Autor: admin_sunlime

„Bevor wir verschwinden“ in fünf Songs

In seinem Debütroman „Bevor wir verschwinden“ erzählt der Autor, Onkologe und Palliativmediziner David Fuchs von einem Wiedersehen im Angesicht des Abschieds: Der angehende Arzt Ben trifft völlig unerwartet seine Jugendliebe Ambros wieder, der jedoch auf der Krebsstation als Patient behandelt wird. Erinnerungen werden wach, gemeinsame Vorlieben, gemeinsame Autofahrten, gemeinsame Abenteuer brechen sich Bahn und die Hymnen ihrer Jugend spülen längst vergangene Erlebnisse ins Gedächtnis. Nicht nur im Roman, sondern auch im Leben von David Fuchs spielt Musik eine wichtige Rolle: Welcher Song den Autor schon seit dem Studium begleitet und welcher am Anfang der Beziehung von Ben und Ambros steht, erfahrt ihr hier – zusammengestellt von David Fuchs:

The Shins – Caring is Creepy

Die Shins habe ich, wie wahrscheinlich die meisten, mit dem Soundtrack von „Garden State“ entdeckt. Der Song kommt nicht im Roman vor, allerdings war die Band für mich in der Zeit als Student, in der ich etwa so alt war wie Ben im Roman, für mich sehr wichtig und jetzt wertvoll, um mich in dieses Studentengefühl zurückzuversetzen. „Caring is creepy“ ist einer meiner Lieblingssongs von den Shins und hier in einer schönen Solovariante vom Sänger James Mercer zu hören.

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Nirvana – The Man Who Sold The World (unplugged)

Zu diesem Song muss man nicht mehr viel sagen. Das Album haben natürlich in den Neunzigern alle rauf und runter gehört und es hat sich gut gehalten. Das Lied spielt auch im Roman an einer zentralen Stelle gegen Ende eine Rolle, hat mich aber die ganze Entstehung über begleitet, sowohl in der Nirvana-Version als auch im Original von David Bowie.

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Bush – Machinehead

Ein unheimlich schneller, aggressiver Song, einer meiner liebsten, seit ich ihn vor mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal gehört habe. Da war gerade das zweite Album „Razorblade Suitcase“ in den Charts und ich habe Bush entdeckt. Für mich war die Band so essentiell für die Neunziger, dass ich sie im Roman mehrfach eingebaut habe, und „Machinehead“ an zentraler Stelle, am Beginn von Ben und Ambros’ Beziehung.

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The Antlers – Two

Ein Arzt steht mit einem Mann am Krankenhausgang und erklärt ihm, dass seine Freundin sehr bald sterben wird. Mit diesem Moment beginnt „Two“ vom Album „Hospice“ der Antlers, bevor das Lied dann das ganze Spektrum der Emotionen auffächert, die danach kommen. Solche Momente kenne ich (wenn auch nicht vom Krankenhausgang) sehr gut, und „Two“ ist eine wunderschöne Interpretation, ein großartiger Song – einer der authentisch-emotionalsten, den ich kenne.

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The Fratellis – I’ve been blind

Der neueste Song in dieser Liste, und einfach mein Lieblingslied bei den letzten Überarbeitungen am Roman und beim Schreiben der ersten Texte für die nächsten Projekte.

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Wie sich die erste Begegnung zwischen Ben und Ambros zu „Machinehead” von Bush abgespielt hat, erfahrt ihr in „Bevor wir verschwinden” des FM4-Wortlaut-Gewinners David Fuchs. Der Roman ist eine Hommage an den Augenblick: berührend und lebensnah, mitunter auch zum Schmunzeln.

„Beeindruckend und auch sehr berührend – ein Kondensat von ein paar wirklich sehr starken kleinen Anekdoten und Bildern, die zu einer ganz großen Lebens- und Liebesgeschichte werden.“
Jurybegründung zum FM4-Wortlaut 2016

Laudatio für Ehrenglauser-Preisträgerin Edith Kneifl

Bei der diesjährigen Criminale wurde Edith Kneifl für ihr Engagement für die deutschsprachige Kriminalliteratur und ihr literarisches Schaffen mit dem Ehrenglauser gewürdigt. Bei der Preisverleihung am 5. Mai hielt Autorin Tatjana Kruse die Laudatio, in der sie unter anderem erzählt, wie Edith Kneifl von einer angehenden Sportjournalistin zu einer Autorin wurde, die trotz ihres Erfolges auf dem Boden geblieben ist und die Literaturwelt immer wieder aufs Neue bereichert. Und die möchten wir euch nicht vorenthalten!

Tatjana Kruse bei ihrer Laudatio zu Ehren
von Edith Kneifl.

