Autor: Christophe

„Das Frau- und Kind-Sein ist weltweit zu einem Überlebenskampf geworden.” – Gastbeitrag von Anna Herzig

Liebe Leser*innen!

Die Welt hat sich seit 2020 verändert, läuft schneller, unbarmherziger und wandelt sich rasanter als einem liebt ist. Diese Veränderungen und deren (mögliche) Auswirkungen haben mich unter anderem zu meinem neuen Roman 12 Grad unter Null, der im Haymon Verlag ein wundervolles Zuhause gefunden hat, inspiriert.
12 Grad unter Null ist keine Temperatur, der man gerne ausgesetzt ist. Unabhängig davon, in welchem Körper man in diesem Leben wohnt.
Beim Schreiben dieses Romans, der mir näher geht als alle anderen Texte, die ich bisher geschrieben habe, bin ich weit über meine Grenzen gegangen. Das lag zum einen an der pausenlosen Care-Arbeit und zum anderen an den schweren Themen, die dieser Text behandelt. Dennoch war es mir wichtig, diese Geschichte zu erzählen. Und darum geht es:
Elise und Greta, zwei mittlerweile erwachsene Schwestern, leben 2024 in einem Land, das ein unvorstellbar misogynes und gleichsam grausames Gesetz erlässt. Etwas, das so widerlich ist, dass ich es hier nicht vorwegnehmen möchte.
Alles, was in Sandburg passiert, ist kaum einen Schritt weiter weg als die Dinge, mit denen wir uns – vor allem weibliche Personen – tagtäglich konfrontiert sehen. Tag für Tag, immer, seit jeher. Eine Besserung scheint nicht in Sicht.
Jahre zuvor: Die Mutter von Elise und Greta beschließt, sich stark zu machen, und kämpft neun Jahre lang gegen den Vater der Mädchen an. Eine hoffnungslose Aussicht von Anfang an. Weshalb? Nicht, weil sie nicht jederzeit gehen könnte, sondern weil – und hier sind wir mehr in der Realität als in der Dystopie – es einer alleinerziehenden Mutter unmöglich gemacht wird, ihren Alltag mit Job und Kindern, mit dem ständigen nervenaufreibenden Jonglieren zwischen verschiedenen Welten, finanziell abgesichert zu erleben. Sich aus einer toxischen Ehe zu lösen, bedeutet für eine Frau auch heute noch und nicht seltener: ein Leben an der Armutsgrenze oder knapp oberhalb davon.

Die Geschichte dieser zwei Schwestern und ihrer Mutter, die immer noch an der Suppe von damals schlucken, die niemals kalt werden durfte, geht mir so sehr unter die Haut, dass das Fortkommen während des Entstehungsprozesses mit vielerlei unterschiedlichen Schmerzen einherging.
Soll eines der Anliegen des Feminismus tatsächlich sein, patriarchale Strukturen aufzubrechen, und zwar nachhaltig? Dann muss endlich und nachdrücklich dort angesetzt werden, wo es Frauen unmöglich gemacht wird, ohne die Hilfe und Unterstützungsleistungen von Partnern und Ehemännern nicht nur zu überleben, sondern sich auch sicher fühlen zu können: in der Gesetzmachung und -erlassung. Dort, wo entschieden wird, wieviel Kinderbetreuungsgeld einer Frau zusteht, wie hoch oder, nach derzeitigem Stand, nieder die Sozialleistungen sind. Wie eine Frau (mit und ohne Kinder) aufgefangen werden kann, wie der safe space aussehen soll, den sie benötigt, wenn sie den Schritt wagt, sich aus toxischen Verhältnissen zu lösen. Aber das ist nur ein Aspekt. Welche Gesetze müsste es geben, damit Frauen endlich Beruf und Familie vereinbaren können, ohne Zuverdienstgrenzen unterworfen zu sein, ohne Abhängigkeit vom Ehemann? Wie soll eine Frau, nach derzeitigem Stand, nicht in der Armutsfalle landen, wenn sie sich trennt und dann mit einem Teilzeitjob sich und ihr Kind versorgen muss? Die wenigsten Frauen haben Eltern und Schwiegereltern, die ihnen helfen. Die meisten Frauen sind auf sich alleine gestellt. Und mit einem Mann, der die Psyche einer Frau, einer Mutter ständig attackiert, fehlt die Kraft und der Glaube, sich jemals aus einer solchen Situation lösen zu können.

Alles, was man einer Frau antut, wird eine Frau niemals vergessen.

Alles, was man einem Kind antut, kann ein Kind niemals vergessen.

Das Frau- und Kind-Sein ist weltweit zu einem Überlebenskampf geworden.

Wenn wir patriarchale Strukturen brechen möchten, beginnen wir doch damit, zusammenzuhalten und uns nicht gegeneinander aufzubringen.
Ich empfehle euch dazu eindringlich die Lektüre „Einzeller“ von der grandiosen Schriftstellerin Gertraud Klemm, ein bedeutender wie unverzichtbarer Roman, der im Kremayr & Scheriau Verlag erschienen ist.

Abschließend möchte ich noch sagen: Mein Roman behandelt sensible Themen, u.a. häusliche Gewalt sowie psychischen und physischen Missbrauch. Es liegt mir fern, Menschen mit Gewalterfahrungen traumatisieren zu wollen, was ich möchte, ist Awareness dafür zu schaffen, dass wir aufeinander aufpassen, genauer hinsehen müssen. Es war mir ein Anliegen, mich den Themen dieser Geschichte zu stellen, die für viele weibliche Personen keine Geschichte, sondern Vergangenheit und/oder Gegenwart ist.

In 12 Grad unter Null geht es um das, was hinter den Augenfenstern anderer Menschen lauert und hinter unseren eigenen.
12 Grad unter Null ist eine Warnung. Nicht an Männer. Sondern an uns.

Eure Anna Herzig

 

„Unerschrocken und heiter”: Wildgans-Preisträger Christoph W. Bauer im Interview

Am 13. September wird Christoph W. Bauer der Anton-Wildgans-Preis verliehen. Die Jury der hochkarätigen Auszeichnung betont in ihrer Begründung die Vielseitigkeit des Schriftstellers, der uns in seiner Prosa durch das Alphabet historischer Häuser und Straßenzüge streifen lässt und mit seiner Lyrik spielerisch zwischen The Clash und griechischer Mythologie auf abenteuerliche Entdeckungsreisen schickt. In unserem Interview sprechen wir mit dem Schriftsteller über die jüngste Auszeichnung, über unmodernes Zaudern und über Punk-Rock und Poesie.

Portrait: © Haymon Verlag / Fotowerk Aichner

Christoph W. Bauer, geboren 1968 in Kärnten, aufgewachsen in Tirol. Verfasst Lyrik, Prosa, Essays, Hörspiele und Übersetzungen. Zahlreiche Veröffentlichungen, mehrere Auszeichnungen, u.a. Reinhard-Priessnitz-Preis (2001), Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (2002), Preis des Kärntner Schriftstellerverbands (2010), Kärntner Lyrikpreis (2014), Outstanding Artist Award und Tiroler Landespreis für Kunst (beide 2015), Preis für künstlerisches Schaffen der Stadt Innsbruck (2021), sowie zuletzt den Anton Wildgans Preis der Österreichischen Industrie 2023.

Was bedeutet dir der Wildgans Preis?

Diese Auszeichnung hat eine lange Tradition – und mit Blick auf die Liste der Autorinnen und Autoren, die mit dem Wildgans-Preis ausgezeichnet wurden, ist das schon etwas Besonderes. Und ich freue mich darüber. Auch über das Preisgeld, klar doch.

Haben Preise einen Einfluss darauf, wie Literatur wahrgenommen wird?

Ich weiß nicht, mag sein. Wenn ja, beschränkt sich dieser Einfluss aber wohl auf recht kurze Zeit. Heute eine Pressemeldung, morgen schon die nächste. Heute eine Auszeichnung hier, morgen ein Preis dort. Wichtig ist die Anerkennung für jene, die sie erhalten, ohne Anerkennung kann kein Mensch leben, egal in welchem Beruf. Anerkennung, das bedeutet, wahrgenommen zu werden – ach, ich weiß es wirklich nicht. Du siehst ja, ich zögere, ich zaudere …

Daran anschließend: Wie steht es um die Produktionsbedingungen in der Literatur, im Feuilleton, in der Kulturvermittlung? Blickst du eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft, was das angeht?  

Dazu könnte zweifelsohne ein Verlag mehr sagen, denke ich. Fest steht freilich, dass es mittlerweile verschiedenste Möglichkeiten der Vermittlung gibt, die von den klassischen der vergangenen Jahrzehnte abweichen. Manche eignen sich dafür mehr, manche weniger, aber ohne neue Entwicklungen geht es nicht – ist es auch nie gegangen. Insofern lasse ich mich überraschen, was die Zukunft angeht, meine eigene Arbeit, also mein Schreiben, wird das wohl wenig beeinflussen. Ein Verriss macht ein Buch nicht schlechter, eine Laudatio ein Werk aber auch nicht besser. Ignoranz ist zu ignorieren, einfach weiterschreiben, das ist meine Devise, mein Wahlspruch, das kingt markiger: unerschrocken und heiter.

Ist in einer (digitalen) Öffentlichkeit, die von starken, kategorischen Meinungen geprägt ist und besonders die grellen und polarisierenden Zurufe begünstigt, das Suchen, Abwägen und Unschlüssigsein gewissermaßen in der Krise?

Ich würde nicht gerade sagen „in der Krise“, aber in einer Zeit der Behauptungen und der verbalen Schnellschüsse ist es unmodern geworden, zu zaudern, zu hinterfragen, sich Zuschreibungen zu verweigern. Daraus ziehe ich die Kraft, es dennoch zu tun.

Ist der abwägende Zauderer ein „unsung hero“ oder ein Antagonist unserer Zeit?

Er ist wohl beides.

Zaudern, spielen, augenzwinkern und bitter lachen: Liegt darin ein subversives Moment?

Unbedingt!

Kann Literatur, kann insbesondere Lyrik ein „nachdenklicheres“ Gegengift sein für das Stakkato der Gewissheiten, das uns von Titelseiten und Twitterbeiträgen entgegengeschrien wird?

