
INTO THE DARK – über die, die nachts wach sind
Mit der Dunkelheit verbinden wir vieles: Angst, Bedrohung und Gefahr, aber auch Geborgenheit, Frieden und Ruhe. Wir assoziieren Dunkelheit mit Nacht, mit Schlaf, mit Sternen. Dunkelheit fasziniert uns und Dunkelheit ist vielfältig, ambivalent.
Aber wie ist es, dann zu arbeiten, wenn es dunkel ist und alles schläft – zu arbeiten, wenn die Welt pausiert?
Mit Dunkelheit und der Nachtarbeit setzt sich auch Lisa-Viktoria Niederberger in ihrem neuen Essayband „Dunkelheit“ auseinander:
„Schicht- und Nachtarbeit, also Arbeit außerhalb der üblichen Tagesarbeitszeit, ist gängig, und zwar überall, insbesondere seit der industriellen Revolution, während der Fabrikarbeiter*innen schon gerne mal im Namen der Produktivität und des Wettbewerbs und unterstützt durch das Kunstlicht 80 bis 100 Stunden Wochenarbeitszeit zugemutet wurden, bis die Arbeiter*innenbewegung dem einen Strich durch die Rechnung machte.
Auch in der Gegenwart ist Nacht- und Schichtarbeit in vielen Bereichen nötig für das Fortbestehen der Gesellschaft, in anderen vielleicht nicht dringend überlebenswichtig, aber kulturstiftend und wichtig für das soziale Gefüge.” (Dunkelheit, 2025. S.163)
Wir haben mit verschiedenen Menschen gesprochen, die sowohl in system- als auch sozialrelevanten Bereichen nachts arbeiten oder gearbeitet haben. Eine Paketverteilerin, ein Barkeeper, ein Nachtportier, ein Arzt, eine Pflegefachkraft und eine Sanitäterin erzählen: über Schwierigkeiten und Vorteile der Nachtarbeit und über die Bedeutung von Licht.
Klappe die untenstehenden Blöcke aus, um die detaillierten Antworten lesen zu können.
Lisa-Viktoria Niederberger, geboren 1988, lebt als Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin in Linz. Ihr Schreiben geht oft Zusammenhängen, feinen Verbindungen und feministischen Fragestellungen nach und scheut sich nicht, nach Schönheit auch an den allerdunkelsten Orten zu suchen. Ihre Prosa wurde u. a. mit dem Kunstförderpreis der Stadt Linz, dem Theodor-Körner-Förderpreis und dem Exil-Literaturpreis ausgezeichnet.
Wie sieht beziehungsweise sah dein Arbeitsalltag aus? Welchen Anteil hat die nachtaktive Arbeit?
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Sanitäterin: Insgesamt habe ich sieben Jahre als Sanitäterin gearbeitet. In den sieben Jahren habe ich 5 Jahre auch Nachtdienste (20 Uhr abends – 6 Uhr morgens) übernommen. Wir hatten insgesamt sechs Nachtdienst-Teams, die sich im Dienstplan abgewechselt haben. Hier konnte man während des Nachdienstes schlafen und wurde geweckt im Falle eines Einsatzes, der im besten Falle ein wenig mehr als eine Stunde in Anspruch nimmt. Danach konnte man sich wieder schlafen legen.
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Paketverteilerin: Die Arbeit bei DHL begann um 3 Uhr in der Nacht. Deshalb bin ich um 2 Uhr aufgestanden und bin dann um halb drei losgefahren zur Arbeit. Ich hatte nur zwei Schichten pro Woche, da ich als Studentin unter dem zu versteuernden Betrag bleiben wollte. Die Arbeit bestand darin, Pakete aus den LKWs zu entladen und dann auf die richtigen Fließbänder zu sortieren, um spätestens um 6 Uhr alle Pakete in die richtigen LKWs verladen zu haben für den Weitertransport/Auslieferung. Diese Arbeit habe ich insgesamt ein halbes Jahr gemacht, mit dem Ziel, mir als Studentin eine Reise nach Nepal finanzieren zu können.
