„Solange … bin ich Feminist:in“ – Künstlerin Katharina Cibulka im Gespräch

Ein feministisch besticktes Netz auf einer Baustelle – das ist die markante Bildsprache des Projekts „SOLANGE“ von Katharina Cibulka. Seit 2018 macht die Tiroler Künstlerin damit weltweit auf Genderungleichheit aufmerksam. Im Interview spricht sie über die Entstehung ihrer Arbeiten, deren internationale Entwicklung und was sie antreibt.

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Frau Cibulka, wie ist die Idee zu „SOLANGE“ entstanden?

Katharina Cibulka: Ich bin in Innsbruck in einer Familie mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Für mich war Gleichberechtigung selbstverständlich: Ich konnte studieren, in meinem Kunststudium waren Männer und Frauen gleichermaßen vertreten. Ich war lange der Meinung, Feminismus sei nicht mehr notwendig.

Das änderte sich, als ich Mutter wurde. Die Geburt meines ersten Kindes war ein Aha-Moment – plötzlich sah ich, wie stark Rollenbilder unser Leben bestimmen. Mein Alltag als Mutter und Künstlerin war von Erwartungen und gesellschaftlichen Zuschreibungen geprägt, die Männer in dieser Form nicht erleben. Das war irritierend und hat mich motiviert, feministische Kunst zu machen.

Mit der Zeit entstand die Frage: Wie lange werden wir noch für Gleichberechtigung kämpfen müssen? Daraus entwickelte sich das Konzept von „SOLANGE“. Ich sammelte Antworten aus meinem Umfeld, wie etwa „Solange es keine Päpstin gibt“ oder „Solange ich mein Geschlecht nicht frei leben darf“. Diese Sätze wollte ich aus der feministischen Bubble herausholen und im öffentlichen Raum sichtbar machen – an Orten, die jeder Mensch sieht. Baustellen sind da ideal: Sie sind einerseits eine Männerdomäne und andererseits ein Symbol für Veränderung und Vergänglichkeit.

Warum haben Sie sich für den Kreuzstich entschieden?

Katharina Cibulka: Ich wollte mit einer Technik arbeiten, die – zumindest in unserem Kulturkreis – weiblich konnotiert ist. Der Kreuzstich ist ein traditionelles Handwerk, mit dem Frauen über Jahrhunderte am Stickrahmen im privaten Raum kreativ ruhig gehalten wurden. Indem wir diese Technik riesengroß auf Netze bringen, führen wir sie in die Öffentlichkeit – das ist fast schon ein Befreiungsakt. Das Sticken selbst wird von unserer Stickerin Vivian Simbürger in Murau umgesetzt, während wir die Texte in meinem Team gemeinsam erarbeiten.

 

Installation in der Bienerstraße in Innsburck: „SOLANGE ICH VON KARRIERE REDE UND DU FAMILINEMANAGMENT MEINST, BIN ICH FEMINISTIN“
SOLANGE ICH VON KARRIERE REDE UND DU FAMILIENMANAGEMENT MEINST, BIN ICH FEMINISTIN.
Innsbruck, Februar – Mai 2018

Wie lief die Umsetzung des ersten Netzes?

Katharina Cibulka: Ich habe das Konzept bei „Kunst im öffentlichen Raum Tirol“ eingereicht und eine Förderung für fünf Netze bekommen. Die erste Baustelle fand ich in der Bienerstraße in Innsbruck. Die Zusammenarbeit mit den Gerüstbauern war ein Abenteuer, besonders, weil es in 30 Metern Höhe ganz schön unheimlich ist. Schon am ersten Tag ging das Netz durch die sozialen Medien, und ich habe gemerkt, wie groß das Interesse ist.

 

Ihr Projekt hat inzwischen internationale Aufmerksamkeit erhalten. Wie kam es dazu?

Katharina Cibulka: Die sozialen Medien haben eine entscheidende Rolle gespielt. Anfänglich hatte ich gar keinen eigenen Account – das wurde schnell notwendig, um das Projekt sichtbar zu machen. Heute haben wir über 15.000 Follower:innen auf Instagram und erhalten täglich neue Satzvorschläge aus aller Welt. Diese Vielfalt zeigt, dass Gleichberechtigung ein globales Thema ist.

Wir wurden in verschiedene Städte eingeladen, etwa nach Rabat, Washington und Trondheim in Norwegen. In diesen Städten entwickeln wir die Sätze gemeinsam mit den Menschen vor Ort. Dadurch entstehen sehr lokale und aktuelle Botschaften, etwa zu den Themen Tradition, Gewalt oder kulturelle Normen. Diese partizipative Arbeit ist inzwischen ein zentraler Bestandteil des Projekts.

SOLANGE GOTT EINEN BART HAT, BIN ICH FEMINIST.
Dom zu St. Jakob, Innsbruck, Juli – November 2018

Was waren Ihre größten Erfolge?