Ich denke schon, dass Literatur da etwas bewirken kann, vorausgesetzt freilich sie findet Leserinnen und Leser, vorausgesetzt sie findet Verlage, die sich nicht von Twitterbeiträgen in ihrer Programmgestaltung beeinflussen lassen.

Wildgans-Preis Jurybegründung:

„Christoph W. Bauer ist in nahezu allen literarischen Genres zuhause. In seinen Prosa-Arbeiten, die vielfach im Grenzbereich zwischen Historiographie und Fiktion angesiedelt sind, dominieren Geschichten, die er im Alphabet ramponierter oder auch längst verschwundener Häuser ermittelt, sei es in Saint-Denis, sei es in Innsbruck-St. Nikolaus. Und in seinen Gedichten setzt Christoph W. Bauer mit seiner ganz eigenen Stimme souverän alle nur denkbaren lyrischen Formen ein, um in einer schier endlosen Kette von intertextuellen Bezügen, die von Homer und Catull über Dante und Villon und Borges bis zum Punk-Rock reichen, immer von neuem auf ein Spiel mit Möglichkeiten zuzusteuern, das ganz wenig übrig hat für scheinbar unverrückbare Gegebenheiten.“

Was bedeutet es für dich heute, engagierte Kunst zu machen?

Ich weiß nicht, engagierte Kunst, was ist das? Ich weiß nur, ich lebe nun mal in dieser Zeit und diese Zeit färbt auf meine Arbeit ab. Ich kann nicht so tun, als ginge mich das alles nichts an. Was jetzt nicht heißt, dass ich mir sage, du musst über bestimmte Themen schreiben. Die Themen kommen, sie holen mich im besten Wortsinn ein. Wenn dies der Fall ist, geht es mir aber immer darum: Wie schreibe ich das?

Zwischen den Toten Hosen und Ovid, zwischen Street Art und Nibelungenlied: Ist das Balancieren zwischen Hoch- und Populärkultur ein wichtiges Motiv in deinem Werk?

Die Hosen, The Clash, die Ramones – das sind frühe und prägende Einflüsse, die in mein Schreiben eingezogen sind. Und das ist mir sehr recht so. Manch ein Lied von den Hosen hat mich weit mehr beeinflusst als ein von der Kritik in den Literaturhimmel gelobtes Buch. Diese Lieder sind ständige Wegbegleiter, wie die antike Poesie das mitunter eben auch ist. Diese von Rhythmik und Klangfarbe geprägte Sprache, diese Mythen und Figuren – war nicht auch Odysseus ein Zauderer? Ein Saumseliger?

Andreas Grubers Laudatio für Herbert Dutzler, Preisträger des Österreichischen Krimipreises 2022

Herbert Dutzler erhielt den Österreichischen Krimipreis 2022, der bereits zum fünften Mal verliehen wurde. Für seine Laudatio reiste Andreas Gruber, der Preisträger 2021, sogar an den ehemaligen Arbeitsplatz seines Krimikollegen:

Jedes Jahr wird ein Autor, eine Autorin für die Leistungen in der Kriminalliteratur mit dem Österreichischen Krimipreis ausgezeichnet. In den kommenden Jahren werden vermutlich noch Beate Maxian ausgezeichnet werden, Claudia Rossbacher, Wolf Haas, Theresa Prammer, Marc Elsberg und so weiter und so fort … Jetzt gibt es in Österreich ca. 80 Schriftsteller, die Krimis schreiben. Ich weiß, es werden jedes Jahr neue dazustoßen, aber auch einige wegfallen. Aber im Jahr 2098, wenn dann schon wirklich jeder diesen Preis gewonnen hat, wird es dann so sein:

„Der österreichische Krimipreis 2098 geht an jemanden, der eine Krimi-Kurzgeschichte von 3 Seiten als Self-Publisher im Netz hochgeladen hat.”

Im Jahr darauf:

„Der österreichische Krimipreis von 2099 geht an jemanden, der ein Gedicht über einen True-Crime-Fall verfasst hat.“

Irgendwann einmal werden uns die guten Autorinnen ausgehen. ABER … und jetzt kommt das ABER: Man muss es schaffen, unter die Top Ten zu kommen. Und nach Thomas Raab, Ursula Poznanski und Alex Beer hast du es, lieber Herbert, sogar unter die ersten fünf geschafft.

Du blickst jetzt schon auf ein beachtliches Gesamtwerk zurück. Bis vor kurzem warst du ja noch Lehrer und dein erstes Buch „IT-schülertaugliches Material für den Unterricht an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich in Linz“ war jetzt nicht der große Bestseller – wurde mir berichtet … Aber … in „Bär im Bierkrug, Gott und Teufeleiner Sammlung von 14 Krimi-Kurzgeschichten – und du hast ja schließlich mit Kurzgeschichten begonnen –, lesen wir abwechselnd Grausiges, Tiefsinniges, Spannendes und Humorvolles mit viel Wortwitz, und das auf einer Almhütte, einem Adventmarkt, am Schulhof, bei einer Gartenschau, in einer Tanzschule oder während einer Zugfahrt.

Du hast auch vier – ich würde sagen psychologisch tiefsinnige, teils autobiografische, teils kriminalistische, belletristische Romane verfasst – auf die wir später noch zu sprechen kommen. Und schließlich …

… deine neun Gasperlmaier-Kriminalromane

… aus dem Altausseer-Land. Eigentlich 10, denn nächstes Jahr ist das Gasperlmaier-Jubiläum, und da erscheint „Letzter Tropfen“.

Die Filmreihe ist kürzlich mit der dritten Servus-TV-Verfilmung durchgestartet, die die Bücher auch in der richtigen Reihenfolge bringen – was nicht immer eine Selbstverständlichkeit ist. Gasperlmaier wird diesmal zwar von einem anderen Schauspieler gespielt, aber Ian Flemings James Bond hat schließlich auch mehrere Schauspieler. Und wenn Cornelius Obonya Sean Connery ist, dann ist Johannes Silberschneider jetzt Roger Moore. Ich habe alle drei Filme gesehen und ich habe im 1. und 3. Teil auf einen Cameo-Auftritt von dir á la Alfred Hitchcock gewartet, aber leider vergeblich. Aber dafür warst du zumindest im 2. Teil vertreten, als Polizist grandios, und hättest mit deinem Auftritt, trotz fehlender Sprechrolle, Cornelius Obonya fast an die Wand gespielt. Und jetzt noch vom TV-Star zum Krimi-Preisträger.

In einem Interview hast du Folgendes gesagt:

„Die Reise begann 2008, als meine erste Kurzgeschichte in einer Krimi-Anthologie eines Kleinverlages erschien. Und heute, zwölf Jahre danach, bin ich beim österreichischen Krimipreis angekommen, ein Ziel, das mir bisher so utopisch erschien wie einem Gelegenheitsradler die Fahrt auf den Großglockner. Ich hätte nie gedacht, dass meine Romane einmal preiswürdig werden würden und bin entsprechend gerührt. Ich hoffe allerdings – trotz der mir zuteil gewordenen Ehre – sehr, das Ziel der zuvor erwähnten Reise noch nicht erreicht zu haben!”

Lieber Herbert, ich kann dich beruhigen. Jetzt, wo du seit 2022 im Lehrer-Ruhestand bist, jetzt, wo du hauptberuflich Schriftsteller bist und nicht mehr Nebenerwerbs-Schriftsteller und Teilzeit-Autor, der während zweier Sabbaticals schreiben musste, geht es erst so richtig los mit dem Schreiben. Und dann hast du ja vielleicht auch Zeit für einen weiteren Cameo-Auftritt im 4. und 5. Teil und in allen, die noch kommen werden.

Und dieses Thema finde ich wahnsinnig interessant: Du warst Deutsch- und Englisch-Professor am Bundesrealgymnasium Schloss Wagrain in Vöcklabruck. Als Herr Prof. hast du in einem Schloss unterrichtet! Ich habe im Internet entdeckt, dass dir eine ehemalige Schülerin Folgendes geschrieben hat:

Daniela Hansl: „Soeben erfahre ich in den Medien, dass mein einstiger Englischlehrer seinen Lebenstraum erfüllt hat und Autor geworden ist. An diese Zukunftsvisionen kann ich mich noch ganz genau erinnern. Dazu gratuliere ich Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.“

Also du hast schon damals von deiner Vision erzählt, Autor werden zu wollen.

Regina Ahammer: „Ich erhielt durch Zufall vor einigen Tagen Ihr Buch „Letzter Kirtag“ von meinem 86-jährigen Großonkel und er meinte: Regina, dieser Krimi von Herbert Dutzler, den ich da gerade lese, der ist echt gut geschrieben! Nachdem ich mir gedacht hatte, dass mein ehemaliger Englisch-„Prof“ so hieß, und dies dann auch noch durch Ihr Bild auf der Rückseite des Buches bestätigt wurde, musste ich es natürlich sofort lesen! Jedenfalls gratuliere ich Ihnen zu diesem gelungenen Werk, welches trotz der kriminalistischen Story doch so authentisch mit Ihnen selbst ist, und möchte Ihnen sagen, dass ich stolz bin, dass Sie mal mein Lehrer waren. Damals hielt man „plötzlich auf Schüler fliegende Kreiden“ noch nicht für Schülermisshandlungen, sondern gerade an solche erinnere ich mich noch gerne lachend zurück …“

Du hast mit Kreide auf deine Schülerinnen geschossen?

Jemand, der im Internet einen alten Deutschen Orden als Profilfoto hat, hat auf deiner Webseite Folgendes geschrieben:

„Hallo, so viel Lobhudelei kann man kaum ertragen. Habe soeben den „Letzten Stollen“ abgeschlossen. Erstens heißt es „Pfiat Enk!“ und nicht „Pfiat Euch!“, zweitens ist die ewige Biersauferei vom Gasperlmaier auf die Dauer albern. Und schließlich hätt ich schon gern gewusst, was zum Geier die Flacherdler bitteschön mit den „Rechten“ zu tun haben? Schmarrn! Aber vielleicht kommt ja endlich ein Krimi-Autor mal wieder ohne Seitenhiebe auf Nicht-Linke aus. Zu hoffen wär’s …“

Wenn mir das passiert, gehe ich sofort in die Diskussion, ich verteidige mich, ich rechtfertige mich und sage: „Ja, aber … ich schreibe nicht nur Kritik gegen Rechte, auch gegen Linke!“ Er antwortet: „Ja, aber …“ Ich antworte wiederum: „Ja, aber …“ Und das wiegelt sich dann zu einer Katastrophe auf.