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Arzt: Als Arzt habe ich im Krankenhaus von Anfang an ca. vier Nachtdienste monatlich gemacht. Später als Oberarzt hatte ich sowohl Nachtdienste als auch Bereitschaftsdienste bis zu einer Woche monatlich, bei denen ich nachts jederzeit zu Hause geweckt werden konnte und in die Klinik fahren musste.
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Nachtportier: Ich habe früher neben dem Studium als Nachtportier gearbeitet. Und nicht nur rückblickend war das ein interessanter, fordernder und auch verantwortungsvoller Job, den ich sehr gern gemacht habe und bei dem ich nicht zuletzt auch viel gelernt habe. In den ersten Stunden von 22 Uhr bis ca. 1 Uhr versah ich die Aufgaben eines Rezeptionisten, wickelte die Anreisen ab und war natürlich erste Anlaufstelle aller Hotelgäste für alle Fragen. Sobald die Bar geschlossen hatte, begann ein Kontrollgang, bei dem die Türen abgesperrt wurden und ich war für den Tagesabschluss zuständig, dokumentierte und kontrollierte die Kassa, programmierte Weckrufe, erstellte Rechnungen und Listen usw. Dann brachen in der Regel mehrere Stunden an, die ruhiger waren und die ich hervorragend zum Lesen nutzen konnte, sofern die Arbeit es zuließ. Das war nicht immer gegeben, an Wochenenden in einem großen innerstädtischen Hotel ist oft im Haus und auch außerhalb viel Betrieb, mal wollen intoxikierte Personen sich Zugang verschaffen, mal sind es Lärmbeschwerden innerhalb des Hauses, medizinische Notfälle, auch Feueralarme, die mich auf Trab hielten. Als einziger Angestellter in einem Haus mit teilweise weit über 100 bewohnten Zimmern gebietet es ja das Gesetz der Wahrscheinlichkeiten, dass zwangsläufig jemand Hilfe braucht, nicht in den Schlaf findet, usw. Der surreale Gedanke, dass mehrere hundert Menschen in diesem Moment gerade alle über mir in ihren Zimmern schlafen und alles, was man hört, ist das laute Klackern und Poltern der Eismaschine in der Bar, kam mir dennoch erstaunlich oft. Gegen 4:00 morgens fing das Leben wieder an, die Brotlieferung kam, die Frühstücksköche trafen ein und ab 6 Uhr war ich wieder als „klassischer Rezeptionist“ im Einsatz, beim Auschecken, Kassieren, Informieren. Um 7 Uhr wurde ich in der Regel abgelöst.
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Pflegefachkraft: Ich arbeite in einem Krankenhaus als examinierte Pflegekraft. Ich arbeite im klassischen 3-Schicht-System. Das heißt, dass unsere Frühschicht um 6 beginnt, hier muss ich um 4 Uhr aufstehen. Was genau passiert, ist von Tag zu Tag unterschiedlich. Es gibt feste Termine, Besprechungen, Übergabezeiten, aber auch diese können manchmal nicht eingehalten werden. Ich arbeite auf einer unfallchirurgischen/orthopädischen Akutstation, es gibt keine geplanten Aufnahmen. Wenn sich jemand etwas bricht, kommt diese Person zu uns, das kann morgens um 06:30 in der Übergabezeit sein, um 10:00, wenn man versucht, Pause zu machen, oder auch nachts um 02:15, wenn alle schlafen sollten. Der Spätdienst geht bis 22:30 Uhr, was bedeutet, dass ich hier auch ohne Nachtschicht häufig erst nach 02:00 Uhr ins Bett gehe, um dann auszuschlafen, nur damit ich überhaupt so lange durchhalte. Obwohl es nicht zur klassischen Nachtschicht zählt, ist auch mein Spätdienst azyklisch. Man lebt an allen anderen vorbei, auch in einem 5-Personen-Haushalt kam es dann vor, dass ich über eine Woche lang niemanden zuhause gesehen habe. Unsere Nachtschicht beginnt um 21:00 Uhr und endet um 06:30. Hier gibt es pflegerisch-medizinisch drei Rundgänge zu erledigen, feste Zeiten für intravenöse Medikamentengaben und viele Dokumentations- und Aufräumarbeiten. Hier gibt es auch feste Zeiten, jedoch arbeitet man die Arbeit so ab, wie man es an die Patient*innen anpassen kann. Für viele meiner älteren Patient*innen, die als Nebendiagnose beispielsweise eine dementielle Entwicklung haben oder nach ihrer Operation im Delir sind, ist der Tag-Nacht-Rhythmus gestört. So kann es passieren, dass nachts manchmal der Pflegeaufwand höher ist als tagsüber. Orientierung geben, Patient*innen mit Hinlauftendenz suchen, die von Station verschwunden sind, Menschen mit Angstzuständen beizustehen – all das sind Aufgaben, mit denen ich vor Ausbildungsbeginn nicht gerechnet hätte. Ich mache meist 6-8 Nachtschichten im Monat, 2 Mal 3-4 Stück, mehr schaffe ich nicht gut.
