Autor: Marina Höfler

In memoriam Joseph Zoderer (1935–2022)

Joachim Leitner sprach in seiner Gedenkrede bei der Verabschiedung von Joseph Zoderer am 11. Juni 2022 in Terenten/Südtirol über Komplizen, Kopfheimaten, Auswege und Irrwege.

Joseph Zoderer

Der Schriftsteller Joseph Zoderer;
© Tito Bertoni, 2019

Vor einer Woche überfiel mich Norbert Gstrein mit der Frage, ob ich heute etwas über Joseph sagen könnte. Aus dem Bauch heraus habe ich zugesagt.

Seither zweifle ich.

Ganz ohne Zweifel gibt es Berufenere, um von Joseph zu erzählen. Ganz ohne Zweifel gibt es Geübtere um „den Zoderer“ zu erzählen:

Forschende, die sich in die Wirklichkeiten seines Werkes eingearbeitet haben;

Fraglos auch solche, die sich daran, an Werk und Wirklichkeiten, an den Werkwirklichkeiten und den Welten dahinter, abgearbeitet haben.

Weggefährten. Joseph würde – vielleicht – von Komplizen sprechen.

Von Komplizen, die Etappen seines Weges mitgegangen sind – und die Zeugnis davon ablegen könnten, was war, was einmal wahr war, was wahrscheinlich ist und was höchstwahrscheinlich erfunden ist.

Diese Komplizen könnten vielleicht vom Bock erzählen, den Josephs Vater einst schoss, oder vom „Haus der Regeln“, oder wie man in 30 Tagen maturataugliches Italienisch lernt.

Den politischen Zoderer könnten sie erzählen.

Vom „Roten Peppin“ reden, von RAI und „Roter Zeitung“, von den Wiener Jahren, von den Auf- und Ausbruchsversuchen, von den Ausbrüchen. Davon, wie eng es hier und anderswo sein kann – und davon wie beklemmend es ist, wenn das Lob plötzlich von der vermeintlich falschen Seite kommt.

Sie könnten erzählen, wie man sich an den Rand des Schweigens schreibt;

Und vom Trotzdem-Weiterschreiben, vom trotzigen Weiterschreiben, vom Weiterschreiben aus Trotz, von Zorn und Zauberei, von Sprachartistik, von der Frage „Wozu schreiben“ und davon, dass es auch und gerade in Südtirol, Themen und Zustände gab und gibt, die Literatur werden wollen.

Nicht weil Literatur Probleme lösen könnte, nicht weil sie Antworten anbieten könnte. Angebote kann sie machen; Möglichkeitsräume auftun – „Kopfheimaten“, hätte Joseph hier wohl eingeworfen;

Und wahrscheinlich hätte Joseph sowieso schon viel früher protestiert. Weil ich hier nicht von mir reden soll. Und weil ich davor so leichtfertig von Erfindung geredet habe.

Auch im Erfundenen steckt Wahrheit. Auch Erfundenes lässt sich in eine Wahrhaftigkeit hinein verdichten. Auch Wahrhaftigkeit ist, nicht nur wenn von Literatur die Rede ist, Konstruktion und Komposition.

 

„Der, der hier so herzlich und feierlich gelobt wird, bin gar nicht ich. Dieses ‚Ich‘ ist eine Erfindung“. Das hat Joseph 2010 gesagt, als sein 75. Geburtstag groß gefeiert wurde.

Kurz davor habe ich Joseph kennengelernt.

Ich habe diese Sätze so beiläufig notiert, wie Joseph sie damals – nach einer für beinahe alle Anwesenden viel zu kurzen Nacht – gesagt hat.

„Dieses ‚Ich‘ ist eine Erfindung.“

 

Inzwischen scheint mir dieser Satz ein möglicher Schlüssel zu Josephs Literatur zu sein.

Kein ganz legitimer Schlüssel.

Ein Dietrich vielleicht. Oder eher ein Stemmeisen, das etwas aufmachen könnte.

Und vielleicht erlaubt dieses „Etwas“, das von mir behauptete Projekt einer „Ich-Erfindung“, tatsächlich auch Rückschlüsse auf den Autor hinter dem Werk, der sich irgendwann aus der „falsch verstandenen Fiktionalitäts-Zwangsjacke“ befreite.

„Man kann es sich auch einfach machen, indem man die Dinge verkompliziert“, würde Joseph spätestens jetzt sagen. Er würde vielleicht sogar laut werden. Und er hätte natürlich recht.

Eine unausgegorene Theorie ist weder Schlüssel noch Stemmeisen. Eintritt verschafft man sich damit nicht.

Aber vielleicht lässt sich damit ein Ausweg öffnen.

Wenn ich aus der Lektüre von Joseph Zoderers Büchern etwas ganz sicher gelernt habe, dann, dass jeder Ausweg auch zum Irrweg werden kann.

In „Lontano“ (1984) zum Beispiel, dem Buch nach dem Erfolg der „Walschen“, sucht einer in Amerika nicht nur die Ferne, sondern das Weite.

„Hinter mir ist Ferne und vor mir ist Ferne, ich freue mich, weil ich mich freuen muss“, sagt er sich.

Und er irrt: Ferne mag Freiheit versprechen, aber „Lontano“ ist eine Fluchtgeschichte. Sie erzählt von der Flucht, vor dem was war, vor dem was droht, vor sich selbst.

Da stiehlt sich einer davon – und wird sich doch nicht los.

Er wähnt sich „mitten in der Welt“ – und kriegt von dieser Welt wenig mit.

„Ich könnte, sagt er, genausogut tagelang, nächtelang von Island nach Sizilien fahren. In Wirklichkeit war für ihn nur das Fahren wichtig, fahrend wurde ihm bewusst, dass er diese Fahrt, die möglichst lange dauern und weit weg von zu Hause ablaufen musste, hinter sich zu bringen hatte, er wünschte nichts so sehr wie das Ende dieser Fahrt.“

Dass Literatur nicht antwortet, sondern Gewissheiten in Frage stellt, ist eine Binsenweisheit.

Wie alle Binsen ist sie vielleicht wichtig, aber nie ganz richtig: Literatur sucht eine Form. Sie formt das Ungewisse. Sie deutet das Uneindeutige aus.

Sie macht die, die sich ihr aussetzen, die, die sich zu ihr ins Verhältnis setzen nicht wirklich klüger, aber im besten Fall ein bisschen aufmerksamer und vielleicht auch ein bisschen vorsichtiger.

Josephs Texte verlangen nach genauer Lektüre. Wenn man nur der Handlung folgt – nur das, was erzählt wird, verfolgt, bleibt ihr Geheimnis Geheimnis. Auch dafür ist „Lontano“ ein gutes Beispiel: Die Komposition, der Perspektivwechsel in einem Satz; die indirekte Rede; Erzählung, Schilderung, Reflexion. Nur durch einen Beistrich getrennt.

Aber auch davon müssten Josephs Komplizen erzählen.

 

„Das nützlichste Unnütze, das ist Literatur“, hat Joseph in einem Gespräch mit Sigurd Paul Scheichl einmal gesagt – und „was die Menschheit rettet, ist letzten Endes das wichtige Unnützliche“.

Das war um 2010.

Gut 40 Jahre davor tönte das nützlich Unnütze noch in dialektaler Wucht:

„Uamol tat i gern inibelfern
Nit long Kopf n
Schnölln losen
A wenn mir di mufln geht
Uamol tat i gern in ganzn pichel
Aulupfn“

 

„Inigebelfert“ hat Joseph nicht nur einmal. Manchmal weil er musste. Manchmal weil er nicht anders konnte. Manchmal weil und manchmal, obwohl er es besser wusste. Manchmal lupfte er den ganzn Pichl. Mitunter hat er sich überlupft. Nicht immer war es leicht mit ihm. Auch für solche Geschichten gibt es Berufenere.

Langweilig war es nie.

 

Zum ersten Mal gesehen habe ich „den Zoderer“ an einem furchtbar heißen Sommertag am Bahnhof von Bozen. Da hatte ich noch keine Zeile Zoderer gelesen, weil – so hielt ich es damals –, wenn man schon Südtiroler ist, muss man nicht auch noch das lesen, was als „Südtiroler Literatur“ wegestempelt wurde.

Erkannt habe ich ihn natürlich trotzdem. So wie man einen Landeshauptmann erkennt oder den Bischof.

Jahre später, man hatte mich nach einer gemeinsamen Veranstaltung in der Tessmann-Bibliothek in Bahnhofsnähe einquartiert, habe ich Joseph davon erzählt – und versucht mich etwas ungelenk für was auch immer zu entschuldigen.