Was macht der Herr Dutzler? Er schreibt kurz und prägnant:

„Wer einen Naziorden als Profilfoto verwendet, disqualifiziert sich selbst.“

Und zwar hast du das am 12. Februar 2019 um 8.41 Uhr geschrieben. Das war ein Dienstag. Und zwar waren da keine Semesterferien, denn die haben in OÖ erst am 18. Februar 2019 begonnen. Wahrscheinlich hast du das in der kleinen Pause zwischen erster und zweiter Unterrichtsstunde, flott im Konferenzzimmer, geschrieben.

Und weil mich dieses Thema so fasziniert hat – der Lehrer Prof. Dutzler –, habe ich an deiner ehemaligen Schule angerufen …

… und zwar im Schloss Wagrain in Vöcklabruck. Irena Marjanovic vom Sekretariat war dran. Die ist neu und noch nicht so lange an der Schule. Ich habe gesagt: „Mein Name ist Andreas Gruber, und der Herr Professor Dutzler bekommt dieses Jahr den Österreichischen Krimpreis verliehen, und ich darf die Laudatio halten. Ich möchte gern über ihn recherchieren.“ Und sie hat geglaubt, das ist Gernot Kulis, der Ö3-Call-Boy. Meine Anfrage wurde dann an den Herrn Direktor Manfred Kienesberger weitergeleitet, der hat dann mit der Personalvertreterin gesprochen. Die haben Kontakt mit mir aufgenommen.

Am Tag der offenen Tür, Samstag, 22. Oktober, also letzte Woche, bin ich nach Vöcklabruck gefahren, um mit Lehrern und Schülern über dich zu sprechen.

Einige ehemalige Mitschülerinnen sind selbst, wie du später auch, Lehrer geworden und auch einige Schülerinnen, die du unterrichtet hast, sind mittlerweile auch Lehrerkolleginnen geworden. Mit denen habe ich gesprochen. Und so hatte ich eine breite Quelle an Recherchen angezapft, um mehr über dich zu erfahren.

Kurzer Einschub: Herbert und ich haben uns übrigens letzte Woche in Innsbruck beim Tiroler Krimifest getroffen, und in einem Pub geplaudert. Und zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon alles über ihn, musste mich aber dumm stellen.

Völlig naiv habe ich ihn gefragt: „Du hast doch früher unterrichtet, oder?“ Und mehrmals wäre mir fast ein „Ja, richtig, das weiß ich eh!“ herausgerutscht.

Das ist übrigens noch nicht die Laudatio. Das ist das Vorwort. Das ist die Einleitung. Der Prolog. Die Laudatio kommt noch.

Und da sind wir auch schon beim Thema: Einer deiner Lieblingsautoren ist der schottische SF-Autor Iain Banks. Vielleicht bist du – als Sci-Fi-affiner Mensch – auch ein bisschen mit dem Film Matrix vertraut. Neo, der von Keanu Reeves gespielt wird, werden zwei Pillen angeboten: eine rote und eine blaue. Die blaue führt ihn zurück in seine heile Welt, in die Illusion, die rote Pille zeigt ihm schonungslos die Realität. Er muss sich für eine entscheiden. So … und ich habe zwei Reden vorbereitet. In einem roten und in einem blauen Kuvert! Wie heißt die Mehrzahl von „Laudatio“? Richtig, Herr Professor, Laudationes. Ich musste im Duden nachschauen!

In einem Kuvert befindet sich eine Laudatio über deine herausragenden schriftstellerischen Leistungen. Im anderen Kuvert befindet sich die schonungslose Wahrheit über den Professor Herbert Dutzler, wie er wirklich ist, erzählt von seinen ehemaligen Schülerinnen und Lehrerkollegen. Ich weiß nicht, wo was drinnen ist! Ich habe es blind eingepackt. Du musst dich entscheiden! Es tut mir leid … es ist …

© Fotowerk Aichner

Die schonungslose Wahrheit über Herbert Dutzler

Du bist geboren in Schwanenstadt und wohnst dort in deinem Elternhaus. Du hast in deiner Kindheit die Ferien in Altaussee verbracht, ca. 1 Std. entfernt, wo deine Gasperlmaier-Romane spielen. D.h. das Setting deiner Romane sind autobiografische Erinnerungen an deine Kindheit. Du war selbst kein Lehrerliebling, hast im BG Vöcklabruck ein Jahr wiederholt. Und Undemokratisches hat dich bereits als Schüler auf die Palme gemacht. Du warst immer ein loyaler Schulfreund und später auch ein loyaler Kollege, der zu seinem Wort gestanden hat. Du hast deine Frau, die Uli, noch als Schüler an der Schule kennengelernt, die dann später auch Lehrerin wurde und Mathe unterrichtet. Ende der 80er hast du deinen Schülerinnen am Pensi, dem Gymnasium in Gmunden, Ort der Kreuzschwestern, eine reine Mädchenschule, schon erzählt, dass du eines Tages einen Roman schreiben möchtest.

Du warst ein fortschrittlicher Lehrer, hast vom Erlebnisaufsatz Abstand genommen und bereits Zeitungsartikel im Unterricht verwendet. Du hast deinen Schülerinnen H.C. Artmann vorgelesen. Und später deine jungen Kolleginnen im Umgang mit dem Computer geschult, wie man z.B. mit PowerPoint Filme macht. „Was will uns dieser alte Dattel beibringen?“, haben deine jungen Kolleginnen zunächst gedacht, dann aber nur so gestaunt, wie fit der Herr Prof. ist. Leider waren deine Schulungen aber erfolglos, denn sie können heute immer noch nicht mit dem PC umgehen.

Und nebenbei bemerkt: Im Konferenzzimmer schaut es schrecklich aus. Alles voll geräumt, kein Platz!

Du hast Sprachreisen organisiert. Du hast Lese-Beweismappen eingeführt. Und warst der erste Professor, der auf Laptop umgestellt hat, wodurch deine Kolleginnen im Konferenzzimmer an ihren engen Schreibtischen mehr Platz hatten – und wie ich mich selbst davon überzeugen konnte, haben die ihn dringend notwendig. Du warst ein effizienter Arbeiter, immer gut strukturiert, gut organisiert und sehr diszipliniert.

Das hast du auch von deinen Schülerinnen verlangt. Du wolltest den Kindern kritisches Denken beibringen. Vor allem auch gutes Benehmen. Wobei … ich denke da nur an die fliegende Kreide!

Du bist in der Kommunikation wahnsinnig effektiv. Du bringst es auf den Punkt und bist kein Dampfplauderer. Du hast die Pausen stets in der Lehrerküche verbracht, und dort warst du der Einzige, der es geschafft hat, in nur fünf Minuten alles zu erfahren, was du wissen wolltest, um danach wieder pünktlich in der Klasse zu sein. Du bist neugierig und interessiert, und du hast gern diskutiert.

Ja, das stimmt, denn man kann mit Herbert Dutzler keinen Smalltalk führen. Das ist unmöglich! Wenn man ihn trifft und fragt: „Wie war die Fahrt nach Velden?“

  • Landet man bei der Verkehrspolitik der ÖBB

Wenn man nebenbei erwähnt: „Zum Glück ist heute ein schönes Wetter.“

  • Landet man beim Klimawandel.

Das ist das Schöne an dir. Du bist an den wichtigen Themen des Lebens und der Gesellschaft interessiert.

Bei Maturareden und offiziellen Anlässen, wo du übrigens sehr launige Reden hältst, trittst du immer gern in Lederhose auf. Als du einmal viel Gewicht abgenommen hast, und du dir deine Lederhose enger hast machen lassen, hattest du Bedenken, dass sie dir vielleicht später einmal nicht mehr passen könnte. Aber bei Recherchen hast du herausgefunden … ich zitiere dich selbst: „Der Hintern wird bei alten Männern nicht mehr größer!“ Ein schöner Aphorismus!

Du warst einmal sehr stolz, als dich ein Schüler um ein Autogramm gebeten hat. Dann hat er allerdings gesagt: „Vielen Dank, das ist für meine Oma!“

Du war ja mehrmals beim ORF eingeladen, einmal aber als „Stargast“. Wenn du Hausarbeit daheim machen solltest, willst du dich oft davor drücken, weil du ja ein „Stargast“ bist, aber das lässt die Frau Dutzler, die Uli, nicht zu. Weiter so, Frau Dutzler! Das ist der richtige Weg, mit Star-Autoren umzugehen!

Einmal wurdest du von einem Kollegen gefragt: „Sind dir die Lesungen nicht langweilig?“ Und deine knappe und präzise Antwort war: „Im Vergleich zur Schule sind Lesungen viel besser, weil:

  • man sich nur 1 x vorbereiten muss,
  • immer das Gleiche liest,
  • man das Honorar nimmt
  • und am Ende wird applaudiert.“

Auch ein schöner Aphorismus!

Alle deine Kolleginnen erkennen in den Romanen schulische Situationen aus dem Konferenzzimmer wieder. Die Kolleginnen unterhalten sich dann darüber in der Lehrerküche. Und sie haben nach den ersten beiden Bänden kritisiert, dass in deinen Gasperlmaier-Romanen zu viel Busen-Schauen vorkommt. Du hast versprochen, dass du den Gasperlmaier in Therapie schickst. Aber darauf warten deine ehemaligen Kolleginnen immer noch.

Ich soll übrigens die Namen der Kollegen bei der Laudatio nicht erwähnen, darum haben sie mir auch nicht verraten, wie sie heißen … Aber! Aber es war ja „Tag der offenen Tür“, als ich dort war, und die hatten alle Planketten und Namensschilder an der Kleidung. Wir Autoren sind ja halbe investigative Journalisten. Also wenn du wieder einmal nach Vöcklabruck kommen solltest, verrate ich dir, wen du aller auf ein Achterl einladen musst. Ich soll jedenfalls ganz liebe Grüße von allen ausrichten.

