„Den Tod kann man nicht intellektuell begreifen, den begreift man haptisch“ – Gespräch mit Bernhard Schöpfer, Gründer von „Der Fährmann”
2013 gründete Bernhard Schöpfer die Bestattung „Der Fährmann“ und damit einen Raum für alternative Verabschiedungen von Verstorbenen. Das Unternehmen ist seitdem Anlaufstelle für Trauernde; neben der Unterstützung bei der Organisation traditioneller und individueller Abschiedsfeiern und Bestattungen liegt ein großer Fokus auf der Trauerarbeit, denn: Diese ist für die Hinterbliebenen genauso wichtig. Wir haben uns mit ihm über seine Arbeit, Abschiedsrituale und den Stellenwert des Todes in der Gesellschaft unterhalten.
Bernhard, wie kam die Idee für die Bestattung „Der Fährmann“? Was hat dich dazu gebracht, dich beruflich mit Tod und Abschied zu beschäftigen?
Die Idee kam aus dem Bedürfnis heraus, etwas an unserem aktuellen System der Beerdigungen zu ändern. Ich habe gemerkt, ich bin nicht ganz zufrieden mit der Trauerkultur, die bei uns üblich ist – etwas fehlt. Beerdigungen und die damit zusammenhängenden Abläufe werden meistens nach einem bestimmten Muster abgewickelt und möglichst schnell erledigt. Übrig bleibt danach in der Regel nur der Partezettel – der Raum, wo die Trauer ihren Platz findet, wird nicht ausreichend geöffnet für die, die einen geliebten Menschen verloren haben. Genau hier wollte ich ansetzen und eine Lücke füllen, den Hinterbliebenen und ihren Gefühlen Platz geben.
Und nicht zuletzt ist unsere Trauerkultur sehr eng mit dem christlichen Glauben verbunden. Es gibt kaum Rituale in Bezug aufs Begräbnis außerhalb der Kirche, ohne dass ein Pfarrer dabei ist. Viele wissen gar nicht, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, im Sinne des*der Verstorbenen einen angemessenen Abschied zu bereiten.
Was genau macht „Der Fährmann“? Was unterscheidet euch von anderen, „klassischen“ Bestattungsunternehmen?
Wir bemühen uns dahingehend, dass auch Beerdigungen außerhalb der Kirche, unabhängig vom Kulturkreis, in welchem (nicht)religiösen Kontext auch immer, würdevoll stattfinden; nicht nur für den*die Verstorbene*n, sondern vor allem für die Angehörigen. Es ist Teil der Trauerarbeit, die wir machen, und diese muss unserer Erfahrung nach möglichst bald losgehen und nicht erst nach dem Begräbnis. Wir versuchen, die Menschen einzubinden, Möglichkeiten zu bieten, sich handlungsfähig zu erleben in ihrer Ohnmacht und nicht alles fernhalten.
Wenn jemand stirbt, kann man als Angehörige*r gewisse Dinge nur zu einem bestimmten Zeitpunkt machen – danach ist es unwiederbringlich. Ich kann nach der Beerdigung dem*der Toten nicht mehr ein letztes Mal über die Wange streicheln, die Hand halten und vieles mehr. Als Bestatter ist es meine Verantwortung, Räume dafür zu öffnen, unwiederbringliche Momente zu ermöglichen. Das kann unterschiedlich aussehen: die Angehörigen fragen, ob sie etwas tun wollen, den*die Tote*n nochmal berühren, zu ihm*ihr sprechen. Oft nehmen sie das dankend an, sind im Nachhinein froh, das getan zu haben. Den Tod kann man nicht intellektuell begreifen, den begreift man haptisch. Deshalb sind Berührungen umso wichtiger in der Trauerarbeit. Beim Abschied von einem geliebten Menschen darf alles Platz haben, alles gesagt werden – auch, was nicht so gut war.
Auf der Homepage von „Der Fährmann“ ist immer wieder die Rede von „Abschiedsfeiern“ – das ist ungewöhnlich. Das Leben feiern – ja. Aber den Tod?