„Warum sollte es dir anders gehen“, hat er gesagt.

Präsentiert haben wir damals in Bozen, am 17. August 2012 – in der Erinnerung ist es wieder furchtbar heiß – Josephs Erzählungen „Konrad“ und „Mein Bruder schiebt sein Ende auf“.

Zwei Texte, die für mich zum Besten zählen, das Joseph geschrieben hat. Zwei zarte Texte. Makellos. Kein Wort zu viel. Alles da. Nichts darf eins zu eins genommen werden. Gerade deshalb sind sie so wahrhaftig, vielleicht sogar wahr.

Zwei Texte, die auf den, der darin „Ich“ sagt, aber eben nicht der Protagonist und schon gar kein Held ist, keine Rücksicht nehmen. „Rückschau ohne Rücksicht“, sagt der Überschriftenschreiber in mir.

Bei einem unserer letzten Telefonate, haben wir lose vereinbart, möglichst bald ein paar Schritte miteinander zu gehen.

„Vielleicht ist Ankommen
Auch Abschied“

 

Das schreibst Du in Deinem erst vor kurzem erschienen Gedichtband „Bäume im Zimmer“.

Vielleicht.

 

Joachim Leitner
– Terenten, 11. Juni 2022

„Für uns ist die Endlichkeit einfach ganz normal und gehört zum Leben dazu.“ Interview mit Barbara und Alexandra von The Funeralists

Eines ist klar: In Krimis geht es ganz schön viel ums Sterben. In unserem Alltag hingegen scheint das Thema Tod oft ein Tabu zu sein – dabei betrifft es uns natürlich alle. Wir haben uns mit Barbara und Alexandra von The Funeralists unterhalten: Die beiden organisieren Bestattungen, persönliche Abschiede und Feiern jeder Art und stehen Menschen auch nach der Beisetzung mit Trauercoaching, Einzelbegleitungen, Workshops und Events bei. Im Interview erzählen sie, wie es zu ihrer Berufswahl kam und wie es ihnen mit der tagtäglichen Beschäftigung mit dem Thema Tod geht.

Die Frage wird euch vermutlich ständig gestellt – aber wie kommt man darauf, Bestatterin werden zu wollen?

Barbara (Bestatterin): Ursprünglich wollte ich Gastwirtin sein und mich um das seelische und leibliche Wohl meiner Gäste kümmern. Heute bin ich Bestatterin und mache quasi genau das, nur auf einer anderen Ebene. Die Entscheidung für den Beruf habe ich vor einigen Jahren getroffen, als ich einen Bestatter in sein Bestattungsinstitut gehen sah. Da hat es mich regelrecht überkommen, dass das genau mein Beruf ist. Darüber war ich selbst überrascht. Dann habe ich viel Zeit damit verbracht, alles über diesen Beruf zu lernen, und mich um eine Praktikumsstelle beworben. Als das geklappt hat und ich meine ersten Schritte als Bestatterin machen durfte, hat es sich für mich bestätigt: Das ist meine Berufung. Heute bin ich dankbar, mit meiner Arbeit Menschen in einer sehr sensiblen, intensiven Zeit begleiten zu dürfen und sie dabei zu unterstützen, ganz persönliche Wege des Abschieds zu gestalten, selbstbestimmt und individuell. Das schenkt bei all der Trauer doch sehr viel Trost und Wärme.

Alexandra (Trauerbegleiterin): Ich habe damals von einer Freundin erfahren, dass sie ehrenamtlich im Hospiz arbeiten wird und wusste erst gar nicht, was das ist, fand es dann aber total spannend. Schon als Jugendliche interessierte ich mich für Spiritualität, Tabuthemen und hätte am liebsten ein Schülerpraktikum in der Pathologie gemacht. Für mich ist es eher die psychologische Seite, die mich fasziniert: Wie gehe ich mit dem Tod um und der Endlichkeit, etwas, dass sich Trauernde ja immer fragen müssen. Ich arbeitete dann auch ehrenamtlich im Hospiz und wusste einfach, das ist die sinnvolle Aufgabe, die ich immer gesucht hatte: mit Trauernden zu arbeiten als Trauerbegleiterin.

Ihr habt jeden Tag mit dem Tod zu tun – ist er für euch ein ganz normaler Bestandteil des Lebens?

Barbara & Alexandra: Ja, total. Für uns ist die Endlichkeit einfach ganz normal und gehört zum Leben dazu. Wir kommen alle nicht drum herum: als Trauernde, wenn andere Menschen sterben und letztendlich selbst, wenn wir sterben werden. Der Tod hat für uns aber auch schöne, warme, spannende, lustige Seiten. Das heißt nicht, dass wir nicht traurig sind oder uns der Verlust unserer lieben Menschen nicht schmerzt. Im Gegenteil, wir fühlen sehr viel mit. Aber wir finden, dass es uns eher bereichert als mitnimmt. Durch die Gegenwart des Todes bekommt das Leben an sich nochmal eine besondere Tiefe.

Bekommt ihr manchmal auch sehr außergewöhnliche Wünsche für eine Bestattung?

Barbara: Kommt darauf an, wie man „außergewöhnlich“ definiert. Generell ermutigen wir alle, individuelle Wünsche zu äußern oder auch selbst umzusetzen. Durch die nahe und zugewandte Begleitung in der Zeit der Bestattung lernen wir die Menschen sehr gut kennen und da machen wir uns auch viele Gedanken, was zu ihnen passen könnte. Gemeinsam findet man dann den Abschied, der sich nach „genau so“ anfühlt. Ich habe z. B. mal ein Lastenfahrrad gemietet, um einen begeisterten Fahrradfan, der verstorben war, im Sarg von der Friedhofskapelle zum Grab zu fahren. Das Fahrrad hatten wir mit Blumen geschmückt. Hauptsache, es passt zum*r Verstorbenen und zu den Zugehörigen.

Wie würdet ihr unseren gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod beschreiben? Ist das Sterben ein Tabuthema, das mehr Raum bekommen sollte?

Alexandra: Definitiv. Sicherlich es ist unangenehm, sich mit dem eigenen Ende zu beschäftigen, aber die meisten Menschen möchten z. B. zuhause sterben. Tatsächlich sterben aber die meisten in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Manchmal ist das nicht unumgänglich, aber wir haben einerseits verlernt, dem Sterben seinen natürlichen Lauf zu lassen, und andererseits drücken wir unsere Wünsche nicht klar genug aus bzw. legen sie nicht richtig fest, z. B. indem wir Vollmachten erteilen oder Patientenverfügungen erstellen. Es wandelt sich aber langsam und alleine in den letzten Jahren – auch durch Corona – ist das Thema ein wenig mehr in den Mainstream gerückt. Es gibt nun z. B. immer am 8. August den „Memento Tag“, einen nationalen Aktionstag, der sich mit Endlichkeit, Tod und Sterben beschäftigt, und bei dem jede*r mitmachen kann.

Eure Meinung zum Thema Tod und Humor: Hilft Humor bei der Trauer? Ist er fehl am Platz?

Barbara: Auch in der Trauer und in der Bestattung wird oft gemeinsam gelacht, nie respektlos natürlich, aber Freude oder lustige Erinnerungen sind ein ganz natürlicher Bestandteil des Abschieds. Es ist wichtig zu spüren, wann es passt und wann nicht. Aber bisher haben wir mit jeder Familie, die wir begleitet haben, auch viele humorvolle Momente erlebt. Das hilft in all der Schwere und schafft Verbindung zu dem verstorbenen Menschen, aber auch zu den Lebenden. Letztendlich zeichnet der Tod, wie auch das Leben, ein Mosaik aller Emotionen, da ist Humor auch ein wichtiger Teil.

Alexandra: Ich sehe das genauso. Ich habe einen sehr schwarzen Humor, da muss man vielleicht mal aufpassen, dass nichts falsch verstanden wird. Aber wir entwickeln schnell ein Gefühl dafür, wie weit wir denselben Humor mit Trauernden teilen. Wir lachen doch im Leben auch gerne, warum nicht am Lebensende? In meiner Geburtsstadt heißt es immer „Ein Leichenschmaus, der nicht lustig war, war kein guter …“

Lest oder schaut ihr euch in eurer Freizeit gern Krimis an – oder braucht ihr da eine Pause vom Thema Tod?

