„Das Frau- und Kind-Sein ist weltweit zu einem Überlebenskampf geworden.” – Gastbeitrag von Anna Herzig
Liebe Leser*innen!
Die Welt hat sich seit 2020 verändert, läuft schneller, unbarmherziger und wandelt sich rasanter als einem liebt ist. Diese Veränderungen und deren (mögliche) Auswirkungen haben mich unter anderem zu meinem neuen Roman 12 Grad unter Null, der im Haymon Verlag ein wundervolles Zuhause gefunden hat, inspiriert.
12 Grad unter Null ist keine Temperatur, der man gerne ausgesetzt ist. Unabhängig davon, in welchem Körper man in diesem Leben wohnt.
Beim Schreiben dieses Romans, der mir näher geht als alle anderen Texte, die ich bisher geschrieben habe, bin ich weit über meine Grenzen gegangen. Das lag zum einen an der pausenlosen Care-Arbeit und zum anderen an den schweren Themen, die dieser Text behandelt. Dennoch war es mir wichtig, diese Geschichte zu erzählen. Und darum geht es:
Elise und Greta, zwei mittlerweile erwachsene Schwestern, leben 2024 in einem Land, das ein unvorstellbar misogynes und gleichsam grausames Gesetz erlässt. Etwas, das so widerlich ist, dass ich es hier nicht vorwegnehmen möchte.
Alles, was in Sandburg passiert, ist kaum einen Schritt weiter weg als die Dinge, mit denen wir uns – vor allem weibliche Personen – tagtäglich konfrontiert sehen. Tag für Tag, immer, seit jeher. Eine Besserung scheint nicht in Sicht.
Jahre zuvor: Die Mutter von Elise und Greta beschließt, sich stark zu machen, und kämpft neun Jahre lang gegen den Vater der Mädchen an. Eine hoffnungslose Aussicht von Anfang an. Weshalb? Nicht, weil sie nicht jederzeit gehen könnte, sondern weil – und hier sind wir mehr in der Realität als in der Dystopie – es einer alleinerziehenden Mutter unmöglich gemacht wird, ihren Alltag mit Job und Kindern, mit dem ständigen nervenaufreibenden Jonglieren zwischen verschiedenen Welten, finanziell abgesichert zu erleben. Sich aus einer toxischen Ehe zu lösen, bedeutet für eine Frau auch heute noch und nicht seltener: ein Leben an der Armutsgrenze oder knapp oberhalb davon.
Die Geschichte dieser zwei Schwestern und ihrer Mutter, die immer noch an der Suppe von damals schlucken, die niemals kalt werden durfte, geht mir so sehr unter die Haut, dass das Fortkommen während des Entstehungsprozesses mit vielerlei unterschiedlichen Schmerzen einherging.
Soll eines der Anliegen des Feminismus tatsächlich sein, patriarchale Strukturen aufzubrechen, und zwar nachhaltig? Dann muss endlich und nachdrücklich dort angesetzt werden, wo es Frauen unmöglich gemacht wird, ohne die Hilfe und Unterstützungsleistungen von Partnern und Ehemännern nicht nur zu überleben, sondern sich auch sicher fühlen zu können: in der Gesetzmachung und -erlassung. Dort, wo entschieden wird, wieviel Kinderbetreuungsgeld einer Frau zusteht, wie hoch oder, nach derzeitigem Stand, nieder die Sozialleistungen sind. Wie eine Frau (mit und ohne Kinder) aufgefangen werden kann, wie der safe space aussehen soll, den sie benötigt, wenn sie den Schritt wagt, sich aus toxischen Verhältnissen zu lösen. Aber das ist nur ein Aspekt. Welche Gesetze müsste es geben, damit Frauen endlich Beruf und Familie vereinbaren können, ohne Zuverdienstgrenzen unterworfen zu sein, ohne Abhängigkeit vom Ehemann? Wie soll eine Frau, nach derzeitigem Stand, nicht in der Armutsfalle landen, wenn sie sich trennt und dann mit einem Teilzeitjob sich und ihr Kind versorgen muss? Die wenigsten Frauen haben Eltern und Schwiegereltern, die ihnen helfen. Die meisten Frauen sind auf sich alleine gestellt. Und mit einem Mann, der die Psyche einer Frau, einer Mutter ständig attackiert, fehlt die Kraft und der Glaube, sich jemals aus einer solchen Situation lösen zu können.
Alles, was man einer Frau antut, wird eine Frau niemals vergessen.
Alles, was man einem Kind antut, kann ein Kind niemals vergessen.
Das Frau- und Kind-Sein ist weltweit zu einem Überlebenskampf geworden.
Wenn wir patriarchale Strukturen brechen möchten, beginnen wir doch damit, zusammenzuhalten und uns nicht gegeneinander aufzubringen.
Ich empfehle euch dazu eindringlich die Lektüre „Einzeller“ von der grandiosen Schriftstellerin Gertraud Klemm, ein bedeutender wie unverzichtbarer Roman, der im Kremayr & Scheriau Verlag erschienen ist.
Abschließend möchte ich noch sagen: Mein Roman behandelt sensible Themen, u.a. häusliche Gewalt sowie psychischen und physischen Missbrauch. Es liegt mir fern, Menschen mit Gewalterfahrungen traumatisieren zu wollen, was ich möchte, ist Awareness dafür zu schaffen, dass wir aufeinander aufpassen, genauer hinsehen müssen. Es war mir ein Anliegen, mich den Themen dieser Geschichte zu stellen, die für viele weibliche Personen keine Geschichte, sondern Vergangenheit und/oder Gegenwart ist.
In 12 Grad unter Null geht es um das, was hinter den Augenfenstern anderer Menschen lauert und hinter unseren eigenen.
12 Grad unter Null ist eine Warnung. Nicht an Männer. Sondern an uns.
Eure Anna Herzig