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Barkeeper: Gastronomie. Ganz unterschiedlich, ich habe meistens wechselnde Schichten, sodass ich sowohl Tages- als auch Nachtschichten habe. Generell ist das ganze eher wechselhaft als routiniert.
Der natürliche Tagesablauf von hell und dunkel steht deinem Tagesablauf gegenüber: Wenn es hell ist, schläfst du, wenn es dunkel ist, musst du produktiv sein und arbeiten. Wie beeinflusst das dich mental und körperlich?
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Sanitäterin: Wenn der Funkmeldeempfänger geklingelt hat, dann hat es eine gewisse Alarmbereitschaft und Fokus in einem ausgelöst. Ganz unabhängig von Tag oder Nacht, konnte man sich somit auf die anstehende Arbeit konzentrieren und auf der Rückfahrt aus dem Krankenhaus konnte der Stress meist auch wieder abfallen, sodass ich selten länger als 15 Minuten gebraucht habe, um wieder einzuschlafen. Ich denke nicht, dass Einsätze in der Nacht mich mental oder körperlich mehr herausgefordert hätten, außer sie fanden direkt draußen in der Dunkelheit statt, dann war sich einen Überblick verschaffen definitiv erschwert, aber andere Probleme fielen auch weg, wie zum Beispiel Schaulustige.
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Paketverteilerin: Da es nur eine „halbe“ Nacht war, habe ich versucht, am Tag davor früh ins Bett zu gehen, dann aufzustehen für die Arbeit und die halbe Nacht mit einem Mittagsschlaf oder frühen Zubettgehen am selben Tag auszugleichen. Ich habe aber nach einem Monat bereits gemerkt, dass das nicht so ging, wie ich mir das zuvor vorgestellt hatte. Ich habe oft zwei Tage gebraucht, um wieder in meinen Tagesrhythmus zu finden und das war meistens das Intervall, in dem ich den zweiten Arbeitstag der Woche machen musste.
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Arzt: Mit dem Rhythmus als Arzt hat mich das weniger tangiert. Das heißt, ich war immer im Tag/Nacht-Rhythmus, allerdings oft übermüdet und oft hatte ich auch Schlafstörungen.
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Nachtportier: Probleme hatte ich eigentlich nur beim Umstellen des Rhythmus. Die Müdigkeit kam erst in der zweiten oder dritten Nacht, insbesondere die erste Nacht war immer wieder aufs Neue getragen von dem Gefühl des bewussten und ein bisschen faszinierten Erlebens der Zeit. Die Nacht kam mir vor wie ein riesiges Zeitreservoir, das ich dann – manchmal hatte ich Zeit dazu – mit Lesen füllte, vielleicht habe ich da auch größere Teile meiner Diplomarbeit geschrieben. Auch wenn es grundsätzlich sogar erlaubt gewesen wäre, mich kurz hinzulegen, wollte ich nichts von dieser gewonnenen Tageszeit abgeben und habe mich ehrlich gesagt auch nie getraut. Einzelne Nächte oder Wochenend-Vertretungen gingen dann allerdings an die Substanz, weil man den mangelnden Schlaf nicht „aufholen“ kann.