In der röm.-kath. Kirche gibt es einen Beerdigungsritus, der im Grunde immer gleich abläuft. Je nach Pfarrer hat daneben noch etwas Platz oder eben nicht. Wenn man sich für ein freies Begräbnis entscheidet, können Feiern sehr individuell gestaltet werden. Hier steht die verstorbene Person im Mittelpunkt und kann durch die zahlreichen Erinnerungen der Anwesenden noch einmal richtig aufblühen. Es entwickelt sich dadurch viel mehr Platz für Emotionalität, auch wenn man sich nicht bewusst dafür entscheidet, sich dem hinzugeben.
Rituale sind wichtig, um den Abschied zu begehen, ihn vor allem bewusst zu erleben, anstatt nur in starren Riten durchmanövriert zu werden. Trauern heißt auch aktiv zu sein, sich bewusst handlungsfähig zu machen und die Verabschiedung mit seinem Beitrag zu bereichern. Wenn sich der*die Verstorbene immer etwas Bestimmtes für das Begräbnis vorgestellt hat und ich setze mich dafür ein, dass dieser Wunsch erfüllt wird, dann habe ich etwas Schönes für sie*ihn getan. In meiner Erfahrung ist das ein sehr tröstlicher Gedanke für die Hinterbliebenen.
Im Vorfeld ist es natürlich hilfreich zu wissen: Wie will die Person beerdigt werden? Welche Rituale sind wichtig für sie? Das gehört ebenfalls zur Trauerarbeit: den Angehörigen aufzuzeigen, dass sie den Abschied aktiv mitgestalten können, um auch für sich einen Weg der Bewältigung des Verlusts zu finden.
Wie steht die heutige Gesellschaft deiner Einschätzung nach dem Tod gegenüber? Ist er Teil des Lebens oder immer noch ein schwieriges Thema?
Ich würde sagen, es ist nach wie vor schwierig. Die Art und Weise, mit der wir in der Gesellschaft mit dem Tod umgehen, ist geprägt davon, wie wir den Umgang damit erleben – eben meistens als schnelles Abwickeln der üblichen Abläufe ohne die Möglichkeit, angemessen zu trauern. In den letzten Jahrzehnten hat sich diesbezüglich viel getan. Früher war der Pfarrer zuständig, sich um das Seelenwohl des*der Sterbenden zu kümmern. Heute wird das ins Krankenhaus ausgelagert und es geht bis zum Schluss um Heilung. Mittlerweile wird durch Palliative Care versucht dem Sterbeprozess wieder Raum zu geben.
Noch ein kurzer Blick auf den Tod historisch gesehen: Wir haben eine Zeit der Weltkriege hinter uns, wo so viel Tod und Leid passiert ist, dass die Menschen wenig Möglichkeit hatten, die Trauer zuzulassen. Es herrschte eher das Motto „Jammer nicht, wir haben überlebt”. Mittlerweile ist das anders, da (zumindest in unserem unmittelbaren Umfeld) kein Krieg herrscht und der Abschied nun wieder besser möglich ist. Es zeigt sich auch eine erfreuliche Entwicklung in der jetzigen Zeit: Das Bedürfnis, zu trauern, wird wieder größer, die Menschen trauen sich wieder mehr, in diese Emotion reinzugehen.
Oft fällt es uns schwer, unser Beileid auszudrücken, die richtigen Worte zu finden. Wie kann man deiner Erfahrung nach auch ohne große Worte für Hinterbliebene da sein, ihnen Trost spenden?
Ich verstehe die Hilflosigkeit Außenstehender, wenn es um den Umgang mit Trauernden geht, gut. Worte bringen den Menschen nicht mehr zurück, machen die Situation nicht besser. Die Straßenseite zu wechseln, das Gespräch zu meiden, nichts zu sagen ist aber weit schlimmer. Es ist okay und wichtig, den Verlust feinfühlig anzusprechen und Beileid zu wünschen. Für die Trauernden kann diese Wertschätzung, die ihnen und dem*der Verstorbenen so entgegengebracht wird, sehr bereichernd sein. Und es braucht nicht unbedingt viele Worte – manchmal reicht ein feiner Händedruck, ein Blick, eine Berührung.
Du möchtest dich näher zum Angebot des „Fährmanns“ informieren? Hier geht es zur Website: https://www.der-faehrmann.at/home/