No hype, just love and true dedication – Laudatio für Edith Kneifl – von Tatjana Kruse

Der diesjährige Ehrenglauser geht an Dr. Edith Kneifl. Ja, Doktor – soviel Zeit muss sein. Das wissen viele gar nicht. Weil man sich als Krimiautor ja immer nur selbst googelt und dann kommt lange nichts. Aber wenn man sie googeln täte, da würden einem die Augen übergehen. Weil nämlich der Teil ihres Lebens, der nicht in irgendeiner Weise jugendgefährdend ist, jede Menge Stoff für Hollywood-Filme bieten würde. Nein, ich übertreibe nicht.

Was war – und ist! – das für ein pralles Leben. „Um schreiben zu können, muss man erstmal leben“, sagte Ernest Hemingway. Edith Kneifl praktiziert das vor.

Sie wuchs in Oberösterreich auf und studierte ein Semester Publizistik, um Sportjournalistin zu werden, nahm aber „von diesem Berufswunsch Abstand, als sie merkte, dass sie mit dem schon damals lausigen Journalisten-Honorar nicht einmal ihren Zigarettenkonsum finanzieren konnte“ (O-Ton).

Ich habe extra nicht erwähnt, wie alt Edith ist, aber wir deduktiv geschulten Fachleute ahnen, dass das schon eine ganze Ecke her sein muss, wenn es damals noch kein Widerspruch war, zu rauchen und im österreichischen Tischtennis-Nationalteam (!) zu spielen.

Sie ging an die Uni Wien, wo sie in Psychologie und Ethnologie promovierte, und machte später eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin. Noch mehr Wien geht kaum.

Eine Zeit lang arbeitete sie damals in der „interministeriellen Arbeitsgruppe zur Behandlung frauenspezifischer Angelegenheiten“, was für uns Heutige ein bisschen gynäkologisch und nach PMS-Attacken klingt, aber ein politisches Engagement war.

Edith hat sich nämlich immer auch politisch engagiert, hat klar Stellung bezogen, damals für „Künstler für den Frieden“ und heute, wie ihre Freundin und Kollegin Doris Gercke hervorhebt, gegen Rechts.

Brava!

Edith Kneifl (li) und Tatjana Kruse (re)
nach der Preisverleihung.

Was wissen wir über Edith als Mensch? Sie ist immer schon gern gereist. Sehr oft nach Griechenland, was man an ihrer großzügigen Gastfreundschaft merkt. Die Reiselust hat sie auch in die USA geführt (in „Blutiger Sand“ rechnet sie mit dem American Way of Life ab), und wer sie kennt, sagt Doris Gercke, weiß um ihre Sehnsucht nach dem Meer und ihre Liebe zu Triest: Man muss nur ihren melancholisch-schönen „Triestiner Morgen“ lesen, um zu spüren, wie groß diese Liebe ist. Und apropos Meer: Edith ist einmal mit KGB-Agenten im Pazifischen Ozean geschwommen – da hat man doch sofort das Bild von ihr als Ursula Andress vor Augen, wie sie aus den Fluten steigt, neben ihr Sean Connery, nur eben nicht als James Bond, sondern als Igor, der Schlächter von Wladiwostock –, aber das ist eine andere spannende Geschichte …

Und da sind wir auch schon bei Ediths schriftstellerischem Schaffen. Sie hat als junge Frau alles von Dashiell Hammett und Raymond Chandler gelesen, fing relativ früh mit dem Schreiben an und hat die Meister des Noir feministisch parodiert.

Wenn’s stimmt, wollte anfangs sogar der Frauenmörder Jack Unterweger einen Kurzkrimi von ihr verlegen. Das hat nicht geklappt – wer weiß, ob wir heute und hier sonst in dieser Konstellation so beisammen sitzen würden.

