„Ihr werdet mich wahrscheinlich hassen für dieses Buch über Liebe“ – ein Interview mit Beatrice Frasl
Kaum etwas wird mehr romantisiert als romantische Liebe … kaum etwas hat diese Romantisierung weniger verdient!
Die Liebe – sie wird seit Jahrhunderten leidenschaftlich in Liedern besungen, in der Literatur wird ihr gelobhudelt, und in Filmen wird sie selbst in ihren toxischsten Ausformungen glorifiziert. Wir haben die romantische Liebe trotz ihrer Volatilität und meist relativ kurzen Dauer zu einem zentralen gesellschaftlichen Organisationsmodell gemacht. Romantische Liebe ist das, was uns pausenlos und von klein auf als unerlässlicher Bestandteil von Lebensglück und Erfüllung ins Hirn gehämmert wird. Dabei ist ihre Realität alles andere als romantisch – und das vor allem für Frauen. Heteroromantische Beziehungen bilden den Rahmen dafür, dass Frauen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit übernehmen, weniger verdienen und in Abhängigkeiten rutschen. Unverheiratete Frauen ohne Kinder sind dagegen die glücklichste und gesündeste Bevölkerungsgruppe. Sie haben eine höhere Lebenserwartung als verheiratete, während verheiratete Männer länger leben als unverheiratete. Romantische Beziehungen mit Männern schaden Frauen: gesundheitlich, emotional und wirtschaftlich.
„Ihr werdet mich wahrscheinlich hassen für dieses Buch über Liebe”, sagt die Autorin über ihr neues Buch „Entromantisiert euch!“. Warum wir es trotzdem lesen sollen? Wir haben mit Beatrice Frasl darüber gesprochen.
Liebe Beatrice, wie würdest du selbst dein Buch beschreiben?
„Entromantisiert euch!” ist ein Buch, das sich kritisch mit der romantischen Liebe auseinandersetzt und sich ebenso kritisch ansieht, welche Rolle die romantische Liebe in kapitalistischen, aber vor allem auch in patriarchalen Verhältnissen spielt.
Der Titel deines Buches ist sehr prägnant, eine ganz klare Aufforderung. Warum sollen wir uns alle entromantisieren?
Ich glaube, wir sollten uns alle kritisch mit der eigenen Beziehungspraxis auseinandersetzen und uns vielleicht auch überlegen, inwiefern sie uns schadet. Wir sollten Normen im Bezug auf Liebe hinterfragen und die romantische Liebe als zentralen Ordnungspunkt unseres Lebens vom Thron stoßen. Gleichzeitig sollten wir anderen Formen von Liebe mehr Raum geben und kritisch darüber nachdenken, was uns eigentlich als romantische Liebe verkauft wird. Insbesondere müssen wir auch reflektieren, welche sehr toxischen, schwierigen oder schädlichen Ideen von Liebe uns als romantisch nahegelegt werden, es aber vielleicht gar nicht sind.
Beatrice Frasl ist Kulturwissenschaftlerin/Geschlechterforscherin, Podcasterin, Kolumnistin und immer: Feministin. In ihren Arbeiten setzt sie sich seit Jahren mit den Leerstellen im Gesundheitssystem, psychischen Erkrankungen und Feminismus auseinander. In ihrem Podcast „Große Töchter“ bearbeitet sie geschlechterspezifische, gesellschaftspolitische Fragen. Als @fraufrasl betreibt sie auf Social Media Aufklärung zum Thema psychische Gesundheit und Feminismus. Ihr Ziel? Ein besserer Zugang zu Therapie für alle und: das endgültige Aus für das Patriarchat.
Beim Lesen deines Buches wird schnell deutlich: Viele Menschen profitieren nicht von der romantischen Liebe. Wer kann einen Nutzen aus der romantischen Liebe ziehen und warum?