Barbara & Alexandra: Wir persönlich lesen eigentlich nur Sachbücher rund um die Themen Tod, Trauer und Sterben. Das Leben ist uns manchmal Krimi genug. 🙂 Den Hype um diese ganzen Mordserien können wir teilweise nachvollziehen, teilweise nicht. Wahrscheinlich ist es genau deshalb so spannend für viele, da der Tod im Alltag doch noch in Teilen ein Tabu ist. Da hilft die Fiktion, mal auf sicherer Distanz in diese Richtung zu schauen, ohne selbst betroffen zu sein. Spannend ist das natürlich …

Wenn Eltern die Psyche eines Kindes zermürben, bis es zur Eskalation kommt – Ein Gastbeitrag von Herbert Dutzler

In Herbert Dutzlers Kriminalroman „Am Ende bist du still“ erzählt er eine Geschichte mit höchst brisanter Thematik: Helikoptereltern, die ihren Kindern die Luft zum Atmen und den Raum zur freien Entfaltung nehmen. Im Roman kommt es zur schlimmsten aller Konsequenzen: ein Kind mit dem unstillbaren Wunsch nach Rache an seiner eigenen Mutter.

Durch seine jahrelange Erfahrung als Lehrer weiß Herbert Dutzler, wie sehr manche Eltern versuchen, ihre Kinder zu kontrollieren und zu perfektionieren und welche Auswirkungen das haben kann. Gerade dadurch schafft er es, die Atmosphäre im Elternhaus von Protagonistin Sabine beklemmend realistisch wirken zu lassen …

Ein Gastbeitrag

Eine Mutter, die man sich nicht wünscht

Schon als ich das erste Mal mit meinem Verleger, Markus Hatzer, über meinen Roman „Am Ende bist du still“ sprach, schüttelte er lachend den Kopf und meinte nur „Die Mutter!“ Und nachdem mehrere andere Testleser*innen das Manuskript gelesen hatten, wurde mir immer klarer, dass es nicht ausschließlich ein Roman über eine rachsüchtige Tochter, sondern vor allem auch über eine Mutter ist. Eine, die man sich nicht wünscht, ganz sicher nicht.

Das wirft natürlich die Frage auf, ob es solche Mütter überhaupt gibt oder ob der Charakter der Mutter – im Roman, glaube ich, kommt kein einziges Mal ihr Vorname vor – nur die literarische Verdichtung eines ganz bestimmten Typus ist und daher in dieser Ausformung in der Realität gar nicht existiert.

Eine Mutter, die sich nicht um ihr Kind kümmert, sondern eine einwandfrei funktionierende Kopie ihrer selbst auf den Weg ins Leben schicken will. Ein Kind, das nicht quietscht, knackt und schmutzt, sondern eines, das sich nur Drehbuchautor*innen gnadenlos kitschiger Fernsehserien vorstellen können. Ein Kind, das gerade gut genug dafür ist, einen Hintergrund für die Konsumwünsche der Mutter abzugeben – es macht schließlich unbändigen Spaß, ein kleines Mädchen ganz nach eigenen Vorstellungen zurichten und einkleiden zu können. Ob dieses Kind selbst auch etwas will – na, darüber könnte man zwar in stillen Stunden einmal nachdenken, will man aber nicht.

Ein Erfahrungsschatz von 2700 Müttergesprächen

Wenn Liebe zur Last wird: Viele Kinder fühlen sich durch die erdrückende Zuwendung ihrer Eltern in einen goldenen Käfig gesperrt.

Und was Mütter betrifft, brauche ich mein Licht als Experte mit jahrzehntelanger Erfahrung wirklich nicht unter den Scheffel stellen. Ich habe es überschlagen: In 35 Jahren Unterrichtstätigkeit habe ich schätzungsweise 3000 Gespräche mit Erziehungsberechtigten geführt. Und 90 Prozent davon waren, das scheint bei uns eine hartnäckige Tradition zu sein, Mütter. Also circa 2700 Müttergespräche.

Jetzt lassen wir einmal alle die Mütter beiseite, mit denen man sachliche Gespräche führen konnte, die man verstand und die einen verstanden, die ihre Kinder mit Geduld, Humor, Zuwendung und Gelassenheit erzogen, wie ich es für vernünftig halte. Solche, die ihr Kinder ernst nehmen, ihnen zuhören und wissen, dass es oft Zeit braucht, bis Krisen und Probleme überwunden werden. Die lassen wir jetzt beiseite, denn die sind, mit Verlaub, literarisch, nun ja, wie soll man es sagen, etwas uninteressant. Was soll man schon schreiben über eine Familie, in der mehr oder weniger alles funktioniert, ohne dass man sich gegenseitig an die Gurgel geht? Wie gesagt, im wirklichen Leben sehr schön, in der Literatur nicht zu gebrauchen.

Also erinnert man sich, nachdem der Plan gefasst worden ist, eine alles erstickende Mutterfigur in einem Roman auf- und abtreten zu lassen, an die – Gott sei Dank seltenen – Begegnungen mit Müttern, die man auch zu Hause gleich weitererzählt, weil man den Schrecken irgendwie loswerden muss. Die Gespräche mit hysterischen Furien ebenso wie tief besorgten, weinerlichen Frauen, die nicht nur ihren Kindern, sondern sogar hartgesottenen Lehrerveteranen bleibende Schuldgefühle zu implantieren vermögen.

Schlaflose Nächte und verunsicherte Kinder

Da war jene Mutter, die mir erklärt hat, die Rechtschreibschwäche der Tochter werde gezielt bekämpft, indem man täglich mehrere Stunden konzentriert übe. Das Mädchen war ein zerfahrenes Nervenbündel, das bei jedem Laut zusammenzuckte und keinen zusammenhängenden Satz mehr herausbrachte. Zumindest in Gegenwart der Mutter. Wahrscheinlich wäre auch ich selber nach einem solchen wochenlangen Übungsdrill zusammengebrochen und hätte nicht einmal mehr einfachste Wörter richtig schreiben können.

Und da war die, die mit tiefen Augenringen in die Sprechstunde kam, erklärte, sie könne selbst in den Nächten vor Schularbeiten nicht mehr schlafen und müsse, ebenso wie ihr Sohn, regelmäßig am Morgen vor der Schularbeit erbrechen. Wie wird sich das Kind gefühlt haben, dem jeden Morgen mit weinerlicher Stimme deutlich vorgeführt wurde, welch schwere Schuld es am elenden Zustand der Mutter trug?

Und da war jene aufgetakelte Mutter, deren Parfumwolke einem fast den Atem nahm. Nach dem Sprechtag stieß einen der Schulwart kumpelhaft in die Seite und erklärte, er wisse schon, warum man sich die Dame als letzte ins Klassenzimmer geholt habe, als keiner mehr draußen gewartet habe. Sie sei Geschäftsfrau, könne sich nicht ständig um das Kind kümmern, das im übrigen nicht der Sohn ihres jetzigen Lebensabschnittspartners sei. Sie habe Geld investiert, Nachhilfe bezahlt, biete alles, was sich ein Kind nur wünschen könne. Wie es möglich sei, dass ihr Sohn derart schlechte Leistungen erbringe. Ob das nicht, man überlege ja nur, an der Unfähigkeit der Lehrperson liege? Der Sohn, so erinnere ich mich, war ein Schatten, der in der Schule herumschlich, ohne Kontakt zu anderen Kindern aufnehmen zu können, der so wenig Distanzgefühl besaß, dass er an einen so nahe herantrat, bis er einen berührte, und der im Turnunterricht nicht einmal in der Lage war, einen Ball zu werfen, geschweige denn, zu fangen.

Drei Beispiele, aus denen man sich als Autor dann ein Schreckgespenst von einer Mutter zusammensetzt, das es glaubwürdig erscheinen lässt, dass sie von ihrer Tochter gehasst wird.

Autor Herbert Dutzler weiß durch seine Tätigkeit als Lehrer nur zu gut, wie viel Druck Eltern oftmals auf ihre Kinder ausüben. Foto: Haymon Verlag/ Fotowerk Aichner.

Schwarzmalerei?

Ist denn das zulässig, wird man fragen, ist denn das realistisch, darf man denn das, sich eine so abgrundtief unsympathische Figur ausdenken, sollte man nicht lieber auch die guten Seiten eines Charakters darstellen, anstatt einseitige Schwarzweißmalerei zu betreiben?

Die Arbeit an literarischen Charakteren ist aber immer eine Verdichtung eigener Lebenserfahrung.

Die fiktiven Charaktere werden aus Merkmalen konkreter zusammengesetzt, sodass sich im besten Fall eine stimmige, glaubwürdige Figur ergibt, die aber immer fiktiv, erfunden bleibt, weil sie in ihrer Ganzheit so nicht existiert. Aber existieren könnte.