Göttinseidank trat schon bald der Haymon Verlag aus Innsbruck an sie heran, und Kollege Alfred Komarek, der Edith einen präzisen Intellekt attestiert, verbunden mit einer zutiefst Wienerischen Weltsicht, was er beides sehr an ihr schätzt, riet ihr, das Angebot anzunehmen. Haymon ist sie bis heute treu geblieben. In einer Zeit, in der Autoren mit ihren Serien des Öfteren Verlags-Hopping betreiben, ist ihre Loyalität ein seltenes Gut. Was auch Verleger Markus Hatzer zu schätzen weiß, der besonders ihre Empathie für die Menschen und ihre Probleme in der Gesellschaft hervorhebt. Oder wie Janwillem van de Wetering es formulierte: „Gute Kriminalschriftsteller sind die Psychoanalytiker der menschlichen Schattenseiten“. Und genau das ist Edith, eine exzellente Detektivin der Seele. Ihre Figuren – Katharina Kafka, Gustav von Karoly, Joe Bellini, Lisa Maurer – sind echt, bis hin zu den Nebenfiguren. Und ihre Schreibe ist einzigartig – da gibt es dann auch schonmal achtzehn Seiten Monolog. „Abseits gängiger Erwartungen“ hat das Börsenblatt die Entscheidung der Jury tituliert, den Ehrenglauser an Edith zu verleihen, und meinte damit, dass sie eine Autorin ist, die ihren Weg jenseits der Erwartungen des Mainstream geht. Eine Autorin, die es nicht mag, schubladisiert zu werden – Frauenkrimis, Wienkrimis, Thriller – und die keine endlosen Serien mag: nach drei bis fünf Büchern langweilt sie sich mit ihrer Personage und bricht zu neuen Ufern auf.

Edith Kneifl hört gerührt bei der
Laudatio zu.

Sich so bewusst abseits gängiger Vorstellungen, wie das Genre zu sein habe, zu bewegen, ist auch ein Zeichen von Mut und Charakterstärke.

Es gibt in unserer Branche ja die gehypten Stars, die in aller Munde sind und medienwirksam auf der Welle ihres Erfolgs surfen, mehr oder weniger lange, aber daneben gibt es eben auch die stillen Stars, die immer da sind, immer auch draußen in den Wellen, nur halt nicht so mittendrin in der medialen Wahrnehmung. Und da übersieht man leicht, was diese stillen Stars Unglaubliches geleistet haben. Edith beispielsweise ist gelungen, was in der über 30-jährigen Geschichte des Syndikats noch niemand gelang: Sie hat für „Zwischen zwei Nächten“ 1992 den Glauser für den besten deutschsprachigen Roman bekommen – „höchst verdient“, wie Felix Huby attestierte – und erhält jetzt den Ehrenglauser, nicht (oder nicht nur) für ihr Lebenswerk, das ist noch lange nicht beendet, sondern vor allem in Würdigung ihres Einsatzes für den deutschsprachigen Kriminalroman. Und das geht weit darüber hinaus, einfach nur exzellente Kriminalromane zu schreiben und es auszusitzen, bis man quasi altershalber den Ehrenglauser überreicht bekommt, wie es beim Literaturnobelpreis der Fall ist.

Kollege Jürgen ‚Ali‘ Alberts hat hervorgehoben, dass Edith die Türöffnerin aller österreichischen Kolleginnen und Kollegen war, die mittlerweile stark im Syndikat vertreten sind und die Criminale schon zweimal nach Österreich geholt haben, nach Wien und Graz. Edith hat u. a. tatkräftig mitgeholfen, Krimi-Events zu etablieren, hat Anthologien herausgegeben, in denen sie Kolleginnen und Kollegen eine Plattform zur Veröffentlichung bot, hat sich immer „mit lauter Stimme“, wie die Jury sagt, dafür eingesetzt, dass der Kriminalroman – der im Lande der Dichter und Denker jahrzehntelang nur heimlich gelesen wurde und der bis heute nicht wirklich als E-, sondern nur als U-Literatur gilt und es gerade mal so eben allmählich ins Feuilleton schafft –, dass also dieser Kriminalroman die ihm gebührende Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Öffentlichkeit bekommt. Und ihr jahrzehntelanges Engagement trägt nun Früchte.

Wir Altgedienten des Syndikats hätten ihn ja alle gern, den Ehrenglauser. Und ich glaube, als Jürgen Kehrer aus Münster (der zusammen mit Sabina Naber aus Österreich und Sunil Mann aus der Schweiz die Jury bildete) mit seiner sexy Stimme bei Edith anrief und ihr sagte, dass sie die diesjährige Ehrenglauserpreisträgerin ist, ging auch für sie ein Wunschtraum in Erfüllung. Da werden aber keine Wunder wahr, das passiert nicht einfach mit ein bisschen Glück und Feenstaub, da bekommt eine Krimischaffende, die sich konsequent über Jahre und Jahrzehnte hinweg für Kolleginnen und Kollegen und für den Kriminalroman als solchen eingesetzt hat, – ohne Hype, nur mit Liebe und Hingabe, das was sie verdient: Liebe Edith, das ist dein Ehrenglauser!