So, wir haben noch fünf Minuten Zeit, schauen wir rein, was in der Laudatio steht:

Die Gasperlmaier Krimis …

Mag sein, dass Inspektor Franz Gasperlmaier unter Höhenangst und Flugangst leidet, ein Ermittler ist, der sich von einem Fettnäpfchen zum nächsten rettet, und der lieber bei einem Bier oder Obstler und einer Leberkäsesemmel beim Kirtag sitzt, und lieber den üppigen Damen nachschaut, als einen Mordfall zu ermitteln – aber genau deshalb gibt es ja die kluge und toughe Frau Dr. Kohlross vom Bezirks-Polizeikommando Liezen, selbstsicher und elegant in Highheels, die die Ermittlungen forciert, wodurch die beiden ein humorvolles Team bilden. Wenn Dr. Kohlross ein Porsche ist, dann ist Gasperlmaier ein VW-Käfer – aber manchmal braucht man beides, um vorwärts zu kommen.

Außerdem ist Gasperlmaier mit der intelligenten und scharfsinnigen Christine, die übrigens auch Lehrerin und Schulleiterin im Ort ist, verheiratet. Dann gibt es auch noch seine kluge und engagierte, aber manchmal auch zickige Tochter Katharina, die später auch noch eine Lebensgefährtin bekommt. In Gasperlmaiers Welt dominieren also die starken Frauenfiguren. Und er selbst ist ein normaler und warmherziger Mensch, der versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Die Figuren entwickeln sich in Dutzlers Reihe weiter – Gasperlmaier wird Postenkommandant, er bekommt eine neue junge Kollegin, Kohlross bekommt ein Baby, seine Tochter eine Lebensgefährtin, Sohn Christoph wohnt in Kanada, Gasperlmaiers Frau nimmt ein Sabbatical und besucht ihn … so ist immer was los in den Büchern.

Sein Können beweist Dutzler u.a. auch im Zeichnen schräger Nebenfiguren, wie dem Gerichtsmediziner, dem das Fingerspitzengefühl fehlt, dem Dorfpfarrer, der ein Verhältnis mit einer Lehrerin hat oder einer lästigen Reporterin. Er schaut den Menschen aufs Maul und schreibt die Dialoge so, wie die Menschen reden. Natürlich leben die Romane vom Lokalkolorit, aber es fehlt auch nicht an scharfer, bissiger Kritik an der so scheinbaren dörflichen Idylle, ohne dass Dutzler jemals belehrend wirkt.

Würde man Herbert Dutzler aber nur auf seine Gasperlmaier-Romane reduzieren – die zwar den Großteil seines Schaffens ausmachen, aber eben nicht alles sind – würde man ihm keinesfalls gerecht werden. Es steckt noch viel mehr in diesem brillanten Erzähler.

InDie Einsamkeit des Bösen

beschreibt Dutzler die schreckliche Kindheit von Alexandra, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, was fast einem Martyrium gleicht. Viele Zeit später, als erwachsene Frau, nach Jahren der Hin- und Her-Gerissenheit zwischen Gewalt und Schuldgefühlen, beginnt ihre Fassade langsam zu bröckeln und die Wut ihrer Kindheit bricht hervor.

Am Ende bist du still

In diesem psychologischen Krimi nimmt uns Herbert Dutzler mit in den Kopf und in die Gedanken einer jungen Frau, die unter der großen omnipräsenten Liebe ihrer Mutter, einer kontrollsüchtigen Herrscherin, leidet, sodass sie beschließt, sich zu befreien und diese zu töten.

InDie Welt war eine Murmel

nimmt uns Herbert Dutzler, ausgehend von einer Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt, mit auf eine Zeitreise in das Jahr 1968, als der zehnjährige Sigi – im selben Jahr geboren wie Dutzler selbst –, mit dem Zug in die Schule fährt, Karl May liest, am Bach hinter dem Haus spielt und die Welt entdeckt. Sigi erinnert sich an die Aufnahmeprüfung aufs Gymnasium und an die Zeit, wo er von seinen Mitschülern verdroschen wurde. Höchstwahrscheinlich sehr autobiografisch – doch letztendlich steckt in uns allen, die diese Zeit miterlebt haben, ein wenig von Sigi.

In der Schlinge des Hasses

… ist der beklemmende Blick in den Kopf des kleinen Jungen Leo, der durch seine Erziehung und sein äußeres Umfeld zu einem hasserfüllten, rechtsradikalen Mörder wird. Fazit des Romans: Faschisten werden nicht geboren, sondern gemacht.

Dadurch dass Herbert Dutzler Lehrer im Ruhestand ist, war er fast 40 Jahre mit dem Thema konfrontiert, wie Menschen sich entwickeln, und wodurch Menschen sich entwickeln. Wie man diese Entwicklung prägen und manipulieren kann. Das zwischenmenschliche Spiel zwischen Jugendlichen und zwischen Kindern und Erwachsenen ist eines der großen Themen in seinen Romanen abseits der Gasperlmaier-Krimis. Er ist ein Beobachter der menschlichen Psyche und entdeckt und beschreibt Ursachen der Welt, wie sie ist und warum sie so ist.

Wie entsteht Hass? Wie wird man zu Psychopathen? Wie wird man zur Mörderin?

Die Antworten darauf findet man in Herbert Dutzlers Romanen, in denen er facettenreich die Emotionen seiner Figuren auslotet.

Dutzler erzählt in vielen Rückblenden, Erinnerungen, Rahmenhandlungen, zeitlich verschobenen Handlungssträngen oder kursiven Einschüben, teils in Ich-Form, teils in der dritten Person. Und es bleibt dabei immer spannend, interessant und lehrreich. Die Romane sind dadurch nicht nur inhaltlich, sondern auch formal abwechslungsreich.

Lieber Herbert, ich wünsche dir, dass du dir deine Neugierde, deine Beobachtungsgabe, dein Interesse am Menschen, deine Faszination für Sprache, Text und Geschichten, deinen Erfindergeist, deine Inspiration, Kreativität und Schaffensfreude noch lange beibehältst, und du – obwohl du den Krimi-Preis gewonnen hast, wie du selbst sagst – noch nicht am Ende deiner literarischen Großglockner-Tour angekommen bist. Mögen noch viele Jahre ins Land ziehen, bis du am „Letzten Gipfel“ angekommen bist und dein „Letztes Kapitel“ geschrieben hast.

Danke!

Kitsch, Kommerz, kulturpolitische Waffe: Wem gehört die Tracht?

Man schmückt sich mit ihr auf Volksfesten, Hochzeiten und Empfängen. Patriotische Modelabels haben sie für sich entdeckt. Trachtenvereine pflegen sie in ihren regionalen Ausformungen, die Designer der Haute Couture bringen sie neu interpretiert auf die Laufstege der Welt. Politiker*innen verschiedenster Lager tragen sie, andere verweigern sich ihr. Die einen hassen, die anderen lieben sie: die Tracht. Egal, in welchen Farben und in welchem Kontext sie getragen wird – eines ist sie immer: ein Statement. Aber wofür? Ist sie für dich ein farbenfrohes Zeichen regionaler Tradition und Zugehörigkeit? Oder nationalistische Gesinnungskleidung? Symbol einer „Leitkultur“? Oder doch einfach nur ein schönes Stück Stoff?

Elsbeth Wallnöfer macht sich in „TRACHT MACHT POLITIK” auf die Spur eines heiß umfehdet, wild umstrittenen Kleidungsstücks. Einen Vorgeschmack dazu gibt es in unserer Leseprobe: 

Illustrationen von Marie Vermont geben Einblick in die Geschichte der Tracht

Eben weil Tracht und Dirndl derart diffus ahistorisch überfrachtet sind, weil sie entlang eines kulturellen Wertegesetzes rauf- und runterdekliniert wurden und werden, kommt es neuerdings zu so was wie Urheberrechtsdebatten. Die Exegeten aller Genres bringen sich in Stellung, weil sie die Idee der schöpferischen Urheberschaft des Volkes in diesem Kleidungstück verdichtet sehen. Derlei Absurditäten fanden jüngst Ausdruck in der Auseinandersetzung zwischen einer rumänischen Region und dem Haus Dior in Paris. Gegenstand des Anwurfes war ein besticktes Schaffell-Gilet. Als Dior Anleihe bei einer nordrumänischen Felljacke nahm, war der Aufschrei groß, man sah die kulturelle Identität auf dem Jahrmarkt veräußert. Von Diebstahl an der Kultur anderer war die Rede. Gar eine Initiative wurde gegründet, die sich bemühte, sich als die Hüterin originärer Kultur darzustellen. Die darin gebündelten Kräfte riefen dazu auf, die von Dior angepriesenen Stücke wären bei den Frauen in Rumänien günstiger zu bekommen und darüber hinaus noch in einer besseren Qualität und überhaupt hätte das Haus Dior nicht einen Cent an die Frauen gespendet. Nun, vielleicht mag es stimmen, dass die Qualität der bestickten Schaffelljacke bei den Rumäninnen besser ist. Dennoch könnte sie auch schlechter sein. Zudem muss man wissen, dass sich bis zum Zeitpunkt dieser Erregung kein Mensch auch nur annähernd für derlei Exotismen außerhalb dieser Gebiete interessierte. Die zusätzliche Schwierigkeit, welcher Kultur in welchem Gebiet Dior nun Geld löhnen sollte, ist ohnehin nicht zu klären, denn die Entlehnung berührt die nordrumänische und bukowinische (heute Ukraine) Kultur gleichermaßen.

Eine Urheberrechtsdebatte erübrigt sich aufgrund historischer Bedingungen, denn folgten die Identitätsprediger ihren eigenen Spuren, würden sie entdecken, dass so genannte Volkskunst keinem personal gestalteten Kollektiv entspringt, ein alleiniger kollektiv geformter Urheber unmöglich ausfindig gemacht werden kann. Dem Prinzip der Mode entsprechend versuchte auch hier ein Mensch oder mehrere, aus den zur Verfügung stehenden Rohstoffen (was man halt so hatte) sich zu behübschen. Begehrlichkeiten führten dazu, dass sich die Nachbarinnen untereinander kopierten. Tracht, Dirndl u. ä. fielen, wären sie identitätsstiftender Bestandteil eines Kollektivs, bei Verletzung desselben unter das Völkerrecht. Was dies verhieße, mag man sich gar nicht ausmalen.

Die bisherige Maßregelung der Gesinnungsfolkloristen, Volkskunst, Tracht und Dirndl seien Wesensmerkmale einer in sich verbundenen Gemeinschaft und sollten unverändert an die folgenden Generationen weitergegeben werden, sollte als das deklariert werden, was es ist: eine Erzählung, die von einigen Wenigen in Umlauf gebracht wurde und die ein politisches Ziel verfolgt. Nämlich Kultur und Wesenszüge zum Zwecke eines idealisierten Gestaltungswillens einer Nation ursächlich miteinander zu verbinden.

