wie anstrengend der Dienst war. Meine Regeln sind: kein Koffein nach 02:00 Uhr, egal wie müde ich bin, nach Möglichkeit keine Aktivitäten vor 12:00 Uhr planen, um wenigstens ein bisschen zu schlafen, nicht mehr ans Handy gehen nach 08:00, egal was gerade los ist.

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Barkeeper: Es ist ganz wild. Teilweise bin ich einfach sehr ausgelaugt und habe selbst in meiner Freizeit kaum Energie für Dinge, die mir eigentlich Freude bereiten. Durch zum Teil chronischen Schlafmangel – da sich ja das Leben eben nicht in der Nacht abspielt – bin ich schon oft gereizt und/oder körperlich einfach nicht in Topform.

Licht und Lichtverschmutzung, insbesondere in der Nacht, sind viel diskutierte Themen. Wie siehst du das, gerade im Kontext deiner Arbeit? Fühlst du dich durch mehr Licht nachts sicherer und beruhigter bei der Arbeit? Oder bringt dir die Dunkelheit auch Vorteile?

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Sanitäterin: Es gab keine Momente, in denen ich mich unwohl gefühlt hätte wegen der Dunkelheit. Das war mit Sicherheit auch dem zu verdanken, dass wir immer als Team unterwegs waren. Die meisten Einsätze erfolgten auch nachts in Wohnungen. Aber im Allgemeinen war der Vorteil sicher, mit weniger Schaulustigen zu tun zu haben.

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Paketverteilerin: Wegen eines Mangels an anderen öffentlichen Transportmöglichkeiten bin ich von Innsbruck nach Hall mit dem Auto in die Arbeit gefahren. Hier habe ich mich nicht unsicher gefühlt und es hätte auch keine Beleuchtung direkt gebraucht. Auf dem Firmenparkplatz habe ich mich durchaus wohler gefühlt, weil es beleuchtet war. In der Halle habe ich mich nie unwohl gefühlt und wir brauchten auch das Licht, um die Versandschriften lesen zu können.

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Arzt: Naja, in den Räumlichkeiten, in denen man arbeitet, ist es ja auch nachts immer hell. Man ist eigentlich nur mit der Dunkelheit draußen konfrontiert und mit der ganzen Nachtatmosphäre. In ruhigen Stunden bringt diese einen zum Nachdenken, ab und an auch zu kreativem und besinnlichem Nachdenken.

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Nachtportier: Es war ambivalent. Ich habe ehrlich gesagt ein kindliches Vergnügen daraus gezogen, durch das nächtliche Hotel zu streifen, reinzuhören in den Körper, der durch die Situation einfach alerter ist, zum Beispiel Geräusche viel intensiver wahrnimmt, die nicht in die gewohnte Kulisse passen. Das an sich zu beobachten, seinen unwillkürlichen Angstreflexen und Instinkten nachzuspüren, und natürlich deren Überwindung war irgendwie faszinierend. Andererseits war es nicht immer angenehm, zu wissen, dass man in der beleuchteten Rezeption hinter der Glasschiebetür in der Auslage steht, während man kaum sieht, was auf der anderen Seite geschieht. Die Auslagesituation wirkte an starken Ausgehtagen an Wochenenden zudem gewissermaßen als Einladung für illuminierte Nachtschwärmer, die – manchmal auch in Gruppen – Einlass begehrten. Oft auch nur, weil der Abend ihren Bedarf an Kommunikation, Diskussion oder Konfrontation nicht gedeckt hatte und jemand in einem halböffentlichen Raum offensichtlich als Adressat zur Verfügung stand. Das waren mitunter schon herausfordernde Situationen. Dies hat weniger mit der Beleuchtungssituation an sich, als mit der Passantenfrequenz des „Nachtlebens“ zu tun.

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Pflegefachkraft: Im Krankenhaus ist es nie richtig dunkel. Die Lichter im Flur sind bei uns gedimmt, aber brennen weiter. In jedem Zimmer, in das man geht, um medizinische oder pflegerische Handlungen zu machen, wird ein kleines Nachtlicht angemacht, um beispielsweise eine Infusion anzuhängen. Wenn es dunkel ist, werde ich bei einer Nachtschicht schnell müde. Ich lasse deswegen im Stationszimmer meistens das große helle Tageslicht brennen. Die Dunkelheit, in Verbindung mit der Stille, fühlt sich manchmal seltsam an. Gerade, wenn es irgendwo klappert oder eine Tür aufgeht. Das kann die Anästhesistin aus dem Bereitschaftszimmer sein, die in den Kreißsaal rennt, oder ein eventueller Sturz. Man muss dann schauen gehen durch alle Zimmer, wenn man kein gutes Gefühl hat. Patient*innen, die weder zu Situation, Zeit noch Ort orientiert sind und eine starke Hinlauftendenz haben, haben manchmal die ganze Nacht das Licht brennen, um das Sturzrisiko zu senken. Ich grusle mich nachts nicht, doch manchmal kommt ein mulmiges Gefühl in einem auf.