Von der heteroromantischen Liebe profitieren vor allem Männer. Studien belegen, dass Männer, die mit Frauen verheiratet sind, länger leben, glücklicher sind und dass sie auch gesünder sind. Bei Frauen ist es umgekehrt, sie leben circa um ein Jahr kürzer und weniger gesund. Die Lebenserwartung sinkt, wenn sie mit Männern zusammen sind. Sie sind statistisch auch weniger glücklich als Männer, aber auch als Frauen, die keinen Partner haben. Männer profitieren insbesondere von der heteroromantischen Liebe, von der romantischen Liebe an sich profitiert in besonders großem Ausmaß auch der Kapitalismus. Es gibt ganze Wirtschaftszweige, die ohne romantische Liebe nicht funktionieren würden. Damit sind nicht Valentinstagsgeschenke, Candlelight-Dinner oder Wellnessurlaube zu zweit gemeint, sondern auch Dating Apps, Paarcoaches bis hin zu Scheidungsanwält*innen. Auch die Schönheitsindustrie profitiert davon, weil vor allem Frauen von klein auf beigebracht bekommen, dass sie sich auf einen männlichen Blick zurichten müssen und diesen männlichen Blick dann auch sehr internalisieren. Deshalb würde es die Schönheitsindustrie in ihrer derzeitigen Form wahrscheinlich ohne das Ideal der romantischen Liebe und ohne das Romantikprimat nicht geben.
Freund*innen werden oft an zweite Stelle gesetzt, wenn jemand in einer romantischen Paarbeziehung ist, obwohl Freund*innenschaften oft länger halten als eine romantische Paarbeziehung. Warum sind Freund*innenschaften gerade heute so wichtig, warum sollen wir sie pflegen?
Immer mehr Menschen leben als sogenannte Singles, vor allem Frauen. Die Scheidungsrate steigt, die Verheiratungsrate sinkt, die heterosexuelle Paarbeziehung und die Paarbeziehung an und für sich verliert gesellschaftlich immer mehr an Stellung oder Bedeutung. In der nächsten Zeit wird es notwendig sein, dass wir uns über die Bedeutung von Familie jenseits der Paarbeziehung und der Kleinfamilie Gedanken machen. Wir müssen versuchen, neue Formen von Familie und von Liebe zu etablieren und möglicherweise auch rechtlich abzusichern.
Oft wird die romantische Paarbeziehung als ein Heilmittel gegen eine Pandemie der Einsamkeit gesehen. Warum geht diese Gleichung nicht auf?
Die romantische Paarbeziehung ist die Beziehung, an die wir denken, wenn wir das Wort „Beziehung“ hören. Die romantische Beziehung hat alles an unserem Sprechen über Liebe vereinnahmt. Wenn wir über Liebe, über Beziehung, über Partnerschaft sprechen, sprechen wir über die romantische Paarbeziehung. Das ist sozusagen der Inbegriff für eine Beziehung überhaupt und wird ganz oft als Gegenteil der Einsamkeit verstanden: „Alle, die single sind, sind einsam, alle, die in einer Beziehung sind, sind nicht einsam.“ Wenn man allerdings einen Blick auf Studien wirft, sieht man, dass gerade Menschen, die nicht in romantischen Paarbeziehungen sind, eigentlich sozial viel besser eingebunden sind. Sie haben ein sehr enges Netzwerk an tragenden Bindungen, ganz oft sehr enge Freund*innen, und sie sind auch in der Gemeinschaft engagierter, indem sie beispielsweise ehrenamtlich arbeiten. Das bringt also allen etwas! Dieses Klischee, dass es gerade die romantische Paarbeziehung ist, die gegen Einsamkeit hilft, stimmt so nicht. Eigentlich ist es so, dass viele Menschen, die in romantischen Paarbeziehungen sind, von einer ganz besonderen Art der Einsamkeit sprechen, weil die romantische Paarbeziehung oft damit einhergeht, dass Menschen sich in kleine Beziehungsinseln zu zweit vereinzeln. Alles außenherum wird dann oft vergessen, vor allem auch andere Beziehungen und Bindungen. In der Freundschaftsforschung sehen wir, dass pro romantischer Paarbeziehung statistisch sogar zwei enge Freund*innen verloren gehen. Das heißt, dass die romantische Paarbeziehung eigentlich eine Beziehung ist, die uns aus anderen wichtigen Beziehungen herausreißt und uns viel einsamer macht, als wie wir es ohne sie wären. Dieser Sog der Isolation, der uns in diese Beziehungsinsel hineinbringt, der uns hineinvereinzelt mit einer anderen Person, wird von außen und von innen oft als etwas Normales betrachtet, weil wir davon ausgehen, dass die romantische Paarbeziehung die wichtigste aller Beziehungen ist, die es auch verdient hat, dass wir uns nur auf sie konzentrieren. Das kann im schlimmsten Fall auch gefährlich werden, etwa wenn man mit jemanden zusammen ist, der beispielsweise gewalttätig ist.