Dazu kommt, dass ich bisher nur Romane aus personaler Erzählperspektive verfasst habe, das heißt, die Geschichten werden ausschließlich aus dem Blickwinkel einer einzigen Person erzählt, man folgt immer den Handlungen und Gedanken dieser einen Person. Und von dieser kann man jetzt natürlich nicht Objektivität und Distanz erwarten, diese Person steht den anderen Charakteren des Romans mit Gefühlen, manchmal sogar mit Vorurteilen behaftet, gegenüber.

Nicht autobiographisch

Fast immer steht, bei Gesprächen nach Lesungen zum Beispiel, die Frage im Raum, inwieweit Charaktere und Ereignisse in einem Roman autobiographisch sind. Natürlich war auch meine Mutter das eine Mal zu ängstlich, zu besorgt, ein anderes Mal zu dominant, ein wieder anderes Mal unbeherrscht und voller Zorn. An solche Einzelheiten, ich nenne sie einmal Gedankensplitter, erinnert man sich während des Schreibens, versucht die eine oder andere Situation, das eine oder andere Gefühl aus der Kindheit wachzurufen, um schließlich eine glaubwürdige Komposition eines Charakters abliefern zu können. Aber so ist eben literarisches Schreiben – als autobiographisch kann man es, denke ich, deshalb nicht bezeichnen.

Zum Ende möchte ich noch eine Bitte um Verzeihung anfügen, die ich auch schon in der Danksagung des Romans vorgebracht habe: Ich möchte mich bei der überwältigenden Mehrheit aller Mütter entschuldigen, denn die ist nicht so wie die Mutter in meinem Roman.

Und: Verschenken Sie das Buch nicht zum Muttertag. Unpassend!

Brandaktuell und nervenzerreißend spannend: „Am Ende bist du still“.

 

Sabine kann sie nicht mehr ertragen: ihre Mutter, die sie ständig überwacht und die ihr, schon seit sie ein kleines Mädchen war, vorschreibt, was sie zu tun, zu fühlen, zu denken hat. Und die auch ihre erwachsene Tochter nicht loslassen will. Bis Sabine nur noch einen einzigen Ausweg sieht: Sie muss sich befreien. Ihre Mutter muss sterben.

Verstörend nachvollziehbar und nervenzerreißend spannend erzählt Dutzler eine Geschichte, die tragischer nicht sein könnte. Ein einzigartiges Feuerwerk aus verstörender Spannung und dem unstillbaren Wunsch nach Vergeltung! Lasst euch mitreißen!

Mehr Infos zum Buch gibt es hier.

Sprengt den Parthenon!

 „Wir sind die verträumten Irren dieser Erde,

die mit dem entflammten Herzen, dem enthemmten Blick.

Wir sind die unerlösten Denker und die tragisch Liebenden.“

– Jorgos Makris, „Wir, die Wenigen“ (1950) 

 

Zerstörung als Kunst, Zerstörung als Befreiung. Was vielen von uns als größtmöglicher Akt der Barbarei erscheint, als Zivilisationsbruch schlechthin, das ist für Jorgos Makris eine Geste der Emanzipation: „Sprengt den Parthenon!” – so lautet sein ungeheuerlicher Aufruf am 18. November 1944.

In Tagen, in denen uns der blindwütige Bildersturm des „Islamischen Staates” erschüttert, liest sich sein Programm heute wie ein verdammenswerter Aufruf zum Terrorismus. Und doch lohnt sich die Auseinandersetzung mit seinem subversiven Werk, denn es berührt uns in den Grundfesten unserer Gesellschaft und lässt tief blicken. Christos Chryssopoulos nimmt in seinem neuen Roman das provokante Manifest des Künstlers auf und wagt ein ungeheuerliches Gedankenexperiment: Ein Buch wie pures Dynamit.

Hoch thront die Akropolis über Athen, der übergroße Schatten den sie wirft, erstreckt sich auf alle Lebensbereiche. Als Symbol für die Zivilisation schlechthin, als „Wiege der Demokratie” und als Ausgangspunkt europäischer Kultur verkörpert sie wie kaum ein anderes Monument ein gemeinsames Erbe, das sich tief in unser Selbstverständnis und unser kollektives Unterbewusstsein eingegraben hat. Eines das die nationale Identität determiniert, ein Monument, wie ein unüberwindbares Mahnmal, das an eine glorifizierte Vergangenheit erinnert. Die Akropolis als Über-ich einer Gesellschaft, als gigantische Vaterfigur, die an die eigene Unzulänglichkeit appelliert, ein unerbittlicher Patriarch, dem man nicht gerecht werden kann.

Jorgos Makris

Für den Surrealisten Makris stand das Emblem abendländischer Überlegenheit für einen lähmenden Kult: Der Parthenon lastet schwer auf den Schultern der (griechischen) Gesellschaft, die nicht aus seinem Schatten treten kann. Die Auslöschung aller antiken Denkmäler propagierte der streitbare Künstler jahrzehntelang in Pamphleten, Interventionen und Debatten. In Traktaten der „Bewegung der Verantwortungslosen“, wie sich Anfang der 1950er Jahre eine größere Gruppe von Intellektuellen und KünstlerInnen nannte, in der auch Jorges Makris Mitglied war, wird die Zerstörung von antiken Denkmälern als nihilistisch motivierter Akt erklärt, der das Ende des „lächerlichen und verlogenen Überlebensgetues“ und der Anziehung von stümperhaften „Amateurtouristen und Eunuchen“ zum Ziel habe.

Christos Chryssopoulos erlebt die schwierigen Verhältnisse in Griechenland hautnah und sieht es als Pflicht, in seinen Büchern Stellung zu beziehen. Der 1968 in Athen geborene Schriftsteller, Übersetzer und Fotograf studierte Wirtschaftswissenschaften und Psychologie. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. verlieh ihm die Französische Republik 2015 den Titel des Ritters der Wissenschaften und Künste. Christos Chryssopoulos ist Mitglied des Europäischen Kulturparlaments und schreibt regelmäßig für die nationale und internationale Presse. Seine Bücher werden weltweit übersetzt. Mit „Parthenon“ (2018) erscheint erstmals ein Werk von Christos Chryssopoulos in deutscher Sprache. Foto: Tom Langdon

Die freilich provokanten Thesen, die Makris mit revolutionärem Pathos vorbrachte, mögen verstören und gerade angesichts der fatalen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts – aus gutem Grund – indiskutabel scheinen. Und doch werfen sie Fragen auf, die auch vor dem Hintergrund der griechischen Wirtschaftshavarie und Identitätskrise aktueller sind denn je.

Was wäre, wenn die Akropolis eines Tages einfach nicht mehr da wäre? Würde aus den rauchenden Trümmern der Tempelanlage Neues entstehen? Nach dem Schock die Befreiung, das Aufatmen, die Erlösung?

Makris’ radikaler Gedanke ist der Ausgangspunkt für Christos Chryssopoulos’ Gedankenexperiment. Kann die Zerstörung des übermächtigen Monuments ein schöpferischer Akt der Befreiung sein? Kann man seine Vergangenheit auslöschen? Und was tritt an ihre Stelle?

Parthenon

„Parthenon” beginnt mit der vollendeten Tatsache. 60 Jahre nach Makris’ Manifest erwacht die Stadt und ihr Wahrzeichen liegt in Trümmern.  Ein junger unbescholtener Mann hat das jahrtausendealte Symbol zum Einsturz gebracht. Getrieben von der Sehnsucht, sich und die Griechen von der hemmenden Bürde ihres übermächtigen antiken Erbes zu befreien. In einer Zeit, in der sich die griechische Kultur auf eins reduziert hat, nämlich einen Haufen schmutziger Steine, physisch und moralisch verschmutzt von den Horden ungepflegter und ungebildeter Touristen, die keinen Unterschied zwischen einem römischen Tempel und einem griechischen Tempel sehen würden.

So ging der Protagonist Ch.K. den ganzen Weg bis ans Ende seiner Idee, die fest verankert ist mit seinem Gewissen, dass nur die Folgen der Handlung wichtig sind … Und die Reaktion der Behörden lässt nicht lange auf sich warten. Nach dem ersten Schock, geht man der sofortigen Aufklärung des Verbrechens nach, bis immer mehr Details ans Tageslicht kommen und der Täter schließlich entlarvt ist und seine gerechte Strafe erfährt.

Hier setzt die Auseinandersetzung mit der politischen Dimension von Kunst, der Frage der Performativität von Literatur und jene nach Identität ein: Was ist eine Stadt, eine Nation ohne Monument? Was bleibt, außer dem Gefühl von Schutzlosigkeit, wenn man dessen entledigt wird? Was ist die gerechte Strafe für eine so tiefschürfende Tat?