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Barkeeper: Bei meiner Arbeit selbst fällt mir Lichtverschmutzung bzw. durchgehende Beleuchtung meines Lebensraums nicht auf, da ich drinnen arbeite – anders als jetzt zum Beispiel Straßenarbeitern oder Busfahrern – allerdings kann ich sagen, dass sich mein Heimweg durch durchgehende Helligkeit schon immer sehr sicher anfühlt. Mir fällt Dunkelheit in dem Sinne auf, dass ich quasi nie mit ihr konfrontiert werde, und sollte es dann einmal doch der Fall sein fühlt sie sich beinahe unnatürlich an. Natürlich könnte sich Dunkelheit nach der Reizüberflutung einer Bar (viele Menschen, laute Musik, Licht etc.) fast wie Erholung anfühlen, das kann ich in meinem Fall allerdings nicht beobachten.

Wenn alle schlafen, passieren seltsame Dinge – stimmt das? Was ist die skurrilste, schlimmste, denkwürdigste Erfahrung, die du in deiner Arbeit nachts erlebt hast?

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Sanitäterin: Ich denke, als Sanitäter*in gerät man allgemein in viele seltsame Situationen. Aber das war unabhängig, ob die Arbeit am Tag oder in der Nacht stattfand. Selten werden Situationen noch skurriler um 3 Uhr in der Nacht, aber da fällt mir eine ein: Wir wurden gerufen, weil das Auge seit einer Woche wehtut und auf Nachfrage, ob sich das um 3 Uhr in der Nacht gerade verschlimmert hätte, wurde mit einem „Nein“ geantwortet. Daraufhin haben wir gefragt, warum die Rettung gerufen wurde, und die Antwort war, dass sie nicht mehr schlafen konnte. Auf eine weitere Nachfrage, warum es nicht möglich war, dass der Partner sie ins Krankenhaus bringt, antwortete sie, dass sie im Krankenhaus nicht warten, sondern direkt behandelt werden wollte. Daraufhin haben wir natürlich erklärt, dass im Krankenhaus nochmal neu eingestuft wird und dass der Transport mit dem Rettungswaagen kein Kriterium für eine direkte Behandlung ist, sondern der Allgemeinzustand des Patienten.

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Arzt: In der Nacht kamen immer die heftigsten Fälle auf Station. Einmal brachten mir Polizisten einen Mann in die Psychiatrie, der seine Frau geschlagen hatte. Ich habe gefragt, warum sie ihn zu mir bringen und ihn nicht verhaften. Darauf kam die Gegenfrage: „Ist es normal, seine Frau zu schlagen?“

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Nachtportier: Man erlebt viele skurrile Dinge, richtig schlimme sind mir zum Glück erspart geblieben. Es gab Feueralarme, medizinische Notfälle, Polizei, sehr unangenehme Gäste und unangenehmen Besuch, mit dem man alleine zurechtkommen muss, und einiges mehr. Vieles davon ist untrennbar mit der nächtlichen Arbeitszeit verbunden. Es gab wirklich sehr seltsame nächtliche Zimmerservice-Bestellungen, Musiker, deren „Substanzen“ plötzlich unauffindbar waren, Überbuchungen und Komplikationen.

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Barkeeper: Ich habe eigentlich schon ziemlich alles gesehen. Von Drogendeals über Heiratsanträge mit Live Musik bis zu masturbierenden Obdachlosen, es gibt nichts was es nicht gibt.

Wieso hast du dich für diesen Beruf entschieden und möchtest du in diesem Bereich bleiben?

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Barkeeper: Meine zwei Lieblingsdinge im Leben: Menschen und Geld. Und durch meine Arbeit in der Nacht ist es mir möglich zu studieren, wenn natürlich auch nur mit sehr viel Koffein. Die nächsten Jahre auf jeden Fall, solange mein Körper noch mitmacht.

Es zeigt sich: Unabhängig davon, in welchem Bereich und auch in welchem Ausmaß die Nachtarbeit stattfindet, muss bei jeder Person erst ein Umgang damit gefunden werden. Die Nachtarbeit bedeutet in jedem Fall eine Umstellung, egal ob sozial, körperlich oder mental und lässt alle Menschen, die daran beteiligt sind, gesundheitliche Nachteile oder Herausforderungen erfahren.

In ihrem neuen Buch berichtet Lisa-Viktoria Niederberger übrigens auch über ihre eigenen Erfahrungen in der Nachtarbeit. Und über all die Ambivalenzen, Kontinuitäten und Gleichzeitigkeiten, die in der Dunkelheit zu entdecken sind.


Möchtest du weiter in die Dunkelheit eintauchen?

Lisa-Viktoria Niederberger beschäftigt sich in ihrem Essayband mit der Bedeutung von Dunkelheit, dem Zusammenhang zwischen Dunkelheit und Machtverhältnissen, mit verborgenen Klassenunterschieden, Patriarchatskritik, mit dem Himmel und den Sternen als Kulturgut, mit Naturschutz, Arbeitsschutz, feministischen und politischen Fragestellungen.

Sie fragt sich: Wie kann ein Leben aussehen, in dem wir der Dunkelheit wieder mehr Raum erlauben?

Dunkelheit“ ist eine literarische Spurensuche nach Ambivalenzen und Kontinuitäten rund um das Dunkle.

Überall erhältlich, wo es Bücher gibt! 


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