Baby Got Issues: Leseprobe aus „Potenziell furchtbare Tage“ von Bianca Jankovska
Mit Menstrual Health und Anti-Work die Arbeitswelt revolutionieren: Dieses Ziel verfolgt Bianca Jankovska in ihrem Buch „Potenziell furchtbare Tage“, auf ihrem Blog „Groschenphilosophin“, mit dem Kündigungsunternehmen „THX BYE“ und in ihrem Podcast „The Bleeding Overachiever“. Sie hinterfragt unsere Leistungsgesellschaft, in der sich Arbeitnehmer*innen unter Schmerzen und Medikamenteneinfluss zur Arbeit schleppen müssen. Hinterfragt ein System, das uns permanent auslaugt und krank macht.
Die Lösung? Gibt es nicht. Dafür bietet Bianca Jankovska fundierte Fakten und unterhaltsame Utopien und ruft damit zum Beginn des Anti-Work-Feminismus auf! Einen ersten Vorgeschmack darauf bekommst du in dieser Leseprobe.
Wenn Elon Musk eine Frau wäre
Wäre Elon Musk eine Frau – Essay-Ende. Denn es gibt bis heute keine Frau – von non-binären oder trans Personen gar nicht erst angefangen –, die annähernd so reich, einflussreich und mächtig ist oder war wie er. Und auch keine Frau, die das in naher Zukunft werden könnte. Wir stecken leider noch zu tief im Patriarchat, sorry gurls.
Ich finde trotzdem, der Essay-Titel klingt zu gut, um ihn nicht zu realisieren. Um nicht doch ein bisschen einzutauchen in das Was-wäre-wenn.
Ja, was wäre denn, wenn Elon Musk eine Frau wäre?
Zunächst mal: Nur sein Gender zu ändern, genügt vermutlich nicht. Wir wissen alle, dass es genügend Girlbosse da draußen gibt, die absolut nichts am regressiven Status quo ändern wollen würden. Auch nicht, obwohl es ihnen am Ende helfen könnte.
Was wäre also, wenn ich Elon Musk wäre?
Also: Als Allererstes würde ich Schwangerschaften abschaffen. Die neun Wochen, in denen ich schwanger war, waren mitunter die körperlich unangenehmsten meines Lebens. Davor kommt nur mein Parasiten-Befall, den ich aus Indien mitgenommen hatte, aber dazu gerne ein anderes Mal mehr. Nichts, aber auch rein gar nichts in dieser Zeit hatte etwas von der Romantik, die uns verkauft wird, wenn sich Mütter in der Werbung liebevoll über den prallen Bauch streicheln. Plötzlich sah ich sie ständig um mich, die anderen, watschelnden Schwangeren, die die Übelkeit weglächelten, und nein, ich empfand das nicht als nachahmenswert. Vielmehr fragte ich mich, wie es sein kann, dass wir in den 2020er Jahren immer noch manuell gebären. Literally jede andere Technologie auf der Welt hat sich trotz Einschränkungen weiterentwickelt. Wie kann es also sein, dass es da noch keine neuere Methode gibt und Gebärende immer noch bei einer „natürlichen Geburt“ unter massiven Schmerzen selbst pressen müssen? Stundenlang in den Wehen liegen, um dem Kind kein Trauma zuzufügen, während man selbst eines erleidet? Vagina- und Arschlochrisse in Kauf nehmen, nur, damit man hinterher damit angeben kann, „natürlich“ geboren zu haben?
Elon Musk möchte die Population auf den Mars umsiedeln, aber er sorgt sich nicht darum, wie diese Population aus den Frauen herauskommt, und das ist unfassbar ignorant. Wenn Elon Musk eine Frau wäre, da bin ich sicher, gäbe es bereits artificial wombs, die kein Internet-Gag sind.
Der Wissenschaftler Hashem Al-Ghaili publizierte Ende 2022 ein YouTube-Video über eine Welt, in der manuelles Gebären nicht mehr zwingend nötig ist. „Wir präsentieren: ‚Ectolife‘. Die weltweit erste Fabrikanlage mit künstlichen Gebärmüttern, vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben“, hört man dabei ein Roboterstimmen-Voice-Over, während die Kamera durch die Fabrikhallen der Babyproduktion führt. Dort reiht sich Embryo-Kapsel an Embryo-Kapsel, alle vollausgelastet und befüllt mit glücklichen, weißen Babys, die mit allen benötigten Nährstoffen versorgt werden wie Fans im Fußball-Stadion. Die Gesundheit des Kindes kann dank zahlreicher Sensoren sekündlich überwacht werden, auch „genetische Abweichungen“ seien so leichter zu erkennen. Gedacht ist die Embryo-Kapsel übrigens für Paare, die auf natürlichem Weg keinen eigenen Nachwuchs produzieren können. Die „artificial womb facility“ sollte laut Al-Ghaili aber auch in Ländern zum Einsatz kommen, in denen die Geburtenrate (zu) niedrig ist – wie zum Beispiel in Japan, Bulgarien und Südkorea.
Und genau an dieser Stelle merkt man, dass hier ein Mann am Werk war. Denn die Kapseln stehen nicht allen Menstruierenden zur Verfügung, sondern sie sind strikt für eingeschränkt reproduktionsfähige Frauen reserviert oder werden für politische Zwecke instrumentalisiert. Das Wohl aller Gebärenden steht nicht im Fokus. Stattdessen werden ableistische Werte transportiert. Und das bei 2,6 Millionen Aufrufen auf YouTube.