In der Art einer journalistischen Untersuchung, eingebettet mit Archivdokumenten und Zeugenaussagen, macht Christos Chryssopoulos die große Ambivalenz jeder nationalen Identität zum Thema. Es ist ein mutiger, sprachlich kraftvoller Roman über die Konstruktion einer Nation und die Poesie der Zerstörung, der – nun erstmals aus dem Neugriechischen übersetzt – dazu beiträgt, die Lücke der griechischen Gegenwartsliteratur zu erschließen.

Wir laden Sie ein, auf eine längst überfällige Reflexion über das Warum einer ewigen und systematischen Bewunderung für die Überreste einer scheinbar „glorreichen“ Vergangenheit und über den aufwendigen Versuch, die Geschichte frei von allen Übeln neu zu schreiben.

 

„Die Profanierung des Nicht-Profanierbaren

ist die politische Aufgabe der kommenden Generation.“

Giorgio Agamben, „Profanierung“

»Wozu sind wir fähig, wenn der dünne Lack der Zivilisation abblättert?« – Autorin Tanja Paar im Interview

Tanja Paar erzählt in „Die Unversehrten“ eine Geschichte von Unglück, Eifersucht und Rache, die sich in der kleinsten Zelle unserer Gesellschaft abspielt – der Familie. Sie legt mit ihrem Debüt ein intensives Buch vor, das Fragen aufwirft, die Frauen und Männer im modernen Leben gleichermaßen berühren.

Die Konstellation im Roman ist so fatal wie alltäglich: Zwei Frauen, ein Mann, ein Kind – das Kind stammt aus der vorigen Beziehung, die Mutter ist eifersüchtig auf die neue Freundin, der Vater kämpft um den Kontakt zu seinem Kind. Ist die Rollenverteilung so einfach?

Tanja Paar ist Journalistin, Moderatorin und Medientrainerin. Neben ihrem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Graz, Wien und Lausanne arbeitete sie freiberuflich beim FALTER und dem Nachrichtenmagazin Profil. Danach war sie zwölf Jahre Redakteurin der österreichischen Tageszeitung derStandard. 2011 wurde sie zur „Journalistin des Jahres“ gewählt, 2015 zur „Medienlöwin“. „Die Unversehrten“ ist ihr Debüt. Foto: Pamela Russmann

Die Rollenverteilung ist gar nicht einfach. Jede der Figuren gibt ihr Bestes, und doch geht es sich nicht aus mit der heilen Familie – leider. Mir war wichtig, einen emanzipierten Mann zu zeigen, der sich um sein Kind kümmern will. Als Vater funktioniert dieser Martin gut, als Liebhaber hervorragend, als Ehemann weniger bis gar nicht. Und die beiden Frauen liefern sich ein Match, bei dem nur eine – nein, das verrate ich jetzt nicht

Was sind das für Frauen, Violenta und Klara, was unterscheidet die beiden, was eint sie?

Violenta ist sehr strukturiert, karrierebewusst, intellektuell. Manche würden sie vielleicht sogar egoistisch nennen. Bei einem Mann sagt man dazu „zielstrebig“. Klara ist erdiger. Beide sind berufstätig, beide wollen ein selbstbestimmtes Leben führen, beide wollen ein Kind. Der einen passiert es, die andere plant es – und am Ende sitzen sie im selben Boot. Ausgerechnet mit Martin!

Die Themen in deinem Roman sind enorm zeitgemäß, es geht um Frauen zwischen Kind und Karriere, Männer und ihre Rechte in der Obsorge – was hat dich bewegt, darüber zu schreiben?

Rund jede zweite Ehe wird in Österreich geschieden, die Lebensgemeinschaften sind dabei nicht erfasst, geben aber ein ähnliches Bild ab. Die Leidtragenden sind nicht nur, aber besonders, die Kinder. Patchwork ist eine Normalität. Mich hat es interessiert, dieses Modell auf die Spitze zu treiben, quasi als eine Art Gedankenexperiment. Wozu sind wir fähig, wenn der dünne Lack der Zivilisation abblättert? Oder sich schlicht die Gelegenheit zur bösen Tat bietet?

Vor allem geht es in deinem Roman auch um Beziehungen: wie sie sich entwickeln, vom Verliebtsein über den Schmerz der Gewöhnung bis zum Beziehungsaus und was danach passiert. Kann man da tatsächlich Muster ausmachen, die in Beziehungen auftauchen, so unterschiedlich die jeweiligen Partner auch sind?

Ich mag Muster. Mich interessiert diese Geschichte strukturell: Wie können wir nach großem Leid – das kann Krankheit sein, oder ein arger Verlust – weitermachen, weiterleben? Weil im Grunde genommen bin ich Optimistin, auch wenn dieses Buch manchmal ganz schön böse ist.

Ist es ein lustiges oder ein trauriges Buch?

Die größte Herausforderung für mich ist es, das Lustige traurig und das Traurige lustig zu erzählen.

Du erzählst die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Violenta und Klara. Warum hast du diese Erzählform gewählt?

Mir geht es um das Spiel mit der Sympathie. Die Leserin bzw. der Leser können einmal mit der einen, einmal mit der anderen Figur mitfiebern. Wer von den beiden ist im Recht? Vio, die vorher da war? Oder Klara, mit der Martin ein Kind hat? Und gibt es das überhaupt, „Recht haben“ im Sinn von der einen, einzigen Wahrheit? Diese Frage möchte ich als Autorin nicht beantworten, sondern jedem selbst überlassen. Insofern ist es ein sehr offenes Buch, das viel Interpretationsspielraum lässt – hoffe ich jedenfalls. Nur eines ist sicher: Alle Figuren lügen.

Dein Stil ist geprägt von einer knappen, schlichten Sprache. Die Kapitel sind eher kurz und durch den Perspektivenwechsel von der einen Protagonistin zur anderen entsteht eine große Spannung, ein richtiger Sog. Da brodeln die Emotionen, ohne dass davon die Rede ist. Was passiert da?

Die Geschichte ist sehr verdichtet und auf das mir Wesentliche reduziert. Die raschen Szenenwechsel kennen wir aus dem Film. Es gibt kaum Beschreibungen der Umgebung oder der Städte, in denen die  Protagonistinnen agieren. Also quasi das Gegenteil von Knausgard. Mich hat interessiert: Wie sage ich es noch knapper und noch knapper? Zum Glück hat mich der Verlag gestoppt, sonst wäre aus dem Roman ein Haiku geworden.

 

Zwei Frauen, ein Mann, ein Kind – und die bittere Süße des Lebens: Dieses Romandebüt hat es in sich.

Es ist ein harter Text, sehr präzise, sehr eindringlich. Und, ja, am Ende schreckt die Geschichte mit ihrem Mut. Denn manchmal ist das, was sich in einem Menschen aufgrund seines Alters oder einfach seiner Lebensverhältnisse dort transformiert, wo er keinen Zugriff darauf hat, das Unheimlichste schlechthin. Jenseits von Gut und Böse.”
Martin Prinz

Hier geht’s zum Buch!

Spannend wie ein Krimi – Edith Kneifl über ihren literarischen Werdegang

Unsere Autorin Edith Kneifl wird dieses Jahr mit dem Ehrenglauser ausgezeichnet, in Würdigung ihres literarischen Schaffens im Bereich Kriminalliteratur sowie ihres Engagements für die deutschsprachige Kriminalliteratur. Anlässlich der verdienten Ehrung begeben wir uns in diesem Magazinbeitrag gemeinsam mit ihr auf eine Reise zurück zu den prägendsten Passagen ihres literarischen Schaffens. Eines kann an dieser Stelle gesagt werden – Erzählstoff gibt es mehr als genug! Edith Kneifls Werdegang steht ihren Kriminalromanen in Punkto Spannung um nichts nach. Eine Frau, wie gemacht für das Krimigenre!

Hier erzählt sie uns von ihren beruflichen Ambitionen, von Filmangeboten aus Übersee und warum eine nette Nachricht von Jack Unterweger bei ihr eintrudelte.

Aller Anfang ist … reich an Umwegen

Edith Kneifl bei der Criminale 1989 in Berlin. Foto: Privat

Mit 18 wollte ich Sportjournalistin werden und inskribierte mich deshalb nach der Matura für Publizistik und Kunstgeschichte (sehr passend zu Sport?) an der Salzburger Uni. Mein Interesse für Publizistik währte nur ein Semester lang. Während meines Psychologie- und Ethnologie-Studiums in Wien schrieb ich dann tatsächlich kurze Sportberichte für diverse Zeitungen, unter anderem für den Vöcklabrucker Wochenspiegel (heute „Rundschau“), für das Oberösterreichische Tagblatt, das Oberösterreichische Volksblatt, etc… Da ich mit diesen „großartigen“ Berichten nicht einmal das Geld für meinen Zigarettenkonsum verdiente, beschloss ich, doch lieber Psychologin zu werden. Aber es kam alles anders.