Nicht selten wird in Zusammenhang mit dem Thema auch die Frage nach dem Geschmack gestellt. Steht ein Dirndl jeder? Darf es sexy sein? Wie viel Dekor verträgt ein Dirndl? Wie kurz darf, wie lang muss es sein? Kann man Nagellack dazu tragen, oder eine Uhr? In welchem Verhältnis und Abstand sollen Schürze und Rock zueinander getragen werden und so weiter und so fort. Darauf gibt es keine abschließend richtige Antwort, denn es ist nur ein Kleidungsstück, das allein der eigenen, individuellen Behübschung dienen sollte. Die Demokratisierung ermöglicht uns, frei zu wählen, wie und was wir tragen möchten. Dass das gute Kleidungsstück als Arme-Leute-Gwand, als bäuerliches Gwand, eine steile Karriere als sommerlich modisches Stück genommen hat, es aber auch bei jenen, die keine Wahl hatten, als antimodisches Stück so schnell wie möglich abgelegt werden wollte, beweist einmal mehr, dass es nichts weniger ist als ein Ergebnis menschlicher Kreativität. Jene, die glauben, Tracht und Dirndl seien der Inbegriff deutschkultureller Tradition und hätten somit normativ unabänderlich gleich zu bleiben, denen sei gesagt, alle Kulturen hatten zu irgendeiner Zeit eine für sie typische Kleidung. Wir wissen inzwischen, dass dies mit den Ressourcen und Rangordnungen zu tun hat, genauso wie mit politischen, modischen Strömungen und dem Begehren einzelner Individuen, die sich zu Experten aufgeschwungen haben. Die Vorstellung dessen, was schön ist, verläuft in etwa im Zyklus der Jahreszeiten, man denke an die Haute-Couture-Schauen und deren Frühjahrskollektionen, Herbstkollektionen usf.

Jenen religiösen Eiferern, die glauben, man sei mit einem von den Verbänden regulierten Dirndl oder einer Tracht stets gut angezogen, sei entgegnet, dass auch nicht jede Figur in eine Leggins passt. Selbst eine Jeans steht nicht allen. Rufen wir uns noch mal den Römer Ovid in Erinnerung, der in der Antike bereits Styling-Tipps gab. Warum sollte das hier behandelte Kleidungsstück eine Ausnahme bilden? Gerade, weil Menschen ihre Kleidung in erster Linie nicht erfunden haben, um patriotische Phantasien zu befriedigen, sondern um erstens gekleidet zu sein, und zweitens um sich zu behübschen, nimmt es nicht wunder, wenn wir Tracht, Dirndl oder Lederhose in allerlei Abbildungsformen begegnen.

Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Foto: Haymon Verlag / Fotowerk Aichner

Die barbiehafte Behübschung der Society-Moderatorinnen im deutschen Fernsehen zur Münchner Wiesnzeit, die Fußballerfrauen im Dirndl, der Besuch von berühmten Sternchen wie der Hotelerbin Paris Hilton sind nichts als gespiegelte Realität gängiger Praxis des Schönheitsputzes im Alltag. Gleiches gilt für die lederhosenbewehrten Männer, die, wie ein österreichischer Verhaltensforscher mal meinte, durchaus einer naturgegebenen Konstante von männlichem Imponiergehabe folgen und dies mit dem Imponiergehabe von Primaten verglich. Vielleicht ist der Mensch nichts als ein Aff’ in Trachten-, Dirndl-, und Lederhosenkleidung.
Damit erübrigte sich beinahe, die andere Seite der soziologischen Trachtenwirklichkeit zu erwähnen, den ausgeprägten Distinktionskapitalismus, der in der Tracht steckt und sich bei lokalpatriotischen Bällen geballt zeigt. Im kollektiven Rausch wird ein Lob auf die Tradition ausgerufen, Märsche werden gespielt und selbst bei inoffiziellen Hymnen wird (speziell bei den Tirolern) aufgestanden, mitgesungen, die Hand aufs Herz gelegt und am Ende salutiert.

Frauen in einfachem Ballkleid, die selten genug vorkommen, oder junge Frauen in Dirndln vom Discounter werden auf Trachtenbällen schief angesehen und schmallippig begrüßt. Es kommt schon vor, dass sie von den Ballfotografen, die beim Einlass stehen und sich wie Experten gerieren, erst gar nicht abgelichtet werden. Die Ballsaison birgt die Chance zur rituellen kollektiven Selbstzelebration. Sie dient, auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen oder verharmlosen, der Selbstaufrichtung einer ganz bestimmten kollektiven Identität. So gut wie nie findet man im Landhausstil gekleidete Menschen auf solchen Bällen. Werner Kogler, seit 2020 grüner Vizekanzler und Steirer, wurde dafür kritisiert, dass er bei der Angelobung keine Krawatte trug, auch war er nicht dafür bekannt, Trachtenjanker zu tragen. Das hat man ihm schnell abgewöhnt. Der auf die Ballsaison fallende Regierungsbeginn ließ ihn recht schnell in einem grün-grau-steirischen Trachtenfrack auf dem Steirerball erscheinen, zusammen mit Umweltministerin Leonore Gewessler, die sich in einem von einem Salzburger Trachtendesigner moderat zitierten Outfit zeigte und das auf Erzherzog Johann (1782–1859), einen Habsburger, der seiner Liebe zum Landleben bis hin zu einer morganatischen Verbindung mit einem Landmädchen nachging, verwies.
Die politische Vergangenheit des Trachtenjankers hatte die politische Gegenwart eingeholt.

Und du? Hast du jetzt Lust bekommen, Omas Dirndl aus dem Keller zu holen? Oder doch eher, deines in den Altkleidersack zu packen? So oder so: Dieses Buch wird dich fesseln! Elsbeth Wallnöfer erzählt von Menschen, Moden und Mythen und legt frei, was vom Dirndl übrigbleibt, wenn Landromantik, politisches Korsett und die hartnäckigsten Irrtümer abgetragen sind. Ein hervorragend recherchierter, ebenso pointierter wie leidenschaftlicher Text – und ein beherzter Aufruf, sich das Dirndl zurückzuerobern! Mit zahlreichen farbigen Illustrationen und einem kunstvoll gestalteten Plakat. Hier geht es zum Buch!

Die ganz große Hundeliebe – Tatjana Kruse in Höchstform

Batman hat Robin, Bonnie hat Clyde – und Pauline Miller hat Radames. Doch während der Proben zur Aufführung der „Turandot“ auf der Bregenzer Seebühne geschieht es: Ein brutaler Dognapper entführt Radames! Kein Wunder, dass Pauline außer sich ist, wird sie doch sonst auf Schritt und Pfötchentritt von ihrem Boston Terrier begleitet. Der gute Radames fällt zwar immer wieder spontan ins Delirium – er leidet an der Schlafkrankheit Narkolepsie und sinkt bei emotionalem Aufruhr sofort in tiefen Schlummer –, ist aber immer an Paulines Seite, stets bescheiden und stumm. Äh. Nun ja. Reden können Hunde eben auch nicht. Aber nun ist Radames trotzdem am Wort – denn Tatjana Kruse gewährt exklusive Einblicke ins Tagebuch des narkoleptischen Hundehelden.

Und den geneigten Leserinnen und Lesern sei verraten: Die Aufzeichnungen enden kurz vor dem Moment von Radames’ Verschwinden!

*Radames Miller, Ray of the Ridgebridge

Aus dem Tagebuch des Radames*

Bregenz am Bodensee, Tag 1

Das beste aller möglichen Leben, ich führe es! Mein geliebtes Frauchen hat mich heuer mit an den Bodensee genommen, was mir sehr entgegenkommt, weil ich doch am liebsten in stehende Gewässer pinkle. Wir wohnen in einer Villa mit vielen Säulen, die ich alle schon der Reihe nach markiert habe. Mehrmals. In letzter Zeit habe ich Probleme mit der Prostata, bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Ich darf frei im riesigen Garten herumlaufen. Und wir machen Bootsausflüge nach Bregenz, wo sie mir heute begegnet ist, die Liebe meines Lebens. Sie ist wunderschön, weiß wie der Schnee … und eine Schwänin. Also, ein weiblicher Schwan. Das wird zu hochgezogenen Augenbrauen und Gerede führen, schon klar, aber ich unterscheide nicht nach Rasse oder Religion. Jede Liebe hat ihre Berechtigung! Noch zeigt sich meine Schöne spröde, aber ich werde ihr Herz gewinnen, koste es, was es wolle! Frauchen hat mich schnöde weggetragen, bevor ich mich meiner Liebsten erklären konnte, aber wir sind ja immer mehrere Wochen an einem Ort, mir bleibt also noch genug Zeit für mein Werben. Sorgen mache ich mir keine. Bitte, man schaue mich nur an! Wer könnte auf Dauer schon nein zu mir sagen!

Meinen Liebeskummer konnte ich mit Würstchen im Schlafrock bekämpfen, die ich in einem unbeobachteten Moment von einem Silbertablett im Probenraum des Festspielhauses stibitzte. Bin heute nur zweimal narkoleptisch weggenickt. Das liegt womöglich an den Handauflegungen und Aromatherapiesitzungen dieses ominösen Hunde-Energetikers namens Simian, den Frauchen für mich angeheuert hat. Ich mag ihn nicht! Aber mich fragt ja keiner …

Bregenz, Tag 2

Ich bin heute auf dem Cover der Festspielzeitung. Mit roter Samtschleife um den Hals. Sexiest Terrier Alive, wenn ich das mal selber sagen darf! Ich wünschte, meine wunderhübsche Schwanenfrau könnte mich so sehen. Während mein Frauchen probt, geht ihr Papa mit mir ins Museum. Ich darf den Blindenhund spielen. Großer Spaß! Aber mir fehlt meine geliebte Schwanenprinzessin.