Katharina Cibulka: Ein Höhepunkt war das Netz am Innsbrucker Dom. Mit dem ehemaligen Domprobst Florian Huber und der Kunsthistorikerin Elisabeth Larcher konnten wir die Botschaft „Solange Gott einen Bart hat, bin ich Feminist“ umsetzen. Der Satz hat viele Diskussionen aufgeworfen, generationenübergreifend, und genau das ist unser Anliegen: sensibilisieren und zum Dialog anregen. Besonders spannend war dabei die Entscheidung, die männliche Form „Feminist“ zu verwenden. Florian Huber hatte diesen Wunsch geäußert, um als Mann bewusst ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass auch Männer hinter der feministischen Idee stehen können.

 

AS LONG AS FOLLOWING OUR RULES IS MORE IMPORTANT THAN FOLLOWING OUR HEARTS, I WILL BE A FEMINIST.
Rabat, Marokko, September 2019 – Januar 2020

 

Ein weiteres Highlight war Rabat, Marokko. Vor dem Königspalast haben wir 600 Quadratmeter bestickt – mit einem Satz in arabischer Schrift: „As long as following our rules is more important than following our hearts, I will be a feminist.“ Es war eine riesige Herausforderung, in einem patriarchalisch geprägten Umfeld solch eine Botschaft zu platzieren, aber es war ein großer Erfolg.

Welche Herausforderungen gibt es bei Kunst im öffentlichen Raum?

Katharina Cibulka: Die größte Hürde ist, Baustellen zu finden. Bauträger sind sehr skeptisch gegenüber feministischen Botschaften. Mit der Zeit haben wir aber Vertrauen aufgebaut, und viele Unternehmen sehen inzwischen auch den positiven Wert des Projekts. Der öffentliche Raum ist perfekt, weil wir damit Menschen erreichen, die sonst nichts mit Kunst oder Feminismus zu tun haben.

Welche Bedeutung hat Sprache für Ihre Arbeit?

Katharina Cibulka: Sprache ist das Herzstück von „SOLANGE“. Jedes Wort hat Gewicht, und wir, die Kommunikationswissenschaftlerin Tina Themel und ich, legen großen Wert darauf, ohne Vorwürfe und Provokationen zu texten. Das Wort „Feminist:in“ ist oft ein Reizwort, und genau deshalb nutze ich es. Es muss positiv aufgeladen werden, denn Feminismus hat unsere Gesellschaft enorm bereichert.

Mit den Texten versuchen wir, Diskussionen anzustoßen, ohne Gräben zwischen den Geschlechtern zu vertiefen. Humor und Wortspiele sind dabei hilfreich, um Menschen zum Nachdenken zu bringen, ohne sie abzuschrecken.

Gibt es künstlerische Vorbilder, die Sie inspirieren?

Katharina Cibulka: Natürlich. Vor allem viele großartige Frauen, die schon vor Jahrzehnten große Kunst machten, wie zum Beispiel Louise Bourgeois, sind für mich eine große Inspiration – sie hat als Frau und Künstlerin in einer schwierigen Zeit viel bewirkt. Maria Lassnig mit ihren großen Gemälden hat Jahrzehnte lang brillante Kunst produziert und wurde erst im hohen Alter dafür gefeiert. Und dann gibt es auch zeitgenössische Künstlerinnen wie die Brasilianerin Juliana Notari, die mit ihrer Arbeit auf beeindruckende Weise gesellschaftliche Normen hinterfragt. Ihre monumentale Installation einer 33 Meter großen Vulva in einem stillgelegten Park, ausgehoben aus Beton und mit rotem Epoxidharz überzogen, ist ein mutiges, provokantes Statement. Solche Arbeiten fordern uns dazu auf, über die kulturelle Sichtbarkeit von Körpern und Geschlechtern nachzudenken, gerade im Kontrast zu den unzähligen Phallussymbolen, die kaum hinterfragt werden. Das finde ich originell und wichtig.

Auch literarisch lasse ich mich inspirieren: Mareike Fallwickls Die Wut, die bleibt und Franziska Schutzbachs Die Erschöpfung der Frauen haben mich tief berührt.

 

Was steht bei Ihnen aktuell an?

Katharina Cibulka: Neben neuen Netzen arbeite ich neuerdings als Bühnenbildnerin am Landestheater. Es ist spannend, gesellschaftskritische und queere Themen in die darstellende Kunst einzubringen. Theater kann das Publikum auf einzigartige Weise herausfordern, weil es direkt im Moment wirkt.

 

Die Künstlerin Katharina Cibulka steht vor einem ihrer "SOLANGE"-Projekte.
© in the headroom

Über Katharina Cibulka
Katharina Cibulka (* 1975, Innsbruck) studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien und an der New York Film Academy. Mit ihrem Projekt „SOLANGE“ setzt sie sich weltweit für feministische Anliegen ein. Diese waren bislang auf 30 Baustellen in sieben Ländern und sechs verschiedenen Sprachen zu sehen, zuletzt in Österreich im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Salzkammergut in Bad Ischl. Ihre Arbeiten wurden unter anderem mit dem Hauptpreis für zeitgenössische Kunst des Landes Tirol ausgezeichnet.