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Pflegefachkraft: Die zweite Nacht ist für mich die schwerste, da ich nach Nacht 1 häufig nicht gut einschlafen kann. Mein Körper ist dann auch nach 9 Stunden Arbeit noch wach, ich komme nicht zur Ruhe und schlafe dann schlecht. Ich bin dann müde, ich friere stark, und fühle mich, als würde ich krank werden. Ich merke nicht nur die Nachtschicht, sondern vor allem die Schichtwechsel. Ich kann mich nie an einen Rhythmus gewöhnen, wenn ich innerhalb von einer Woche alle drei verschiedenen Schichten gearbeitet habe, ist das Normalität. Nach 4 Tagen Spätdienst, wo man um 02:00 Uhr schlafen geht nur einen Tag später dann um 04:00 aufzustehen ist schwierig. Ebenso zählt die Nacht, aus der man kommt und theoretisch schon 7 Stunden gearbeitet hat, als freier Tag. Der wird bei uns Ausschlaftag genannt. So kann es vorkommen, dass man nur 24 Stunden später, wenn man aus der Nacht kommend morgens um 06:00 Uhr Übergabe an den Frühdienst macht, nur 24 Stunden später selbst als Frühdienst dasitzt. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Nachtarbeit. Schlafmasken, Ohrstöpsel und eine gute Planung sind essenziell. Nach einer Nachtschicht brauche ich Regeln für mich selbst. Gerade im Sommer muss es ordentlich dunkel sein, ansonsten liege ich hellwach im Bett, egal wie anstrengend der Dienst war. Meine Regeln sind: kein Koffein nach 02:00 Uhr, egal wie müde ich bin, nach Möglichkeit keine Aktivitäten vor 12:00 Uhr planen, um wenigstens ein bisschen zu schlafen, nicht mehr ans Handy gehen nach 08:00, egal was gerade los ist.
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Barkeeper: Es ist ganz wild. Teilweise bin ich einfach sehr ausgelaugt und habe selbst in meiner Freizeit kaum Energie für Dinge, die mir eigentlich Freude bereiten. Durch zum Teil chronischen Schlafmangel – da sich ja das Leben eben nicht in der Nacht abspielt – bin ich schon oft gereizt und/oder körperlich einfach nicht in Topform.
Du arbeitest nicht nur gegen den natürlichen Tagesablauf, sondern auch gegen den sozialen: Supermärkte, Ärzt*innen etc. haben geschlossen, wenn du schläfst/keine Zeit hast. Wie beeinflusst dich das bei deiner Tagesplanung?
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Sanitäterin: Dadurch, dass wir nur „geweckt“ wurden, wenn wir für einen Notfall rausfahren mussten, gab es nur sehr selten Nächte, wo wir gar nicht schlafen konnten. Zudem haben wir durch die Rotation der Nachtdienst-Teams nur jeden sechsten Tag einen Nachdienst übernehmen müssen. Die Nächte waren mit und ohne Unterbrechung sicher nie so erholsam wie Nächte, in denen man nicht auf Bereitschaft war. Jedoch fiel es mir anschließend nicht schwer, am darauffolgenden Morgen zur Schule zu gehen oder meinem Tag nachzugehen. Manchmal, bei sehr anstrengenden Nächten, hat ein Nachmittagsschlaf nach der Schule alles wieder in einen normalen Tag-Nacht-Rhythmus gebracht.
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Paketverteilerin: Ich war allgemein zwei Tage danach müde, was mich aber von Arztbesuchen und Einkäufen nicht abgehalten hat. Schwieriger waren die Lernphasen, die an müden Tagen erschwert wurden und meine Produktivität erheblich beeinträchtigt haben.
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Arzt: Da ich auch tagsüber meist bis nach Geschäftsschluss gearbeitet habe, wurde alles auf das Wochenende verschoben. Gott sei Dank hatte meine Frau einen anderen Rhythmus.
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Nachtportier: Ich habe das in Studienzeiten vor allem in den Ferien gemacht; das Zeitfenster, Erledigungen zu machen, Freund*innen zu treffen, anderen Verpflichtungen nachzugehen ist an den Tagen nach den Nachtschichten klein. Damals war das kein schlechter Kompromiss, auch dass man weniger Gelegenheit hat, abends Geld auszugeben, war eher ein Benefit. Heute mit Familie könnte ich mir das als Lebensentwurf schwerer vorstellen. Es ist mir natürlich auch klar, dass es ein Privileg ist, nicht auf dauerhafte Nachtarbeit angewiesen zu sein.