Sexiest Terrier Alive und Covermodel

Bregenz, Tag 3

Vereint, endlich vereint! Ich traute meinen Terrieraugen nicht, als ich sie heute bei der Morgenrunde am Bootshaus traf. Kann es etwas Schöneres geben als Liebe, die erwidert wird?! Sie dümpelte auf den leise plätschernden Wellen des Bodensees, ich lag direkt am Ufer und sah ihr in die liebreizenden, nachtschwarzen Knopfaugen. Und dann: Er war wunderbar – der erste Kuss. Hundeschnauze auf Schwanenschnabel: die pure Ekstase. Lasst es mich in die Welt hinausbellen: Ich liebe diesen Schwan!

Als meine Liebste dann gründelte und Popöchen übers Wasser hob, konnte ich nur noch hecheln. Wuff! Doch dann fiel ich vor Aufregung wieder ins narkoleptische Schlafkoma …

Und wie spektakulär es mit Radames am Bodensee weitergeht, erfahrt ihr in Tatjana Kruses neuem rabenschwarzen Pauline-Miller-Krimi „Glitzer, Glamour, Wasserleiche”.

Leseprobe: „Interview mit einem Mörder” von Bernhard Aichner

Atemlos, gnadenlos, schnell: jetzt testlesen! Der neue Krimi von Shooting-Star Bernhard Aichner.

Exklusiv! Gehören Sie zu den allerersten Lesern des neuen Krimis von Shooting-Star Bernhard Aichner! Der Autor der internationalen Bestseller „Totenfrau“ und „Totenhaus“ hat ein neues Buch geschrieben – und es wird Ihnen den Atem rauben. Kurze Sätze, überraschende Wendungen, geniale Dialoge: Der unverwechselbare Sog, in den Bernhard Aichners Bücher ziehen, machte ihn weltweit bekannt. Aber lesen Sie selbst …

Was bisher geschah: Ex-Fußballprofi Johann Baroni, der sich nach der Sportlerkarriere aufs Wurstbratgeschäft spezialisiert hat, eröffnet einen neuen Würstelstand. Doch mitten in dem ausgelassenen, festlichen Treiben fällt plötzlich ein Schuss – und Baroni sinkt zu Boden.

Sein bester Freund, der Totengräber Max Broll, ist völlig außer sich. Doch an eines kann er sich ganz deutlich erinnern: Er hat den Schützen gesehen! Dessen ist er sich sicher. Fink, den Max verdächtigt, scheint allerdings ein harmloser Tourist zu sein. Und niemand will Max glauben.

Als er den Mörder schließlich entspannt durchs Dorf spazieren sieht, verliert Max die Beherrschung und attackiert Fink auf offener Straße. Und nun beginnt sogar seine geliebte Stiefmutter Tilda, die Polizistin ist und Max bisher immer den Rücken gestärkt hat, an ihm zu zweifeln …

7

— Was du hier machst, hilft niemandem.
— Doch, Tilda.
— Ich habe ihn überprüfen lassen.
— Und?
— Er war es nicht, er hat nichts damit zu tun.
— Das kann nicht sein.
— Er ist nur ein Urlauber aus Wuppertal, ein harmloser Pensionist. Er ist zum Wandern hier.
— Nein, nein, nein.
— Doch, Max. Egal, wie oft du es noch sagst, er war es nicht. Egal, wie dumm du dich noch anstellst, es ist Tatsache, dass er nichts damit zu tun hat. Er war sehr hilfsbereit, hat uns sogar sein Zimmer durchsuchen lassen. Keine Waffe, kein Motiv, gar nichts. Es gibt keinen einzigen Grund, warum er getan haben sollte, was du ihm vorwirfst. Keinen.
— Doch, Tilda.
— Es reicht wirklich, Max. Die Kollegen haben Recht, du hast den Bogen überspannt.
— Ich habe es in seinen Augen gesehen, Tilda.
— Dass er ein guter Mensch ist, oder was? Das ist er nämlich, er hat keine Anzeige gegen dich erstattet.
— Warum nicht?
— Weil er seine Ruhe will. Er hat gesagt, dass er auch schon Dinge gemacht hat, die ihm nachher leidgetan haben. Du hast großes Glück, dass du an ihn geraten bist. Ein anderer würde dich durch Himmel und Hölle klagen.
— Irgendetwas stimmt hier nicht.
— Mit dir stimmt etwas nicht, Max. Dein Freund liegt im Krankenhaus, er braucht dich, und du führst dich hier auf wie ein kleines Kind. Dich kann man keine Sekunde lang allein lassen.
— Es ist traurig, dass du mir nicht glaubst.
— Soll ich dir sagen, was traurig ist, Max?
— Was?
— Dass du nicht erwachsen werden willst.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Und ich weiß, dass ich keine Lust mehr habe, ständig Feuerwehr für dich zu spielen. Das ist das Leben, Max, und kein Spiel. Du kannst nicht immer nur tun, was dein Bauch dir sagt.
— Doch, Tilda, das kann ich.

So gerne er sie hat. Er schiebt den Suppenteller von sich und steht auf. So gerne er sie überzeugen würde, er lässt es sein. Kurz umarmt er sie noch, dann geht er. Er muss sich alleine um die Sache kümmern, Tilda wird ihm nicht helfen, ihm nicht glauben, egal, wie laut er noch schreit, dass dieser Mann es war. Konrad Maria Fink. Ein Deutscher, Musiker im Ruhestand, ein Unschuldslamm. Ein Name wie ein Faustschlag. Fink. Was für ein abgebrühter Kerl, was für ein Lügner. Keine Anzeige gegen den Verrückten, der ihn verprügelt hat, keine Probleme mit der Polizei, kein böses Wort. Der Fink will seine Ruhe. Nur ein Tourist.

Max weiß, in welcher Pension er wohnt, er weiß, dass es da keine Vorstrafen gab in seinem Leben, mehr hat er aus Tilda nicht herausbekommen. Der freundliche Konrad Maria Fink hat sie an der Nase herumgeführt, hat alle glauben lassen, es sei Unsinn, was Max sagt. Sinnlose Gewalt, die er ablehne. Konrad Maria Fink hat nichts damit zu tun. Alle sind sich einig. Nur Max sagt etwas anderes.

Er besteht darauf. Weil dieses Bild nicht weggeht. Der Mann mit der Waffe. Konrad Maria Fink in Lederhosen, mit kariertem Hemd. Er war es. Und Max wird dafür sorgen, dass es die Welt erfährt. Tilda, die dämlichen Polizisten, die ihm fast den Arm gebrochen haben, Baroni. Er ist es ihm schuldig. Max wird sich darum kümmern, dass derjenige bestraft wird, der auf Baroni geschossen hat. Warum auch immer Fink es getan hat. Ob er ein Auftragsmörder ist, getarnt als Tourist, oder ein Fan, der in die Geschichte eingehen will, Max wird herausfinden, was dahintersteckt. Warum Baroni Schläuche im Mund hat, warum er nicht von alleine atmet und mit ihm Schnaps trinkt. Kein Wasser, sondern Schnaps. Vertraut mit seinem Freund. Betrunken, umarmt, bald wieder. Max betet dafür, jede Sekunde, in der er an ihn denkt. Bald werden sie die Gläser wieder gemeinsam füllen, im Würstelstand sitzen und hinaus auf den Dorfplatz schauen. Und sie werden lachen über das, was passiert ist. Darüber, dass Baroni dem Teufel von der Schippe gesprungen ist. Dem Mann mit den Wanderstöcken und den kalten Augen.

Konrad Maria Fink. Pension Seerose, auch wenn da weit und breit kein See ist. Fink hat dort ein Zimmer gemietet. Tilda hat ihn zwar angefleht, vernünftig zu sein, nicht noch einmal auszurasten, sich von ihm fernzuhalten, doch Max denkt nicht daran. Er wird Fink besuchen, er wird mit ihm reden und herausfinden, warum das alles passiert ist. Warum er da ist. Geschossen hat. Warum er nicht einfach davonläuft.

Max geht die Dorfstraße hinunter, am Kindergarten vorbei, schnell. Bevor der Fremde abreist, will er es hören. Max will wissen, ob er Recht hat. Er will wissen, warum dieser Fremde Baroni das angetan hat. Mit ihm reden. Max beeilt sich. Nur noch Fink ist wichtig. Wie ein Strohhalm ist er, an dem er sich festhält. Weil der Wind geht. Weil alles rund um ihn herum zusammenbricht.

Weil Baroni dabei ist zu sterben.

 

8

Wieder keine Angst. Wie er auf dem Baumstamm sitzt und Pilze säubert. Ein Korb auf seinem Schoß, ein Taschenmesser in seiner Hand, er ist ganz allein. Da ist niemand, der dem deutschen Wanderer helfen würde, keine Polizisten, keiner, der ihn beschützt. Da sind nur Max und Fink.

Mitten im Wald auf einer Lichtung zwei Männer. Ein Gespräch, keine Gewalt. Fink bleibt sitzen, als er Max sieht, keinen Augenblick lang will er aufspringen und rennen, das Einzige, das ihm wichtig scheint, sind die Steinpilze, um die er sich hingebungsvoll kümmert.

Max hat ihn nicht angetroffen in der Pension, die Wirtin hat ihm gesagt, dass ihr Gast im Wald unterwegs sei. Sie habe ihm Tipps gegeben, wo er Pilze finden könne. Max ist ihm gefolgt, über drei Stunden lang hat er ihn gesucht. Kurz bevor er umkehren wollte, hat er ihn entdeckt. Konrad Maria Fink. Sonnenstrahlen, die auf den moosigen Boden fallen, friedlich wirkt alles, ein älterer Herr, der sich die Zeit vertreibt. Nichts scheint bedrohlich, alles, woran Max beim Aufstieg gedacht hat, klingt plötzlich lächerlich. Dass er auf einen Mörder treffen würde, auf einen Psychopathen, dass es wahrscheinlich zu einem Kampf kommen würde. Nichts davon. Max nähert sich, er geht auf ihn zu, die Beute liegt wehrlos vor ihm, er muss nur noch zubeißen. Keine Waffe, die auf Max gerichtet ist, kein böses Wort. Nur ein deutscher Tourist im Wald. Konrad Maria Fink lächelt. Er macht den Mund auf.