Die romantische „Liebesheirat“ ist ein gut eingeführter Evergreen unserer Kulturgeschichte. Wie kommst du auf die Idee, ein Konzept zu hinterfragen, das viele wohl als „naturgegebenen“ Lauf der Dinge voraussetzen?
Tatsächlich ist die Liebesehe, wie wir sie heute vielleicht je nach ideologischer Ausrichtung als „naturgegeben“ oder „gottgegeben“ empfinden, ein historisch sehr neues Phänomen, das erst im Laufe des 19. Jahrhunderts dominant wurde. Davor haben Menschen aus anderen Gründen geheiratet: Der Adel hat geheiratet, um Frieden zu sichern oder das Reich zu erweitern, das Bürgertum hat geheiratet, um Besitztümer zu sichern oder zu erweitern. Gundula Windmüller beschreibt das sehr lustig mit „Mein Acker, dein Acker, mehr Acker.“ Die Gründe, weswegen geheiratet wurde, waren sehr pragmatisch und ökonomisch. Sie hatten weniger damit zu tun, dass man die Person, die man heiratete, tatsächlich mehr mochte. Ein weiterer Grund war die Reproduktion, der aber auch nicht unbedingt mit dem Mögen des/der Reproduktionspartner*in verknüpft war. Liebe war nicht im Zentrum der Ehe. Enge, emotionale Bindungen hatte man eher zu anderen Menschen, wie beispielsweise in Freund*innenschaften. Im Laufe des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der Industrialisierung, wurde diese Idee der Liebesehe sehr dominant. Im Zuge der Industrialisierung gab es eine Trennung von privat und öffentlich. Plötzlich haben sich diese Sphären nicht mehr vermischt. Man hat zum Beispiel nicht mehr zuhause den Acker bearbeitet, während die Kinder nebenan waren, man sie versorgt hat und sie vielleicht auch mitgeholfen haben. Viel eher ging man jetzt außer Haus zu seinem Unternehmen, zur Fabrik, um dort Lohnarbeit zu verrichten. Dinge wie Haushalt oder Kinder mussten zuhause versorgt werden. So entstand eine Trennung zwischen privat und öffentlich, wobei die private Sphäre der unbezahlten und unsichtbaren Arbeit stark weiblich und die öffentliche Sphäre der Lohnarbeit stark männlich konnotiert waren. Im Zuge dieser Trennung wurde die Idee von Liebe auch immer relevanter, denn die Liebe war die Ideologie, die dazu geführt hat, dass Frauen dann diese unbezahlte und unsichtbare Arbeit auch gemacht haben. Durch die fehlende Bezahlung und die Existenz im Unsichtbaren zuhause waren sie in einer untergeordneten Position, einer Form der Unterdrückung. Es brauchte einen guten Grund dafür, warum Frauen das alles machen, obwohl sie nicht dafür bezahlt wurden. Der Grund war dann eben Liebe. Es war nicht nur so, dass diese unbezahlte und unsichtbare Arbeit dann als die „natürliche Aufgabe“ von Frauen angesehen wurde, sondern es wurde plötzlich auch erwartet, dass sie es gern und „aus Liebe“ machen, weil sie natürlich nur dann gute Ehefrauen und Mütter sind. So wurde diese Idee von Liebe, die mit der privaten Sphäre verknüpft war, im Zuge der Industrialisierung ganz besonders wichtig. Die Vorstellung der Liebesehe und auch Liebe als Ideologie sind sehr eng mit dem Anspruch an Frauen verknüpft, gratis als Arbeiterinnen im Privaten zur Verfügung zu stehen.
Eine provokante Wutschrift aus feministischer Perspektive
In diesem großartigen Essay arbeitet Beatrice Frasl diese Ungerechtigkeiten auf und plädiert für ein Umdenken. Denn: Romantische Liebe ist eine patriarchale Indoktrinationskampagne, deren Narrativ sich seit Jahrhunderten durchsetzt. Wie gut, dass wir sie nicht brauchen. Dass wir selbstbestimmt entscheiden können, was Liebe für uns bedeutet.
Online und überall erhältlich, wo es Bücher gibt.