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Barkeeper: Wie in der vorigen Frage bereits angesprochen, bin ich oft gezwungen meinen Schlaf drastisch zu reduzieren, was natürlich suboptimal ist. Sämtliche Pläne – seien es Sozialkontakte oder Termine – werden von mir immer mehrfach abgewogen, ob sie es wirklich wert sind oder ob ich doch auf sie verzichten kann.
Licht und Lichtverschmutzung, insbesondere in der Nacht, sind viel diskutierte Themen. Wie siehst du das, gerade im Kontext deiner Arbeit? Fühlst du dich durch mehr Licht nachts sicherer und beruhigter bei der Arbeit? Oder bringt dir die Dunkelheit auch Vorteile?
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Sanitäterin: Es gab keine Momente, in denen ich mich unwohl gefühlt hätte wegen der Dunkelheit. Das war mit Sicherheit auch dem zu verdanken, dass wir immer als Team unterwegs waren. Die meisten Einsätze erfolgten auch nachts in Wohnungen. Aber im Allgemeinen war der Vorteil sicher, mit weniger Schaulustigen zu tun zu haben.
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Paketverteilerin: Wegen eines Mangels an anderen öffentlichen Transportmöglichkeiten bin ich von Innsbruck nach Hall mit dem Auto in die Arbeit gefahren. Hier habe ich mich nicht unsicher gefühlt und es hätte auch keine Beleuchtung direkt gebraucht. Auf dem Firmenparkplatz habe ich mich durchaus wohler gefühlt, weil es beleuchtet war. In der Halle habe ich mich nie unwohl gefühlt und wir brauchten auch das Licht, um die Versandschriften lesen zu können.
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Arzt: Naja, in den Räumlichkeiten, in denen man arbeitet, ist es ja auch nachts immer hell. Man ist eigentlich nur mit der Dunkelheit draußen konfrontiert und mit der ganzen Nachtatmosphäre. In ruhigen Stunden bringt diese einen zum Nachdenken, ab und an auch zu kreativem und besinnlichem Nachdenken.
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Nachtportier: Es war ambivalent. Ich habe ehrlich gesagt ein kindliches Vergnügen daraus gezogen, durch das nächtliche Hotel zu streifen, reinzuhören in den Körper, der durch die Situation einfach alerter ist, zum Beispiel Geräusche viel intensiver wahrnimmt, die nicht in die gewohnte Kulisse passen. Das an sich zu beobachten, seinen unwillkürlichen Angstreflexen und Instinkten nachzuspüren, und natürlich deren Überwindung war irgendwie faszinierend. Andererseits war es nicht immer angenehm, zu wissen, dass man in der beleuchteten Rezeption hinter der Glasschiebetür in der Auslage steht, während man kaum sieht, was auf der anderen Seite geschieht. Die Auslagesituation wirkte an starken Ausgehtagen an Wochenenden zudem gewissermaßen als Einladung für illuminierte Nachtschwärmer, die – manchmal auch in Gruppen – Einlass begehrten. Oft auch nur, weil der Abend ihren Bedarf an Kommunikation, Diskussion oder Konfrontation nicht gedeckt hatte und jemand in einem halböffentlichen Raum offensichtlich als Adressat zur Verfügung stand. Das waren mitunter schon herausfordernde Situationen. Dies hat weniger mit der Beleuchtungssituation an sich, als mit der Passantenfrequenz des „Nachtlebens“ zu tun.
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Pflegefachkraft: Im Krankenhaus ist es nie richtig dunkel. Die Lichter im Flur sind bei uns gedimmt, aber brennen weiter. In jedem Zimmer, in das man geht, um medizinische oder pflegerische Handlungen zu machen, wird ein kleines Nachtlicht angemacht, um beispielsweise eine Infusion anzuhängen. Wenn es dunkel ist, werde ich bei einer Nachtschicht schnell müde. Ich lasse deswegen im Stationszimmer meistens das große helle Tageslicht brennen. Die Dunkelheit, in Verbindung mit der Stille, fühlt sich manchmal seltsam an. Gerade, wenn es irgendwo klappert oder eine Tür aufgeht. Das kann die Anästhesistin aus dem Bereitschaftszimmer sein, die in den Kreißsaal rennt, oder ein eventueller Sturz. Man muss dann schauen gehen durch alle Zimmer, wenn man kein gutes Gefühl hat. Patient*innen, die weder zu Situation, Zeit noch Ort orientiert sind und eine starke Hinlauftendenz haben, haben manchmal die ganze Nacht das Licht brennen, um das Sturzrisiko zu senken. Ich grusle mich nachts nicht, doch manchmal kommt ein mulmiges Gefühl in einem auf.
