„Eine Sprache bringt eine neue Welt mit sich.“ Ksenia Konrad im Videointerview
Raus aus der pulsierenden Metropole Moskau, hinein in die beschauliche Tiroler Provinz – diesen Schritt wagte die Russin Ksenia Konrad. Heute arbeitet sie als Deutschtrainerin für Migrantinnen und Migranten. Wie es ist, sich an einem fremden Ort zurechtzufinden, exotisch anmutende Gepflogenheiten richtig deuten zu lernen und den anfangs unverständlichen Dialekt zu enträtseln, davon kann sie ein Lied mit vielen Höhen und Tiefen singen. Im Interview spricht sie über ihren eigenen Weg nach Tirol, über ihre Herausforderungen als Deutschtrainerin, über Sprachen und neue Welten – und darüber, dass Fehler das Beste sind, was uns beim Lernen passieren kann.
Foto: Fotowerk Aichner
In Russland geboren, aber jetzt als Deutschlehrerin in Tirol. Wie bist du hier gelandet?
Ich lebe schon seit elf Jahren in Tirol, in Reutte, im Außerfern. Ich habe meinen Mann auf Sri Lanka im Urlaub kennengelernt, und dann ist irgendwas passiert, eine bestimmte Chemie, und ich habe mich entschieden, nach Tirol zu gehen. Also von Moskau – aus Russland.
Das klingt nach einem Kulturschock. War es das?
Ein Kulturschock war es nicht. Ich war schon davor sehr oft in Europa, in Deutschland und in Österreich. Aber ich habe mir das doch alles ein bisschen anders vorgestellt. Vor allem, was habe ich in Russland von Österreich gehört? Wien, Salzburg und ein bisschen Innsbruck, aber das ist eh Skifahren. Ich bin aber nicht in Innsbruck gelandet, sondern in einer kleinen, abgelegenen Ortschaft. Da habe ich schon einiges erlebt, von dem ich sagen kann: Am Anfang war es ziemlich schwer. Erst mal ziemlich weit weg von der Stadt, von Innsbruck. Zweitens sehr viel Natur, und so nah, und zwar täglich, von früh bis abends. Wenig Menschen, keine Autos, praktisch gar nichts. Jetzt ist es mittlerweile viel mehr geworden, aber damals war noch nichts. Rehe, Füchse, Tannenbäume, schöne Bergspitzen …
Gab es einen bestimmten Moment, an dem du dir dachtest, dass du jetzt endgültig an diesem Ort angekommen bist?
Ich denke mir immer, dass ich in Tirol angekommen bin, jedes Mal, wenn ich es nach Innsbruck schaffe. Am Wege über den Fernpass, da denke ich mir, ja, ich habe es geschafft. Und zweitens denke ich mir das jedes Mal zu Weihnachten. Wochen vor Weihnachten warte ich auf schöne Christbäume, auf mein „Ziachkiachl“, auf die schönen Lichterketten. Jedes Jahr, wenn ich da stehe und wenn die Engel singen, bin ich richtig angekommen, das ist jetzt meines. Seit Jahren singe ich sogar mit. Wenn unsere Blaskapelle singt „Du bist das Land, dem ich die Treue halte“, singe ich mit und stehe in der ersten Reihe. Das schockiert mittlerweile niemanden – ich mag das Lied sehr.
Schreibst du auf Deutsch oder auf Russisch?
Auf Deutsch. Ich denke auch auf Deutsch. Auf Russisch schreibe ich WhatsApp-Nachrichten, E-Mails, das schon. Aber sonst eigentlich alles auf Deutsch. Dann muss ich natürlich alles korrigieren: vom Tiroler Dialekt, vom Außerferner Dialekt, ins Hochdeutsch – schreiben tu ich im Dialekt.
Was bedeutet es für dich, eine neue Sprache zu lernen?
Ich habe mit Englisch und Deutsch in der Schule angefangen. Wenn man so klein ist und eine Sprache lernt, dann lernt man nur bestimmte Vokabeln. Aber wenn man später mit einer Fremdsprache anfängt, wird es schwieriger. Dann ändert sich das komplette Weltbild und alles, was man früher – über sich selbst sogar – gewusst hat. Sprache ist ein Code, ein Programm im Kopf. Sobald du eine neue Sprache lernst, vor allem in einer neuen Umgebung, in einer fremden Umgebung, dann musst du ein neues Programm im Kopf starten. Und das ist schwierig. Aber wenn wir eine Sprache lernen, können wir uns selbst auch ändern. Man kann sogar seine Ängste bewältigen. Man kann sich selbst überwinden. Man kann sein eigenes Potential neu entdecken. Die Sprache ändert nicht nur unsere Lebenseinstellung, unsere Weltanschauung – eine neue Sprache kann uns auch dazu bewegen, eine neue Lebensgeschichte zu schreiben. Eine Sprache bringt nicht nur irgendwelche Artikel oder grammatikalische Formen, eine Sprache bringt eine neue Welt mit sich.
Welche Rolle spielen für dich dann Fehler?
Fehler sind die besten Dinge, die beim Lernen passieren können. Fehler geschehen spontan, unerwartet, unbewusst, und wenn man einen Fehler macht, das ist gerade der Punkt oder der Moment, in dem man sich selbst kennenlernt. Ich finde, es gibt keine Fehler im Leben. Alles passiert im richtigen Moment und zu seiner Zeit. Nur, weil das nicht in unser altes Denksystem passt, betrachten wir das im ersten Moment als Fehler. Sobald wir unsere Denkmuster ein bisschen ändern oder die Perspektive wechseln, sind die Fehler keine Fehler mehr. Das sind die richtigen Entscheidungen. Und ich muss sagen, ich habe keine Fehler gemacht – es waren die richtigen Fehler.
Was sind für dich die größten Herausforderungen als Deutschlehrerin?
Den anderen zu zeigen, dass die Sprache, wie ich schon gesagt habe, mehr ist als nur eine Kombination von irgendwelchen Regeln. Die Sprache ist eine Möglichkeit, eine Chance, etwas zu erreichen, was man bis jetzt noch nicht erreicht hat. Und die größte Herausforderung ist es, den Menschen diese Chancen und Möglichkeiten zu zeigen. Darum ist es sinnvoll, wenn man nicht von innen nach außen lernt, nicht von der Sprache oder vom Buch beginnt – oder mit dem Lernstoff – , sondern mit dem, was da draußen ist: mit der Umgebung, mit den Menschen auf den Straßen, mit den Feiertagen, mit den Nachrichten, mit allem, was drum herum ist. Und wenn das passiert, dann liegt die größte Herausforderung schon hinter mir.
Unkonventionell und ermutigend: Ksenia Konrad ist eine tatkräftige Frau, die etwas zu erzählen hat – schließlich kennt sie die Gefühlsskala beim Transfer in eine neue Kultur selbst nur zu gut. Mit viel Herz und Humor entlockt sie selbst aussichtslos scheinenden Situationen eine Portion heitere und motivierende Lebensphilosophie. In ihrem inspirierenden Buch berichtet sie schwungvoll und erhellend von ihrer eigenen Lebensgeschichte und von ihrer Arbeit mit MigrantInnen. Hier geht’s zum Buch!