Meine erste Kurzgeschichte verfasste ich im Jahre 1980, glaube ich. Damals war ich wild campierend mit einem Freund auf Sardinien und Korsika unterwegs. Während er den ganzen Tag lang surfte und fischte, schrieb ich eine kleine Mordgeschichte. Das Opfer war natürlich ein Fischer und Surfer.
Drei Jahre später machte ich ernst mit dem Schreiben. Ich verbrachte mit meinem späteren Mann einige Zeit in San Francisco und las alle Romane von Dashiell Hammett und Raymond Chandler auf Englisch. Ich bildete mir ein, dass mein Englisch gerade mal für Krimis ausreichen würde. Anscheinend hatte ich damals die üblichen Vorurteile, was die literarische Qualität von Krimis betrifft. Die großartigen Klassiker unseres Genres überzeugten mich so sehr, dass ich, völlig naiv und vermessen, feministische Parodien auf ihre Romane zu schreiben begann. Diese drei Romane habe ich keinem Verlag angeboten, sie liegen bis heute in meiner Schreibtischschublade. Vielleicht wird sie ja der Haymon Verlag mal posthum veröffentlichen? Sie sind eine Riesenhetz.

Jack Unterweger hier, ich bin an Ihrer Kurzgeschichte interessiert!

In den folgenden Jahren schrieb ich jede Menge Kurzgeschichten. Einige dieser Kurzkrimis bot ich diversen Literaturzeitschriften an, und sie erregten zu meiner großen Freude auch Interesse. Ich schickte z.B. eine kleine Mordgeschichte an den Herausgeber einer Literaturzeitung in Stein an der Donau. Ich bekam eine sehr nette Antwort von einem Herrn Jack Unterweger. Er wollte die mörderische Geschichte auch tatsächlich veröffentlichen. Als ich dies voller Freude meinem Mann erzählte, war er, der nicht so leicht zu schockieren ist, doch ziemlich entsetzt. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass Jack Unterweger ein Serienmörder war, der wegen grausamer Frauenmorde in Stein im Gefängnis saß. Ab diesem Zeitpunkt bot ich meine Kurzkrimis nur noch dem Wiener Frauenverlag (heute Milena Verlag) oder deutschen Verlagen an.
Wenn ich mich richtig erinnere, war die erste Kurzgeschichte, die ich 1987 in einer Anthologie des Frauenverlages veröffentlichte, „Tschick“, eine Parodie auf den zwangsneurotischen Sherlock Holmes.

Von Stasi-Interviews und Lesungen nach durchgefeierten Nächten

Bei dem deutschen Graf von Westarp Verlag erschien 1988 „Das Haus am Fluß“. Mein damaliger Lektor ist heute selbst ein großartiger deutscher Kriminalschriftsteller: H. P. Karr. Diese Veröffentlichung in einer Anthologie mit vielen bekannten deutschen Krimiautoren gab mir genügend Selbstvertrauen, um endlich richtig loszulegen.

Edith Kneifl bei der Buchpräsentation von „Ende der Vorstellung“. Foto: Privat

Ich schrieb „Zwischen zwei Nächten“ auf meiner geliebten elektrischen Schreibmaschine „Erika“, einem sozialistischen Qualitätsprodukt aus der damals noch existierenden DDR. Jeder Tippfehler wurde mit Tipp-Ex gelöscht, viele Absätze mit Schere ausgeschnitten und mit UHU woanders drübergeklebt. Ich brauchte vor allem aus technischen Gründen ewig lange für diesen Roman. 1991 erschien er im Wiener Frauenverlag. Ein Jahr später wurde ich für diesen Großstadtkrimi, Wien- und Frauenroman (stand in den Kritiken) mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Dieser Preis wird jährlich vom Syndikat, der Vereinigung deutschsprachiger Kriminalschriftsteller, für den besten Kriminalroman vergeben. Ich war die erste ÖsterreicherIn, die diesen Preis verliehen bekam. Vor mir hatten ihn nur männliche deutsche und Schweizer Kollegen bekommen.

Danach konnte ich mir quasi die Verlage aussuchen. Die Wahl fiel auf den deutschen Heyne Verlag. Wir Heyne-Krimiautoren waren eine verrückte Bande, machten die Nächte durch und erschienen morgens bei den Lesungen prinzipiell mit Sonnenbrillen (die Damen) und Hut (die Herren). Aber das ist eine andere Geschichte.

Auch nicht schlecht: In Mexico-City wurde ich 1989, kurz vor dem Fall der Berliner Mauer, von Stasi-Agenten aus der DDR interviewt – was ich natürlich nicht begriffen habe. Und in Acapulco begleiteten mich im selben Jahr zwei KGB-Agenten beim Schwimmen im Pazifischen Ozean – ich war mit berühmten sowjetischen Autoren unterwegs und sie hatten Angst um mich wegen der gefährlichen Brandung. Und das sind nur die harmlosen Geschichten … Alles andere ist nicht für eine Veröffentlichung geeignet.

Angebote aus Übersee und der EHRENGLAUSER 2018

Dreh- und Angelpunkt von Edith Kneifels Krimireihe: Ihr Lebensmittelpunkt Wien.

Mein Roman „Ende der Vorstellung“ erschien anschließend und wurde unter dem Titel „Taxi für eine Leiche“ von Wolfgang Murnberger verfilmt und 2002 mit der Romy als bester Fernsehfilm des Jahres ausgezeichnet. Ich wurde vom österreichischen Produzenten des Films auf ein sehr renommiertes Drehbuchseminar in Sitges (bei Barcelona) eingeladen. Mein britischer Tutor dort war ein ehemaliger Drehbuchschreiber von Luchino Visconti. Er wollte mir, hinter dem Rücken meines Produzenten, mein Buch abkaufen, um es in Hollywood anzubieten, da es in meinem Roman viele Rollen für ältere Schauspielerinnen gab. Ich war wieder mal treu-doof und habe diese Chance nicht wahrgenommen.

Es folgte mein nächster Krimi, den ich für einen meiner stärksten Thriller halte, „Allein in der Nacht“. Er war auf der Liste der besten 500 deutschsprachigen Romane (nicht nur Krimis), und amerikanische Agenten und Verlage waren interessiert.
Dann schneite ein Angebot vom österreichischen Haymon Verlag herein. Ich war froh, als mein Kollege Alfred Komarek mir empfahl, es anzunehmen.
Bei Haymon konnte ich, dank meines neuen Lektors und Programmchefs Georg Hasibeder, endlich meine eigenen Pläne realisieren, die historische Krimireihe mit meinem Traummann Gustav von Karoly als Ermittler, und auch meine frauenfreundlichen Kriminalromane, die nicht nur in Wien, sondern auch in Italien, USA und in den Donauländern spielen. Ich habe als Schriftstellerin viel Glück gehabt und freue mich jetzt besonders über den Ehrenglauser 2018, die wahrscheinlich höchste Auszeichnung, die man als deutschsprachige KriminalschriftstellerIn bekommen kann.

Bitte keine Schubladen!

Ich mag übrigens nicht schubladisiert werden. Ich schreibe weder nur Frauenkrimis oder nur Wienkrimis oder nur Thriller, und ich mag auch keine endlosen Serienfiguren (kleine Ausnahme ist mein Gustav von Karoly, den ich erst verheiraten muss, bevor ich ihn aufgebe). Nach 3-5 Romanen wird mir meistens ein bisschen langweilig mit den Leuten. Deshalb habe ich für die Zukunft auch schon wieder neue Pläne. Ich kann es einfach nicht lassen, werde weiter wild drauflos „morden“. Die von mir verehrte Schriftstellerin Patricia Highsmith gestand einst, dass wahrscheinlich ein streng unterdrückter verbrecherischer Trieb in ihr schlummern würde. Tja, vielleicht trifft das auch auf mich zu?

Edith Kneifl: Der Tod ist ein Wiener.

 

 

 

Anfang März erscheint bei HaymonTB Der Tod ist ein Wiener” von Edith Kneifl. Toughe Ladies mit Wiener Schmäh und Pfeffer ermitteln! Also nichts wie ran an das Lesematerial: Es lohnt sich!