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Barkeeper: Bei meiner Arbeit selbst fällt mir Lichtverschmutzung bzw. durchgehende Beleuchtung meines Lebensraums nicht auf, da ich drinnen arbeite – anders als jetzt zum Beispiel Straßenarbeitern oder Busfahrern – allerdings kann ich sagen, dass sich mein Heimweg durch durchgehende Helligkeit schon immer sehr sicher anfühlt. Mir fällt Dunkelheit in dem Sinne auf, dass ich quasi nie mit ihr konfrontiert werde, und sollte es dann einmal doch der Fall sein fühlt sie sich beinahe unnatürlich an. Natürlich könnte sich Dunkelheit nach der Reizüberflutung einer Bar (viele Menschen, laute Musik, Licht etc.) fast wie Erholung anfühlen, das kann ich in meinem Fall allerdings nicht beobachten.
Welche Herausforderungen bringt diese Arbeit in der Dunkelheit, die Arbeit gegen den natürlichen und sozialen Tagesablauf mit sich?
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Sanitäterin: Die meisten Einsätze fanden in Wohnungen statt, das heißt, hier gab es keine Nachteile gegenüber Einsätzen am Tag. Wenn ein Einsatz draußen in der Dunkelheit stattfand, war es schwieriger, sich einen Überblick zu verschaffen. Oft ist die Feuerwehr mit ihren Scheinwerfern auch gleich mit uns ausgerückt. In sozialer Hinsicht gab es gefühlt nicht so viele Einschränkungen, weil ich mir nur 1-2 Tage die Woche keine Termine gelegt habe. Wenn der Nachtdienst genau am Wochenende war und es gleichzeitig mit einem sozialen Event zusammengefallen ist, war das natürlich manchmal ärgerlich. Aber in der Summe hat es mich nicht belastet.
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Paketverteilerin: Dadurch, dass die Arbeit in der Halle stattgefunden hat, gab es keine besonderen Herausforderungen zur Ausführung der Arbeit. Aber in sozialer Hinsicht brauchte ich oft zwei Tage, um mich wieder an den Rhythmus meiner Studienkolleg*innen anpassen zu können und das war meistens das Intervall, in dem ich dann die nächste Schicht antreten musste. Somit hat mich dieser ständige Wechsel irgendwann belastet, weil meine innere Uhr immer verwirrt war.
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Arzt: Man hat weniger Ablenkung und ist mehr mit sich selbst konfrontiert. Für Menschen, die sich innerlich leer fühlen, ist der Nachtdienst sicher belastender.
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Barkeeper: Schlafmangel, weniger Sozialkontakte außerhalb der Arbeit, Zeitmangel, Probleme mit Motivation.
Wenn alle schlafen, passieren seltsame Dinge – stimmt das? Was ist die skurrilste, schlimmste, denkwürdigste Erfahrung, die du in deiner Arbeit nachts erlebt hast?
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Sanitäterin: Ich denke, als Sanitäter*in gerät man allgemein in viele seltsame Situationen. Aber das war unabhängig, ob die Arbeit am Tag oder in der Nacht stattfand. Selten werden Situationen noch skurriler um 3 Uhr in der Nacht, aber da fällt mir eine ein: Wir wurden gerufen, weil das Auge seit einer Woche wehtut und auf Nachfrage, ob sich das um 3 Uhr in der Nacht gerade verschlimmert hätte, wurde mit einem „Nein“ geantwortet. Daraufhin haben wir gefragt, warum die Rettung gerufen wurde, und die Antwort war, dass sie nicht mehr schlafen konnte. Auf eine weitere Nachfrage, warum es nicht möglich war, dass der Partner sie ins Krankenhaus bringt, antwortete sie, dass sie im Krankenhaus nicht warten, sondern direkt behandelt werden wollte. Daraufhin haben wir natürlich erklärt, dass im Krankenhaus nochmal neu eingestuft wird und dass der Transport mit dem Rettungswaagen kein Kriterium für eine direkte Behandlung ist, sondern der Allgemeinzustand des Patienten.