— So sieht man sich wieder.
— Du wirst dich nicht rühren, Fink. Und das Messer bleibt, wo es ist.
— Keine Angst, mein Guter.
— Ich habe keine Angst.
— Dann setzen Sie sich doch. Es ist wirklich schön hier, ein herrliches Fleckchen Erde.
— Was soll das?
— Die Hausdame hat mir gesagt, dass es hier die besten Steinpilze der ganzen Region gibt. Eigentlich ist noch keine Pilzsaison, aber hier findet man schon welche. Sie will sie am Abend für mich zubereiten. Eine reizende Frau ist das.
— Hör auf damit.
— Übrigens ist auch Ihre Mutter ein überaus entzückendes Wesen. Sie hat sich sehr für Sie eingesetzt.
— Aufhören, habe ich gesagt.
— Sie hat mich gebeten, von einer Anzeige abzusehen. Was natürlich gar nicht nötig gewesen wäre, weil ich ja ohnehin nie vorhatte, Ihnen Probleme zu bereiten. Ich denke mir, es muss sich alles um ein großes Missverständnis handeln. Ein Trugschluss, der Sie quält.
— Du weißt, warum ich hier bin.
— Ich vermute, es ist wegen Ihres Freundes. Sehr tragisch, was da passiert ist, ich habe es ja mit eigenen Augen mit ansehen müssen.
— Du hast geschossen.
— Nein, das habe ich nicht.
— Ich habe es gesehen.
— Ihre Mutter sagt, dass Sie wohl etwas durcheinander waren an diesem Tag.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Sie sind also davon überzeugt, dass ich auf Ihren Freund geschossen habe.
— Und warum sollte ich so etwas tun?
— Sag du es mir. Irgendeinen Grund muss es geben.
— Egal, wie oft Sie es noch wiederholen. Ich habe nichts damit zu tun.
— Ich kriege dich.
— Sie sind hartnäckig, das gefällt mir. Aber wie gesagt, Sie werden sich die Zähne an mir ausbeißen.
— Du warst es.
— Sie können mich verprügeln, wenn Sie wollen, Sie können mich foltern, es wird sich aber nichts daran ändern, dass ich es nicht war. Deshalb werde ich jetzt meine Pilze nehmen und wieder hinunter ins Tal marschieren. Anschließend werde ich herrlich essen und morgen werde ich mit dem Zug weiter nach Italien fahren.
— Du wirst nicht einfach abhauen.
— Abfahrt ist um elf Uhr siebenundzwanzig. Sie können mich ja begleiten, wenn Sie wollen.
— Warum sollte ich?
— Am liebsten würden Sie mich in der Luft zerreißen, stimmt’s?
— Ja.
— So lange, bis ich Ihnen sage, was Sie hören wollen.
—  Genau.
— Ich darf Ihnen einen Rat geben, mein Lieber. Lassen Sie es gut sein. Wie ich gehört habe, hat Ihr Freund überlebt, er wird das Ganze überstehen und es wird Gras über die Sache wachsen. Und wer auch immer dafür verantwortlich ist, er wird nicht wiederkommen.

Max steht da und schaut. Hört zu. Versucht einzuordnen, was da geschieht, was Fink mit ihm macht. Er nimmt ihm die Fackel aus der Hand, macht ihn wehrlos. Mit welcher Ruhe er dasitzt und ihn entwaffnet, mit einem Lächeln, mit klaren Worten, die keinen Zweifel offen lassen. Konrad Maria Fink ist sich sicher. Nichts kann ihm passieren, keiner außer Max hat ihn gesehen, niemand sonst hat auf ihn geachtet, die Polizei hat alle befragt. Da ist nichts. Nur das, was zwischen Max und diesem Mann ist. Diese Gewissheit, die Max antreibt, die mit jedem Wort größer wird, das aus dem deutschen Mund kommt. Diese Gelassenheit mitten im Wald, diese innere Ruhe, die wehtut. Ich weiß, dass du es warst. Dass du mir drohst. Wenn ich dich nicht in Ruhe lasse, werde ich es bereuen. Du wirst auch mich umbringen. Das willst du mir doch sagen, oder?
Max hat es zwischen seinen Worten gehört. Laut und deutlich. Doch da ist nichts, das es beweisen würde, es sind nur die Gedanken eines kleinen Gemeindearbeiters, die nur er kennt. Von außen ist es nur ein verzweifelter Versuch, einen Schuldigen zu finden, der für das Drama verantwortlich ist. Nichts sonst. Max steht da und schaut zu, wie Fink aufsteht und geht. Einmal dreht er sich noch zu ihm um, einmal lächelt er noch. Dann verschwindet Fink im Wald.

 

 

 

Na? Auf den Aichner-Geschmack gekommen?

Weiter geht’s in „Interview mit einem Mörder“ – und alle Infos zum Buch findet ihr hier.

Kroatien-Krimi: Sonne, Meer und Mord

Alle, denen es im Urlaub nicht spannend genug zugehen kann, sollten Elena Martell in „Mörderhitze” kennenlernen. Anekdoten, Bauwerke, Legenden – die patente Reiseleiterin kennt sie alle, doch wo sie auch hinfährt, mysteriöse Todesfälle und Verbrechen verfolgen sie. Auch an der malerischen Küstenlinie Kroatiens, wo sie diesmal eine Kreuzfahrt organisieren soll, lässt die erste Leiche nicht lange auf sich warten …

Egal ob am Sandstrand von Split, in der Altstadt Dubrovniks, auf Balkonien oder dem heimischen Sofa – Elena Martell bringt Sie in Urlaubsstimmung und lädt ein, den Alltag zu vergessen und sich in wärmere Gefilde entführen zu lassen. Dorthin, wo der Gesang der Zikaden, der schwere Dingač und das sanfte Schunkeln des Bootes für wohlige Stimmung sorgen, und dalmatinisches Flair in der Luft liegt. Doch lassen Sie sich täuschen, auch in diesem Urlaubsidyll dauert es nicht lange, bis der erste leblose Körper im Tunfischbecken treibt.

Hier gibt es Kroatien fürs Handgepäck. Folgen Sie uns – wie auch schon bei Elenas Sizilien-Reise – auf die Stationen einer kleinen literarischen Sightseeing-Tour und werfen Sie mit Autorin Eva Gründel einen Blick auf die ersten Stationen einer lesenswerten Rundreise!

Zadar

Nicht zufällig wusste Giorgio über die verwirrende, blutige Geschichte in diesem Winkel Europas Bescheid. Sein Großvater hatte ihm viel vom alten Zadar erzählt, von der Eleganz der italienischen Palazzi, jeder einzelne eine Verbeugung vor dem venezianischen Lebensstil, dem die Oberschicht in der einstigen Hauptstadt Dalmatiens damals huldigte. Vom bescheidenen Wohlstand und dem eigenen Häuschen, zu dem es selbst ein kleiner Angestellter wie er hatte bringen können. Von der Flucht über die Adria nach Triest, von den Auffanglagern für Abertausende Italiener aus Istrien, die es wie er und seine kleine Familie geschafft hatten, den Massakern zu entgehen.

Die Kornaten

„Worauf du dich verlassen kannst. Die Spur führt in die Kornaten. Ich habe mich schlau gemacht. Die 89 Inseln und Felsen, auf denen heute keiner mehr wohnt, wurden 1980 zum Nationalpark erklärt. Noch in den 70er Jahren war das anders, da lebten einige Familien in dem Archipel. Vom Fischfang und dem, was ihre mit Zisternenwasser mühsam bewirtschafteten Gärten hergaben. Oliven, Feigen und Weinstöcke, dazu ein paar Ziegen und Schafe, wir können uns gar nicht vorstellen, wie arm die Leute waren. Das ganze Gebiet eine einzige Karstlandschaft. Karg ist dafür nur ein Hilfsausdruck. Andererseits ist das Meer blitzsauber und so fischreich wie sonst nirgendwo in der Adria. Und irgendwo liegt da unten auf dem Meeresboden das, was wir finden wollen.“

Split

Nach der Römerzeit wurde der Diokletianpalast in eine bewohnte Festung umgewandelt. Nichts anderes ist bis heute die Innenstadt von Split. Der Palast eines Kaisers. Sehen Sie da drüben das Café Luxor? Hier standen einst drei kleine Tempel. Und dort drüben befanden sich die Eingänge zu den kaiserlichen Gemächern.“
Francesca drehte sich um die eigene Achse und deutete auf die Kathedrale, die Säulen und das Winkelwerk der umliegenden Gassen. „Wenn ich Sie richtig verstehe, war das alles hier ein einziger Palastkomplex? Errichtet für nur einen Mann und sein Gefolge? Unglaublich!“
„Und wenn schon! Dafür brutzelt er jetzt in der Hölle. Der mit den letzten ganz schlimmen Christenverfolgungen, das war doch Diokletian, oder?“ Ausnahmsweise äußerte sich Titus nicht auf Latein.

Mit diesem Kroatien-Krimi kann die Reise starten – sowohl im wörtlichen, als auch übertragenen Sinne – „Mörderhitze” ist Unterhaltung und Information von ihrer spannendsten Seite. Solltet ihr euch Elenas Reisegruppe nach Sizilien in „Mörderküste” noch nicht angeschlossen haben, gibt es hier eine kleine Rundreise für euch!

Next stop – England. Aber das ist eine ganz andere Geschichte

Christoph W. Bauer und Andreas Neeser unter den Lyrik-Empfehlungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Zwei Autoren des Haymon Verlags, der Österreicher Christoph W. Bauer und der Schweizer Andreas Neeser, stehen mit ihren aktuellen Gedichtbänden auf der Liste der renommierten Lyrikempfehlungen 2016 – wir freuen uns!

Die Lyrik-Empfehlungsliste erscheint jährlich. Sie wird präsentiert von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Stiftung Lyrik Kabinett und der Literaturwerkstatt Berlin in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bibliotheksverband.

***

Empfehlung von Michael Krüger

Stromern heißt so viel wie ziellos wandern, sich herumtreiben (statt zu arbeiten), streunen oder strolchen, in Österreich heißt es: strawanzen.

Der aus Innsbruck stammende Dichter Christoph W. Bauer bevorzugt natürlich die erste Bedeutung: die nicht auf ein Ziel hin gerichtete Bewegung. Ersetzt man Bewegung durch Schreiben, hat man die Definition der Poesie, wie sie Paul Valéry gegeben hat.

