„Ich wollte dem Dreck nicht mehr Platz einräumen als dem Glanz.“ – Autorin Marlen Pelny im Interview zu ihrem Roman „Liebe / Liebe“

In „Liebe / Liebe“ erzählt Marlen Pelny die Geschichte von Sascha. Saschas Kindheit ist stumm. Für ihre Mutter ist sie unsichtbar. Dafür quält ihr Vater sie mit viel zu viel Nähe. Nähe, von der Sascha weiß, dass sie nicht richtig ist, auch wenn sie die Wörter noch nicht kennt, die die Erwachsenen dafür haben. Damit ist es endlich zu Ende, als Sascha sich bei ihrem Großvater wiederfindet. Sie trifft Charlie, das Mädchen, das sie am ersten gemeinsamen Schultag an die Hand nimmt und nie wieder loslässt. Da sind auch Rosa, die Hündin, und das neue Ich, das in Sascha wächst.

Saschas Geschichte ist auch eine Geschichte vom Fehlen der Worte und von schrecklicher Nähe. Vom Mut, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und von der Frage nach Familie – und was das eigentlich ist. Unter anderem über diese Frage hat sich Nina Gruber mit der Autorin unterhalten.

Das, was konservativ verstanden als „richtige“ Familie definiert wird, besteht aus Vater, Mutter, Kind. In deinem Roman räumst du mit der Illusion auf, dass diese Konstellation zwingend glücksbringend ist und exklusiv für „Familie“ steht. Welche Familien treffen wir in „Liebe / Liebe“?

In meinem Buch gibt es im Grunde drei Familien. Die Herkunftsfamilie, die Wahlfamilie und das Liebespaar, das ja auch eine kleine Familie ist. Ich denke, dass jeder Mensch das Recht für sich in Anspruch nehmen sollte, sich seine Familie selbst zu wählen, sich sein Zuhause sorgsam auszusuchen, aus jeder möglichen Konstellation heraus. Denn das, was meiner Meinung nach, alle Familienformen zusammenhält, ist die Liebe. Aber nicht überall ist sie gesund. Die Liebe braucht einen Sender und einen Empfänger, nicht immer verstehen diese unter Liebe das Gleiche. Darauf, wie verschiedenartig der Begriff Liebe interpretiert und gelebt wird, zielt der Titel meines Buchs.

Marlen Pelny plakatierte deutsche Städte mit Lyrik und veröffentlichte die Gedichtbände „Auftakt“ (2007) und „Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen“ (2013). Ihre Worte bringt sie nicht nur auf Wände und Papier, sondern mit ihrer Band Zuckerklub auch zum Klingen. Marlen Pelnys klare Poesie durchströmt auch ihr Romandebüt „Liebe / Liebe“: Für jede Phase, jedes Gefühl Saschas findet sie einen eigenen, eindringlichen Ton. – Foto: Mike Auerbach

Sascha lebt lange Zeit in einer stummen Umgebung: Ihre Mutter spricht kaum mit ihr. Es ist eine Kindheit der fehlenden Worte, auch der fehlenden Begriffe für Dinge, die sich schon früh für Sascha falsch anfühlen. Dennoch kommunizieren die Figuren in deinem Roman sehr intensiv miteinander.

Ja, das stimmt. Wenn Worte fehlen, wird, glaube ich, die Kommunikation automatisch intensiver. Sascha muss auf vieles anderes achten. Nicht nur das Schweigen sagt ihr etwas, sondern auch die Körperhaltungen, die Gerüche, die Blicke, die Berührungen. Sie ist getrieben davon, Dinge zu verstehen. Also analysiert sie alles, was ihr in diesem stummen Umfeld auffällt. Später, als es Menschen gibt, die mit ihr reden, und auch sie selbst endlich sprechen darf und kann, merkt man, dass auch sie eher sparsam mit Sprache umgeht. Das liegt einerseits daran, dass ihre Herkunft natürlich Spuren hinterlassen hat. Andererseits daran, dass sie merkt, dass man auch liebevoll schweigen kann und dass nicht jedes miese Gefühl es verdient hat, ausgesprochen zu werden.

Die Gewichtung im Roman liegt auf der Zeit in Saschas Leben, in der sich Dinge verändern und Hoffnung in der Luft liegt. Gerade vor dem Hintergrund, dass du ein heftiges Thema ansprichst, war ich beim Lesen überrascht, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt und von was für einem positiven und aufbauenden Gefühl ich überwältigt wurde. Ist Saschas Geschichte auch eine Geschichte der Selbstermächtigung?

Ja, das war mir sehr wichtig. Ich wollte eine Heldinnengeschichte erzählen. Auch wenn der Roman harte Themen aufgreift und sie auch recht schonungslos erzählt werden, wollte ich dem Dreck nicht mehr Platz einräumen als dem Glanz. Im Grunde ging es mir darum zu erzählen, was Sascha mit all dem Gewicht in ihrer Seele dennoch in der Lage ist zu erreichen. Die Dinge, die ihr passiert sind, kochen immer wieder hoch, sie stecken in ihr fest, sie zieht sie hinter sich her. Aber sie haben sie nicht zerstört. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass sie die guten Dinge, die ihr später widerfahren, nicht mehr wahrnehmen kann. Sie wird nicht nur erwachsen, sie wird selbstbestimmt.

Du warst künstlerisch bisher vor allem als Dichterin sowie als Musikerin unterwegs. „Liebe / Liebe“ ist dein erster Roman. Welche Unterschiede hast du im Schreiben und in der weiteren Arbeit am Text wahrgenommen? Vielleicht auch Möglichkeiten?

Ich denke gar nicht so sehr in Genres. Es gibt einfach Dinge, die ich erzählen muss. Manchmal wird daraus ein Gedicht, manchmal ein Song, manchmal etwas Längeres wie ein Roman. Der Text entscheidet die Richtung. Natürlich dauert ein Roman von diesen drei Beispielen am längsten. Bei mir zumindest. Interessant für mich war aber eher, dass ich gemerkt habe, dass beim Schreiben nicht nur die ganze Zeit eine Kamera mitfährt – ich den Text also permanent wie eine Art Film vor mir sah –, sondern ich hab ihn mir von Siri auch immer wieder vorlesen lassen, um mir den Sprachrhythmus anzuhören. Etwas Musik steckt also wohl auch in diesem Roman.

„Es braucht Mut, diese Geschichte zu erzählen. Marlen Pelny beweist ihn.“ – Isabelle Lehn über Marlen Pelnys Roman „Liebe / Liebe“

„Da ist eine zarte, trotzige Stimme, die der brutalen Umgebung in der sie aufwächst, entgegentritt, die Verbündete findet und lernt, dass es für Liebe Mut braucht. Dieser Roman ist poetisch und zugleich hart, verletzlich und zugleich schön.“

Ronya Othmann

 

„Liebe / Liebe“ schickt dich zuerst dorthin, wo du nicht sein willst. Dann überwältigt es dich mit seinem Vertrauen darauf, dass Empathie und Liebe tatsächlich möglich sind. Sascha ist eine wahre Heldin, die nicht aufhört zu glauben: an das Heilen von Wunden, an das Leben und an all die innigen Beziehungen, die es für sie bereithält. – Hier geht’s zu Marlen Pelnys Roman.