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Arzt: In der Nacht kamen immer die heftigsten Fälle auf Station. Einmal brachten mir Polizisten einen Mann in die Psychiatrie, der seine Frau geschlagen hatte. Ich habe gefragt, warum sie ihn zu mir bringen und ihn nicht verhaften. Darauf kam die Gegenfrage: „Ist es normal, seine Frau zu schlagen?“
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Nachtportier: Man erlebt viele skurrile Dinge, richtig schlimme sind mir zum Glück erspart geblieben. Es gab Feueralarme, medizinische Notfälle, Polizei, sehr unangenehme Gäste und unangenehmen Besuch, mit dem man alleine zurechtkommen muss, und einiges mehr. Vieles davon ist untrennbar mit der nächtlichen Arbeitszeit verbunden. Es gab wirklich sehr seltsame nächtliche Zimmerservice-Bestellungen, Musiker, deren „Substanzen“ plötzlich unauffindbar waren, Überbuchungen und Komplikationen.
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Barkeeper: Ich habe eigentlich schon ziemlich alles gesehen. Von Drogendeals über Heiratsanträge mit Live Musik bis zu masturbierenden Obdachlosen, es gibt nichts was es nicht gibt.
Gibt es für dich auch positive Aspekte an einer nachtaktiven Arbeit; schöne Momente, die du erlebt hast, gute Erfahrungen; Momente, aus denen du lernen konntest?
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Sanitäterin: Allgemein gab es als Sanitäterin viele Momente, die auch schön waren oder aus denen man lernen konnte. Aber das war unabhängig, ob die Arbeit am Tag oder in der Nacht stattfand. Allgemein war es ein gutes Gefühl, wenn wir eine gute Übergabe im Krankenhaus machen konnten.
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Paketverteilerin: Ich habe sicher ein Verständnis bekommen für Arbeiter, die in der Nachtschicht und Paketverteilung arbeiten. Aufgrund meiner Erfahrung als Sanitäter in der Nachtschicht habe ich total unterschätzt, wie viel stärker es den Tagesrhythmus beeinflusst, wenn man wirklich die halbe Nacht wach ist und arbeitet, als wenn man einen „unruhigen“ Schlaf oder Schlaf mit Unterbrechungen hat.
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Arzt: Ja, wenn man auf dem Balkon oder in den anliegenden Park tritt, die Stille im Dienstzimmer, draußen die Dunkelheit, wird man mit dem Geheimnis des Lebens, ja mit dem Geheimnis des Seins konfrontiert, mit dem Geheimnis, dass es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts….
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Nachtportier: Es gab sehr viele schöne Erlebnisse, an die ich sehr gerne zurückdenke, wobei ich all diese Erfahrungen in einer zeitlich von Vornherein begrenzten Lebensphase als cis-Mann gemacht habe – also ist in vielerlei Hinsicht mein Blick darauf zu relativieren. Ich habe unheimlich viel gelernt, ich habe sehr viele skurrile, erzählenswerte Geschichten erlebt und blicke gern darauf zurück. Besonders schön war es immer wieder, um 5 oder 6 in der Früh auf die menschenleere Straße hinauszutreten. Schön war es auch, dass es wie bei „The Grand Budapest Hotel“ eine Art Telefonschalte der Nachtportiere gab, die einerseits Zimmersuchende weitervermittelte, aber vor allem warnte – vor verhaltensauffälligen Menschen, die die Hotels abklapperten, notorischen Zechprellern, die bei anderen schon ihr Glück versucht hatten und anderen Unruhestiftern, die in der jeweiligen Nacht unterwegs waren. Und ein Highlight, von dem ich immer noch gern erzähle, ist eine Katze, die sich auf ihrer Runde durch den Ort immer irritierend exakt um die gleiche Uhrzeit (wirklich auf die Minute genau) vor der Glastür des Hotels einfand und mich mehrere Minuten (!) lang anstarrte.