Von Menschen und Unmenschen: Autor Thomas Baum im Videointerview

Sein Ruf eilt ihm in Sachen Bewegtbild durch Filme wie „In 3 Tagen bist du tot“ voraus, nun ist Thomas Baum dabei, sich auch als Krimiautor in die heimische A-Liga vorzuschreiben. In seinem Kriminalroman „Tödliche Fälschung“ überzeugt er durch Spannung verquickt mit psychologischer Detailtreue. Als Drehbuchautor und psychologischer Berater hat er sich die nötige Werkzeugkiste geschaffen, um den Leser mit fein gezeichneten Charakteren tief in die Abgründe der menschlichen Seele zu entführen – und dabei dennoch nie den Humor zu verlieren!

Wir haben den Autor getroffen, um hinter die Kulissen zu blicken und zu erfahren, wie sehr seine beruflichen Erfahrungen seine Schreibarbeit bereichern.

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Einige Auszüge aus dem Interview:

Was macht deiner Meinung nach einen Menschen zum Unmenschen? Gibt es so etwas überhaupt?

Nun ja, aus der Perspektive der sogenannten „Unmenschen“ ist ja das, was sie tun, gut. Sie würden es ja nicht tun, wenn sie nicht glauben würden, dass sie damit etwas bewältigen könnten. Und unmenschlich, würde ich einmal sagen, da gibt es Biographien, da gibt es Milieus, verschiedene Umstände, die dazu beitragen, dass Menschen möglicherweise von ihrer Bahn abgleiten (…).

 

Wie sehr haben deine Erfahrungen als Drehbuchautor und psychologischer Berater deine Arbeit als Krimiautor beeinflusst/bereichert?

Beim Drehbuch-Schreiben lernt man relativ viel über das Handwerk des Erzählens in der Form von Szenen, Bildern, Dialogen. Beim Drehbuchschreiben muss man auch sehr intensiv die Charaktere entwickeln.
Ich schaue, dass die Geschichte schon auf guten Beinen steht, bevor ich zu schreiben beginne. Das ist das eine, und die Arbeit als Supervisor, so heißt das genau, da beschäftige ich mich ja sehr intensiv mit verschiedensten Wirklichkeiten, zum Beispiel mit der Wirklichkeit von Jugendlichen, die belastet sind, von Familien, die belastet sind, oder auch von psychisch Beeinträchtigten.

 

Kurz nachgehakt: Historiendrama oder Horrorfilme?

Eine spannende Frage, weil ich mich mit beiden schon beschäftigt habe. Ich schreibe ja „Universum History“ für den ORF, aber so vom Filmischen her und vom Zugang und vom Zugriff ist es eher der Horrorfilm.

 

„House of Cards“ oder „Breaking Bad“?

„House of Cards“, und zwar deshalb, weil „Breaking Bad“, das finde ich eine ganz spannende Serie, allerdings habe ich sozusagen mit diesem ganzen Crystal-Meth-Zeug so wenig am Hut, weil ich Menschen kenne, die davon betroffen sind, die das nehmen, und weiß, was für Katastrophen das mit sich bringt.

Thomas Baum: Tödliche Fälschung

 

 

 

In seinem neuesten Krimi „Tödliche Fälschung“ reizt Thomas Baum die Spannung bis zum Äußersten aus und liefert einen geschickt konstruierten Fall, der ausgezeichnet unterhält und von Linz bis nach Neapel führt!

Wie fühlt es sich an, die eigene Biografie zu schreiben? Felix Mitterer steht Rede und Antwort.

Der beliebte Volksdichter beantwortet Hintergrundfragen zu seiner in Kürze erscheinenden Autobiografie. Offenherzig und mit viel Humor erzählt er über Höhen und Tiefen des Schreibprozesses und verrät uns, wie sich Realitätsflucht im Laufe der Zeit verändert hat. Hier findet ihr einige Zitate zum Nachlesen und das ganze Interview als Video!

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Wie fühlt es sich an, die eigene Biografie zu schreiben?

[…] ich [habe] ein Problem gekriegt mit mir selber, weil ich mir gedacht habe, ist das jetzt alles eitle Selbstbespiegelung, das kann es ja überhaupt nicht sein, dass ich so viel schreibe; dann habe ich aber doch bemerkt, dass ich auch viel über Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter und Menschen, die mir einfach wichtig waren in meinem Leben, in meinem Privatleben, in meinem Arbeitsleben, geschrieben habe, und ich hoffe, dass dieser Teil dann überwiegt und nicht ich selber – hoffentlich.

 

Hat das Schreiben überwiegend Spaß gemacht, oder war es letztlich doch eher schwierig?

Naja, ich war ja sehr spät dran – wie wir wissen – und ich habe einen ziemlichen Zeitdruck verspürt. Man darf eines nicht vergessen, ich bin ja Drehbuchautor und Dramatiker, also alles, was man da schreibt, hört sich bei hundert Seiten normalerweise auf. Sonst wird das Stück zu lang und der Film zu lang. Und auf einmal war ich da bei, ich weiß nicht, 460 Seiten oder was, das ist ja anstrengend. Und ich habe gewusst, ich muss mich jetzt schön langsam beeilen, damit das Buch zu meinem Geburtstag herauskommt.

 

Du hast damit ein Stück Theatergeschichte geschrieben. War dir das bewusst?

Für mich war das sehr wichtig, weil ein Stück Theatergeschichte heißt bei mir in diesem Fall, über mein Glück zu schreiben, das ich hatte. Nämlich zum einen, dass ich von der Volksbühne, vom Volkstheater meinen Ausgangspunkt nahm, […] das auch mein erstes Bühnenerlebnis war als Zwölfjähriger, der Bauernschwank nämlich. Also diesen Weg gehend, zu den Volksbühnen, Amateurbühnen, im ganzen Land Tirol und nicht nur da, auch in ganz Österreich und in Bayern und weiß Gott wo gespielt zu werden, und dann das Glück habend, auch in Wien oder München oder wo immer an den großen Theatern und auch an den Kellertheatern gespielt zu werden.

 

Was ihn antreibt im Schreiben und im Leben, was schmerzhaft war und was schön – davon spricht Felix Mitterer erstmals in dieser Autobiographie, die mit Aufnahmen aus seinem Privatarchiv und den Archiven der Theater- und Fernsehanstalten ergänzt ist. Sein langjähriger Verleger Michael Forcher hat ein Grußwort beigesteuert. Hier gehts zum Buch!

Das Gute im Bösen und das Böse im Guten: Der Drehbuchautor von „In 3 Tagen bist du tot“ im Interview zu seinem neuen Kriminalroman

Folgen für den Tatort, die Rosenheim-Cops, Universum History und den Film „In 3 Tagen bist du tot“: All das kann Thomas Baum in seiner Vita bereits verbuchen. In Sachen Spannung kann man dem oberösterreichischen Tausendsassa also so schnell nichts vormachen. Nun hat sich der sprachgewandte Garant für guten Thrill mit dem Kriminalroman „Tödliche Fälschung“ wieder an das gedruckte Format gewagt, um auch den Adrenalinspiegel von buchaffinen Krimifans in die Höhe zu treiben. Mit einem kultig-knorrigen Grantler als Ermittler und einer kräftigen Prise Zynismus webt Thomas Baum eine Story, die zwischen Oper und Wirtshaus, Linz und Neapel, Schlagfertigkeit und Dramatik changiert.

Wir haben die Neuentdeckung am Krimihimmel zum Interview gebeten, um herauszufinden, wie viel szenisches Spiel in seinem neuen Krimi und wie viel Kommissar Worschädl in Thomas Baum steckt.

Mit deinem Drehbuch zum Kinohit „In 3 Tagen bist du tot!“ hast du den österreichischen Film in unerwartet erfolgreiche Bahnen gelenkt. Wie sehr sucht ein Thomas Baum bewusst die Herausforderung?

Thomas Baum: Neue Genres und Formate haben mich immer gereizt. Ein Horrorthriller funktioniert nach anderen Gesetzmäßigkeiten als ein Tatort oder eine Folge für die Rosenheim-Cops. Da wird das Spiel mit dem Schrecken und der Angst bis zum Äußersten gedehnt, zwischen den Spannungsbögen gibt es kaum Erholungspausen. Jetzt recherchiere ich bereits intensiv für meinen nächsten Kriminalroman und verbinde dabei wieder Lokalkolorit mit internationalem Verbrechen.

 Wie groß ist der Sprung vom Drehbuch zum Buch? Inwiefern musst du dich zwischen den beiden Genres umstellen?