Artifical wombs – für mich als Elon Musk klingt das prinzipiell großartig. Aber nur, wenn sie hinterher allen Menstruierenden zur Verfügung stehen. Statt mich zu übergeben, könnte ich mich während der neunmonatigen „Grow-Zeit“ auf andere Dinge konzentrieren. Zum Beispiel auf meine Freundschaften, eine schöne Inneneinrichtung, Reisen oder den Ruin großer Technologieplattformen.
Ich frage ChatGPT, ob es grundsätzlich möglich ist, Schwangerschaften und Geburten auszulagern. Das Programm warnt mich. „Die Idee von Gebärboxen, die die Schwangerschaft und Geburt auslagern, mag auf den ersten Blick faszinierend und futuristisch erscheinen, allerdings gibt es viele komplexe ethische, medizinische und soziale Aspekte, die bei der Realisierung einer solchen Technologie berücksichtigt werden müssen.“ Huch, welche denn? Ich als Elon Musk kann das ja bestimmt beurteilen, ob mich das in der Praxis tangiert. ChatGPT gibt mir fünf Gründe, die gegen Gebärboxen sprechen. Etwa, dass Schwangerschaft und Geburt nicht nur biologische Prozesse seien, sondern auch tief in der menschlichen Erfahrung und Kultur verwurzelt seien.
Ich bin keine Historikerin, aber haben wir nicht schon andere, zutiefst menschliche Erfahrungen überwunden? Zum Beispiel das Leben in Höhlen, oder die Pest in Europa? Der zweite Grund, den ChatGPT nennt, ist, dass eine Schwangerschaft verschiedene Gesundheitsrisiken und Komplikationen berge, die von Frau zu Frau unterschiedlich sein können. Ja, sag ich doch! Die Gefahren, die mit einer Schwangerschaft einhergehen, könnten mit artifical wombs sogar besser beobachtet und umgangen werden. Grund drei, den mir das Programm nennt, bezieht sich auf die besondere menschliche Bindung und Entwicklung, die angeblich während der Schwangerschaft entsteht. Das können vermutlich alle Adoptiveltern entkräften, die ihr nicht leibliches Kind uneingeschränkt lieben. Und Grund vier erscheint mir besonders unschlüssig: Die Einführung von Gebärboxen könne erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Verständnis von Elternschaft, Familie und Geschlechterrollen haben. Ja, der Feminismus könnte auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Verständnis von Elternschaft, Familie und Geschlechterrollen haben. Wo liegt das Problem? Nur ein Kritikpunkt ist meiner Meinung nach gerechtfertigt: Schwangerschaft und Geburt sind komplexe biologische Vorgänge, die weit über die bloße mechanische Bereitstellung einer physischen Umgebung hinausgehen. Deshalb gibt es bislang auch keine artifical wombs. Weil es kein Forschungsinstitut auf der Welt gibt, das ausreichend Mittel besitzt, um sich dieser komplexen medizinischen Herausforderung zu stellen.
Aber ganz ehrlich: Ist das wirklich komplizierter als die Besiedlung des Mars?
Wenn ich Elon Musk wäre, würde ich mein Geld in die Erforschung von artifical wombs stecken, sodass niemand jemals wieder bei der Geburt sterben müsste.
Tatsächlich gibt es sogar ein Projekt mit ähnlichem Fokus, das bereits heute finanziell unterstützt werden könnte. Es heißt „Juno Operational Healthcare“. Noch nie gehört? Na ja, Elon Musk ist kein Investor in diesem Fall. Deshalb kennt das Projekt aus den Niederlanden, das mit knapp drei Millionen Euro von der EU gefördert wurde, auch nur eine kleine Nischengruppe. Dabei leisten die Forschenden der Technischen Universität Eindhoven Unglaubliches für Frühgeborene. Jedes Jahr werden weltweit 800 000 Babys extrem früh, noch vor der 28. Woche, geboren. Diese Säuglinge werden normalerweise auf eine besondere Intensivstation für Neugeborene verlegt, um die Herz- und Lungenentwicklung zu unterstützen. Der Kontakt mit der Luft führt jedoch unweigerlich zu Komplikationen, da die Lungen noch nicht vollständig entwickelt sind. Das Juno-Team forscht deshalb an einer neuartigen, alternativen Umgebung, die dem Mutterleib ähnlich ist. Sehr früh geborene Babys könnten so direkt vom Geburtskanal in eine Art artificial womb gebracht werden, wobei die Lungen weiterhin mit Flüssigkeit gefüllt bleiben und die Nabelschnur an einer künstlichen Plazenta befestigt werden würde, um die Organentwicklung zu verbessern und den Übergang zum Neugeborenenleben zu erleichtern. Neben der dafür notwendigen Hardware gibt es auch Software, die hierbei eine wichtige Rolle spielt: Sensoren überwachen die Entwicklung des Frühgeborenen im „Incubator 2.0“. Die Forscher nutzen auch die Technologie der digitalen „twin technology“. Mathematische Modelle auf Basis von gemessenen und verfügbaren Daten sowie künstliche Intelligenz ahmen dabei das Neugeborene nach. Das wiederum ermöglicht es den Forschenden, Ärzte bei Entscheidungen in der Neugeborenenversorgung zu beraten und zu unterstützen.