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Barkeeper: So viel hier gejammert wurde, ich find es im Großen und Ganzen einen der besten Jobs überhaupt. Menschen kommen zu mir, um zu entspannen, zu feiern oder generell eine schöne Zeit zu genießen, und ihnen das bieten zu können fühlt sich schon jedes Mal toll an. Auf der anderen Seite am Feierabend eine beinahe komplett menschenleere Stadt nach Stunden Extrovertiertheit ganz für sich alleine zu haben ist auch unfassbar toll.
Wieso hast du dich für diesen Beruf entschieden und möchtest du in diesem Bereich bleiben?
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Barkeeper: Meine zwei Lieblingsdinge im Leben: Menschen und Geld. Und durch meine Arbeit in der Nacht ist es mir möglich zu studieren, wenn natürlich auch nur mit sehr viel Koffein. Die nächsten Jahre auf jeden Fall, solange mein Körper noch mitmacht.
Wieso hast du dich letztendlich gegen diese Arbeit entschieden und was machst du jetzt?
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Sanitäterin: Die Arbeit habe ich sehr gern gemacht und ich hätte sie sehr gerne in Österreich fortgeführt. Aber da Sanitäter*in ein Ausbildungsberuf ist, konnte ich mir die Ausbildung in Österreich nicht anrechnen lassen und während des Studiums hatte ich keine Motivation, die Ausbildung als Rettungssanitäter*in nochmal anzufangen. Ich bin noch vier Jahre weiterhin in Luxemburg gefahren, zwischen den längeren vorlesungsfreien Phasen, aber das habe ich auch irgendwann eingestellt aufgrund mangelnder Zeit für Fortbildungstage, die man braucht, um auch Fälle immer wieder zu üben, die man nur sehr selten vorfindet, aber bei denen jeder Handgriff sitzen muss (zB: Reanimation, Helm eines Motorradfahrers ausziehen, Freischneiden aus einem Autowrack…).
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Paketverteilerin: Ich habe die Arbeit an sich gern gemacht, aber dieser ständige Eingriff in meinen biologischen Rhythmus hat mich schon nach einem Monat sehr genervt. Als ich den Job begonnen habe, dachte ich, dass ich mit „einmal ausschlafen“ oder einem kurzen Nachmittagsschlaf ganz normal weiter am Tagesablauf mit meinen Studienkollegen teilnehmen kann, was sich als Irrtum herausstellte. Jetzt arbeite ich nach meinem Studium in der Prozessentwicklung für Medikamente, wo ich einen normalen Tagesrhythmus habe.
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Arzt: Mit zunehmendem Alter habe ich Nachtdienste als immer belastender empfunden. Ich habe mich inzwischen als Arzt niedergelassen und brauche deshalb keine Nachtdienste mehr machen.
Es zeigt sich: Unabhängig davon, in welchem Bereich und auch in welchem Ausmaß die Nachtarbeit stattfindet, muss bei jeder Person erst ein Umgang damit gefunden werden. Die Nachtarbeit bedeutet in jedem Fall eine Umstellung, egal ob sozial, körperlich oder mental und lässt alle Menschen, die daran beteiligt sind, gesundheitliche Nachteile oder Herausforderungen erfahren.
In ihrem neuen Buch berichtet Lisa-Viktoria Niederberger übrigens auch über ihre eigenen Erfahrungen in der Nachtarbeit. Und über all die Ambivalenzen, Kontinuitäten und Gleichzeitigkeiten, die in der Dunkelheit zu entdecken sind.
Möchtest du weiter in die Dunkelheit eintauchen?
Lisa-Viktoria Niederberger beschäftigt sich in ihrem Essayband mit der Bedeutung von Dunkelheit, dem Zusammenhang zwischen Dunkelheit und Machtverhältnissen, mit verborgenen Klassenunterschieden, Patriarchatskritik, mit dem Himmel und den Sternen als Kulturgut, mit Naturschutz, Arbeitsschutz, feministischen und politischen Fragestellungen.
Sie fragt sich: Wie kann ein Leben aussehen, in dem wir der Dunkelheit wieder mehr Raum erlauben?
„Dunkelheit“ ist eine literarische Spurensuche nach Ambivalenzen und Kontinuitäten rund um das Dunkle.
Überall erhältlich, wo es Bücher gibt!