Bauer, 1968 in Kärnten geboren, hat sich als Begleitung für seine sehr unterschiedlichen Wanderungen den französischen Dichter des Spätmittelalters François Villon gewählt, den großen Dichter von Balladen über die Zweifelhaftigkeit des Ruhms, der Ehre, der Anständigkeit. Mit Villon ist er unterwegs in Kärnten oder Paris, in den Welten der Mythologie und der sehr realen Gegenwart. Bauer ist ein belesener Dichter und ein Kenner der Geschichte der Formen, aber auch ein Eulenspiegel, der vermischen und verwandeln kann:

fremd bin ich eingezogen unter meine haut, beginnt ein Gedicht, das mit der Zeile endet: ich weiß nur eins: fremd zieh ich wieder aus.

Es wäre schön, wenn dieser kluge Vagant bei uns etwas bekannter würde!

 ***

Empfehlung von Daniela Strigl

Andreas Neeser ist kein Freund großer und vieler Worte.

Seine Erkundungen im Zwischenmenschlichen, im Naturraum draußen und drinnen, im Kopf des Ichs, sind beeindruckend konzentriert, wirken wie hingetupft und nehmen doch präzise Gestalt an. Man könnte an Aquarelle denken, aber meist düster getönt:

Seit Jahren mein einziger Bruder / kriech ich beim Rastplatz ans Ufer / im fahleren Licht / bin ich nichts als mein dunkelstes Wort.

(Drei Schwestern)

Im Zyklus Schichten von Haut entblättert Neeser kunstvoll die Zwiebelhäute der Erinnerung, die zusammenhängen wie die einzelnen durch einen jeweils weiterwandernden Vers miteinander verknüpften Gedichte. Die Kindheit ist es, die den Erwachsenen im Halbschlaf bespricht, die handfest und körperlich wird:

ein paar Krautstiele wachsen mir mundartlich / urlaut / im Gaumen / behauptet die Sprache die Herkunft, Geruch und Geschmack.

***

Nicht nur in ihren Heimatländern Österreich und Schweiz zählen Christoph W. Bauer und Andreas Neeser zu den wichtigsten Lyrikern. Ihre Dichtkunst bereichert den gesamten deutschsprachigen Raum, was die Wahl auf die renommierte Lyrik-Empfehlungsliste 2016 bestätigt.

Sizilien-Krimi für (ent)spannende Strandlektüre!

Und zu Ihrer Linken sehen Sie: Mord!

Reiseziel Sizilien: Die engagierte und couragierte Reiseleiterin Elena Martell führt in „Mörderküste” durch die Heimat der Cosa Nostra und des Limoncello.

Für alle, die schon sehnsüchtig gen Sommer und Urlaub blicken, sich Sonne und Strand des letzten Jahres noch einmal in den Sinn rufen wollen, oder all jene, die ihren Ausbruch aus dem Alltag schon geplant haben und jetzt noch auf der Suche nach dem Spannungsfaktor im Entspannungsurlaub sind, haben wir den perfekten Sizilien-Krimi!

Urlaubskrimi als Reiseführer

Nicht nur mitreißende Spannung, sondern auch Informationen zu Schauplätzen und Sehenswürdigkeiten; Elena Martell und Eva Gründel begleiten euch an den Strand und durch die Landschaften und Städte Siziliens  – und wir liefern schon mal einen kleinen Vorgeschmack ihrer Reiseroute, der Lust auf Sonne, Strand und mehr macht:

Bergstadt Erice

Sie griff wieder zum Mikrofon, denn in diesem Moment kam das Bergstädtchen Erice erstmals in Sicht. „Wir sprechen später darüber“, bemerkte sie noch, bevor sie mit ihren Erläuterungen über die große Vergangenheit der kleinen Stadt hoch über den Salzgärten von Trapani begann. Auch den Venustempel, einst das begehrte Ziel der Seeleute aus allen Teilen der damaligen Welt, unterschlug sie nicht. Nur die Scherze über die Rolle der Tempelpriesterinnen, die in Wahrheit ein florierendes Bordell betrieben hatten, verkniff sich Elena diesmal. Weil ihr Gelächter im Bus in dieser Situation doch nicht so recht passend erschien, unterschlug sie die pikanten Details und erzählte ausführlicher als sonst die Geschichte des trojanischen Helden Äneas, der mit seinen Argonauten der Legende nach hier gestrandet war.

Selinunte

Ihr Vortrag konnte warten, das milde Licht, in dem die Säulen lange Schatten warfen, hingegen nicht. Eine gute Stunde würde es noch hell genug sein, um ohne zu stolpern zwischen den aufgeschichteten Kapitellen zu spazieren. Im Mittelalter hatte ein Erdbeben die drei Heiligtümer in sich zusammenstürzen lassen. Von den mächtigen Monumenten, die in der Folge vom feinen Flugsand vollständig bedeckt worden waren, war bald nichts mehr zu erahnen gewesen. Erst Jahrhunderte später hatte man die Tempel von Selinunte wieder entdeckt, aber nur einen wieder aufgerichtet. Glücklicherweise, denn ein imposanteres Ruinenfeld war kaum denkbar, wirkten doch die Überreste in Augenhöhe noch gigantischer. Nur wer ein tonnenschweres Kapitell auf dem Boden liegen gesehen hat, kann die Dimensionen der einstigen Tempel wirklich ermessen.

Fresko Bildcredit: By Anachoret (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Fresken in der ehemaligen Kapelle des Palazzo Abatellis

Das Gerippe hoch zu Ross macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen Bauer, Bürger, Edelmann. Ob kleiner Priester oder mächtiger Bischof, ob junge Schönheiten oder Verkrüppelte und Ausgestoßene, ausnahmslos holt er sie alle, die unter die Hufe seines gespenstischen Pferdes geraten. Schweigend stand Elena vor dem Fresko aus dem 15. Jahrhundert, das eine ganze Wand in der ehemaligen Kapelle des Palazzo Abatellis ausfüllte. Noch bei keinem Besuch des großartigen Regionalmuseums von Palermo hatte sie sich der bedrückenden Faszination dieses Meisterwerks der frühen Renaissance entziehen können. Diesmal aber traf sie der „Triumph des Todes“ mit voller Wucht. „Grauenhaft. Und in all dem Grauen schaurig schön. Doch wie konnten die Menschen mit solchen Bildern vor Augen leben?“

Also, worauf wartest du noch? Sonnencreme, Strandhandtuch, Bikini oder Badehose eingepackt – und auf zum Strand mit dem perfekten Sizilien-Krimi: „Mörderküste” von Eva Gründel! Und sollte Sizilien nicht ganz deinen Urlaubswünschen entsprechen, haben wir auch Reisen nach Kroatien und England im Angebot – natürlich inklusive charmanter Reisebegleitung!

Von Karl May bis Elfriede Jelinek, von Lwiw bis Berlin – dürfen wir vorstellen: Natalka Sniadanko!

„Chrystyna und Solomija sind jung, klug und selbstbewusst“, heißt es über Natalka Sniadankos Romanheldinnen, und das kann von der Autorin erst recht behauptet werden.

Genauer betrachtet: eine seltene Sprachbegabung, charmante Klugheit und großartiger Humor zeichnen die Lwiwer Schriftstellerin aus. Als Verfasserin von mehreren Romanen sowie Übersetzerin und Journalistin hat sie sich in ihrer Heimat, der Ukraine, ebenso wie in Deutschland und Polen einen Namen gemacht. Unter ihren Übersetzungen aus dem Deutschen und Polnischen finden sich Bestsellerautoren, Klassiker und Nobelpreisträger: von Elfriede Jelinek und Günter Grass bis Franz Kafka und Friedrich Dürrenmatt, von Zbigniew Herbert und Czesław Miłosz bis Judith Hermann und Feridun Zaimoglu. Und nicht zuletzt ist Karl May zu nennen, dessen weltberühmter „Winnetou“ mit Sniadankos Übersetzung erstmals auf Ukrainisch zugänglich ist.

Als Autorin gehört Sniadanko der Generation von Serhij Zhadan und Tanja Maljartschuk an, lange etablierte und international bekannte ukrainische Autoren wie Juri Andruchowytsch und Andrej Kurkow sind hingerissen von Sniadankos erzählerischem Talent – das unter anderem in ihrem Roman „Frau Müller hat nicht die Absicht, mehr zu bezahlen“ zu genießen ist, der 2016 übersetzt von Lydia Nagel bei Haymon erschien.

Natalka Sniadanko, Foto: © Kateryna Slipchenko

Sniadanko, die selbst mehrere Jahre in Deutschland gelebt hat, schickt darin zwei Musiklehrerinnen von Lwiw, dem „Berlin der Westukraine“, ins wahre Berlin. Von ihren Erfahrungen dort, zwischen eigenwilligen Arbeitgebern und komplizierten Liebesgeschichten, weiß Sniadanko auf höchst unterhaltsame, und auch berührende Weise zu berichten. Und wie tief Sniadanko unter die Haut der Stadt Berlin eindringt, bekommt man bei der Lektüre angenehm zu spüren. Ein Leben zwischen zwei vermeintlichen Heimaten also, zwischen zwei Mentalitäten – spannend nicht zuletzt in Zeiten wie diesen, wo es allerorten darum geht, sich in der Fremde einzurichten, sich mit Fremden vertraut zu machen.

Von dieser Erfahrung hat Sniadanko bereits in ihrem Debütroman „Sammlung der Leidenschaften“ furios witzig und geistreich erzählt: Eine ukrainische Studentin in Freiburg im Breisgau, zwischen deutschen Gutmenschen und italienischen Machos – da ist der Culture Clash vorprogrammiert, den die Autorin klug und humorvoll in Szene setzt. In der Ukraine als Kultroman gefeiert, ist der Roman seit 2017 übersetzt von Anja Lutter bei Haymon erhältlich.

Du interessierst dich besonders für Literatur aus der Ukraine?

Dann bist du bei uns an der richtigen Adresse! Neben Natalka Sniadanko haben wir in Zusammenarbeit mit unseren Übersetzer*innen auch andere wundervolle ukrainische Stimmen ins Deutsche gezaubert: Andrej Kurkow, Serhij Zhadan, Maria Matios, Oleksij Tschupa, Kateryna Babkina, Jurij Wynnytschuk und Oleksandr Irwanez erzählen in ihren Büchern von der Buntheit eines Landes, seiner Bewohner*innen von heute und damals, von seiner Geschichte und dem Hauch Zukunft und Widerstandsgeist, der die literarischen Werke immer umweht. Viel Spaß beim Entdecken!