Thomas Baum: Die Erzählweisen sind sehr unterschiedlich. Ein Drehbuch vermittelt uns eine Geschichte in Bildern, Dialogen und beschreibenden Passagen in einem zeitlich begrenzten Rahmen von 45, 90 oder auch mehr Minuten. Bei der erzählenden Prosa spielen Sprachmelodie und -rhythmus eine weitaus größere Rolle. Da kann ich mich eine halbe oder ganze Seite in der Gedankenwelt einer Figur bewegen, während sich innere Empfindungsprozesse beim Drehbuch über die Handlung und die Dialoge erschließen.

In beiden Genres bist du im Horror- bzw. Krimibereich unterwegs. Liest du auch privat Krimis? Was inspiriert dich?

Thomas Baum ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt in der österreichischen Literatur- und Filmszene. Foto: Thomas Baum

Thomas Baum: Krimis lese ich vor allem im Sommer. Da reisen immer sieben, acht Bücher mit. Don Winslow, Jo Nesboe, Fred Vargas, Arne Dahl, Karin Slaughter, Bernhard Aichner, … Mich interessieren die Vorgeschichten. Wie jemand zu dem geworden ist, der sie oder er heute ist. Kein Mensch wird als Verbrecher geboren. Aber es gibt Lebensstationen, Umstände, Milieus, die zu einem Werdegang in eine bestimmte Richtung beitragen. Viele kommen nicht auf der Butterseite zur Welt. Und auch in den besten Verhältnissen gibt es kleine, oft nichtige Anlässe, die jemanden stolpern lassen, vom Weg abbringen, in eine ungewollte Richtung treiben. Solche Wendepunkte beschäftigen mich. Das alltägliche Scheitern genauso wie das alltägliche Gelingen. Deshalb suche ich bei meinen Figuren nach individuellen Besonderheiten. Nach den Ambivalenzen, die sie einmal auf die eine und dann wieder auf die andere Seite ziehen. Ich gehe davon aus, dass es das Gute im Bösen und das Böse im Guten gibt.

Wie viel szenisches Spiel steckt in deinem neuen Roman?

Thomas Baum: Beim szenischen und vor allem filmischen Schreiben gilt das Prinzip „late in, early out“. Auch im Roman steige ich in die Kapitel ein, wenn das Wasser im Kochtopf schon so richtig am Dampfen ist. Und mit dem Schnitt am Ende möchte ich einen Trampolin-Effekt erzeugen, einen Schwung, der zum Weiterdenken und Kombinieren anregt. Außerdem widme ich mich intensiv den Dialogen. Weil sich jeder Mensch individuell und speziell ausdrückt. In der Färbung, im Rhythmus, in der Wortwahl spiegeln sich die unterschiedlichen Biografien und Lebenswelten – das möchte ich rüberbringen.

Kannst du uns deinen Ermittler kurz vorstellen?

Thomas Baum: Robert Worschädl ist ein knorriger Grantler mit raffinierten Verhörmethoden, der Vorschriften verlässlich ignoriert und zu Alleingängen neigt. Er vertraut gerne auf sein Bauchgefühl und lässt sich beim Ermitteln mitunter auf riskante, fast wahnwitzige Aktionen ein. Sein leichtes Übergewicht hindert ihn nicht daran, in brenzligen Situationen auch körperlich sehr effizient zu agieren. Zugleich ist er ein humorvoller Genießer, der ein gutes Gläschen Wein schätzt und gemeinsam mit seiner Frau Karoline der Überzeugung ist, dass man sich den Gemeinheiten und Ungerechtigkeiten dieser Welt beherzt entgegenstellen muss.

Wie viel Thomas Baum steckt in Worschädl?

Thomas Baum: Gar nicht so wenig. Wir gehen ähnlich auf Herausforderungen und Probleme zu: mit grundsätzlicher Zuversicht und einer selbstverordneten Mischung aus Leichtigkeit und Witz. Er hat so wie ich Höhenangst, mit menschlichen Abgründen setzt er sich aber relativ furchtlos auseinander. Worschädl und Thomas Baum pflegen einen großzügigen Umgang mit ihren Fehlern und schmunzeln gerne über sich selbst.

Tödliche Fälschung“ beginnt im Linzer Konzerthaus. Hast du eine besondere Beziehung zur Musik?

Thomas Baum: Musik gehört zu meinen Grundnahrungsmitteln. Sie befeuert mich und ermöglicht mir ein variantenreiches Register an Stimmungen. Mich begeistert auch ihre präzise Struktur und Mathematik. Ganz privat habe ich das große Vergnügen, Sänger und Mundharmonikaspieler einer enthusiastischen Dilettantenband zu sein. Und der Klang des Cellos, der in „Tödliche Fälschung“ eine wesentliche Rolle spielt, hat mich schon immer fasziniert: tiefgründig, weich, melancholisch, sinnlich … aber auch bedrohlich und gefährlich.

 

 

 

Hier findet ihr alles zu Thomas Baums geschickt konstruiertem Fall, der garantiert für strapazierte Lachmuskeln und einen hohen Puls sorgt! Ein Muss für alle Fans von Krimi mit Tiefe.

Herr Major, ist die Welt wirklich so böse? Ja.- Der Haymon Verlag im Gespräch mit Johannes Schäfer.

„… seine Kriminalromane zählen zu den besten, die es für Geld zu kaufen gibt.”

Die Welt, Elmar Krekeler

„Was denkt sich der Bub bloß immer aus?”

Mama

Georg Haderer ist einer, der die Krimiszene Österreichs ordentlich aufgemischt hat. Unkonventionell, ohne Rücksicht auf Political Correctness, dafür aber mit einem genialen Sinn für Sprachwitz und skurrile Wendungen und für gallig-unterhaltsame Krimis, die dennoch tief gehen, hat er sich seinen festen Platz unter den Großen des Landes erschrieben. Einst war er Landschaftsgärtner und Skilehrer, heute ist er stolzer Autor von bisher sechs Kriminalromane rund um Polizeimajor Schäfer.

Georg Haderer. Foto: Ricardo Herrgott.

Major Schäfer ist einer, den das Leben oft im Nacken packt und ordentlich beutelt. Einer, der sich selbst trotzdem nicht immer allzu ernst nimmt. Einer, der die Menschen und ihre Abgründe fürchtet und sie zugleich auch gerade für ihre Abgründe liebt. Einer, für den Engel Dämonen und Dämonen Engel sein können. Seine Auffassung von Gerechtigkeit geht nicht zwangsläufig immer mit der staatlichen Rechtsauffassung d’accord, seine Begeisterung für diverse Suchtmittel nicht immer mit dem landläufigen Verständnis von Arbeitsmoral. Ohne seinen Assistenten Bergmann, der ihm über weite Strecken zur Seite steht, hätte er es zuweilen noch schwerer.

Kurz vor Erscheinen seines fünften Falles hat der Haymon Verlag Schäfer erwischt und zu einem kurzen Interview gebeten – dieses können wir euch natürlich nicht vorenthalten!

 Haymon: Herr Major, in Ihrem aktuellen Fall …

Major Schäfer: Das ist eine laufende Ermittlung, da darf ich jetzt noch nichts verraten.

Haymon: Gut … dann gebe ich vielleicht eine Leserfrage weiter: Wie alt sind Sie eigentlich?

Schäfer: Für einen Fußballer wäre ich alt, für einen Papst sehr jung, reicht das?

Haymon: Dürfen wir daraus schließen, dass Sie eitel sind?

Schäfer: Wer sagt so etwas? Der Bergmann? Sicher … dem pfeife ich nächstes Mal was.

Haymon: Bleiben wir gleich bei ihm. Wie geht es Ihnen denn seit Ihrer Versetzung ohne Ihren langjährigen Assistenten?

Schäfer: Es wurde ohnehin Zeit, dass er auf eigenen Füßen steht. Kann mich ja nicht ewig um ihn kümmern.

Haymon: Bei Ihren letzten Fällen hat man ja eher den gegenteiligen Eindruck gewonnen  …

Schäfer: Und? Glauben Sie alles, was irgendwer schreibt?

Haymon: Gut … was viele Leser interessiert: Gibt es da vielleicht eine Frau, die …

Schäfer: Wieso? Will der Haderer mich wieder verkuppeln, der alte Schwerenöter?

Haymon: Möglich … nun, eine abschließende Frage: Ist denn die Welt wirklich so böse, wie Sie sie erleben?

Schäfer: Ja.

Schäfer-Krimis bei Haymon-Taschenbuch

„Der Plot fern der politischen Korrektheit, witzige Sprache, abgründiger Schmäh und eine Hauptfigur voll galligem Humor.”
Format, Michaela Knapp

Vier Fälle mit Major Schäfer gibt es bei Haymon-Taschenbuch. Mehr dazu findet ihr hier!