Edith Kneifl: Der Tod ist ein Wiener

 

 

Ein Krimi voller morbidem Wien-Charme von Glauser-Preisträgerin Edith Kneifl
Magdalenas, Elviras und Sofias Ermittlungen zwischen Otto-Wagner-Kirche, Wienerwald und Wilhelminenberg bringen die dunkle Seite der österreichischen Hauptstadt zum Vorschein. Inmitten der lieblichen Hügel des Wienerwaldes haben sich in der Vergangenheit grausige Szenen abgespielt. Und bald steht auch noch eine der Wiener Ermittlerinnen selbst unter Mordverdacht. Düstere Spannung und Frauenpower im neuen Wien-Krimi von Edith Kneifl!

Tatjana Kruse: Stick oder stirb

 

 

She did it again: Tatjana Kruse, die Königin der Krimödie, hat wieder zugeschlagen
„Kruse schießt die Pointen völlig ungeniert gleich salvenweise aus der Hüfte, und sie bricht lustvoll mit wirklich allen gängigen Klischees ihres Genres.“ So schön formuliert es Krimi-Kollege Ralf Kramp für den FOCUS – und trifft damit ins Schwarze. Die Königin der Krimödie kombiniert meisterinnenhaft rasante Krimihandlung mit Wortwitz und den schrulligsten Figuren der deutschsprachigen Krimilandschaft.

„Das Lachen wird den Leserinnen und Lesern vielleicht manchmal im Hals stecken bleiben.“ – Edith Kneifl im Interview

Ein neuer, brisanter Fall führt die Drei vom Naschmarkt in eine Jugendstilvilla am Rande des Wienerwalds. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie schon bald auf dunkle Abgründe der Vergangenheit Wiens. Edith Kneifl stellt das Trio in ihrem Buch „Der Tod ist ein Wiener“ vor den düsteren Hintergrund der österreichischen Medizingeschichte. Inwieweit die drei Ermittlerinnen trotzdem ihren Wiener Charme behalten und warum die Autorin die Psychiatrie am Steinhof in den Fokus nimmt – das verrät sie uns hier!

Die Drei vom Naschmarkt ermitteln in ihrem neuen Fall vor einem ernsteren Hintergrund als im ersten Band. Darf man trotzdem wieder mit einer kräftigen Portion Wiener Schmäh rechnen?

Humor kommt in all meinen Kriminalromanen nicht zu kurz. Allerdings handelt es sich in „Der Tod ist ein Wiener“ eher um schwarzen Humor. Das Lachen wird den Leserinnen und Lesern vielleicht manchmal im Hals stecken bleiben. Nicht zufällig habe ich mich für diesen Titel entschieden – ein abgewandeltes Zitat eines Songtexts von Topsy Küppers und Georg Kreisler: „Der Tod, das muss ein Wiener sein…“ Spezieller Wiener Schmäh ergibt sich durch die Freundschaft der drei Ermittlerinnen. In ihren Dialogen blitzt er immer wieder auf. Aber es ist kein lustiger Krimi, dazu ist mir das Hintergrund-Thema viel zu ernst.

Fussfessel

Auch die unmenschlichen Zustände, denen psychisch kranke Personen am „Steinhof“ lange ausgesetzt waren, rückt Edith Kneifl in ihrer Neuerscheinung ins Licht. (Symbolbild)

Dein neuer Kriminalroman spielt vor dem Hintergrund der Geschichte der Psychiatrie am Steinhof in Wien. Was hat dich daran interessiert? Wie bist du bei deiner Recherche vorgegangen?

Da ich über 25 Jahre lang psychisch kranke Menschen behandelt habe, liegt es nahe, dass ich mich auch mit der Geschichte der österreichischen Psychiatrie auseinandergesetzt habe. Das heutige Otto-Wagner Spital, umgangssprachlich immer noch „Steinhof“ genannt, kann sowohl mit einer glorreichen als auch mit einer grauenhaften Vergangenheit aufwarten. Außerdem habe ich während meiner psychoanalytischen Ausbildung kurz dort gearbeitet. Allerdings war das nach der großen Psychiatriereform, d.h., die Zustände, die ich in diesem Roman beschreibe, habe ich zum Glück nicht mehr selbst erlebt.

Wir wussten aber alle über die Verbrechen Bescheid, die in der Nazizeit am Steinhof begangen worden waren. Auch die unmenschlichen Bedingungen, unter denen psychisch Kranke bis in die 1970er Jahre in dieser Psychiatrischen Anstalt festgehalten wurden, waren kein großes Geheimnis.

Außerdem habe ich als junge Studentin in den 1970er Jahren mit großer Begeisterung den Kampf des berühmten italienischen Psychiaters Franco Basaglia und seiner Kollegen für eine demokratische Psychiatrie und die Freiheit der Patienten verfolgt. Ich bin damals mit zwei Freunden bei Nacht und Nebel nach Triest gefahren und bei den Aufsehen erregenden Demonstrationen gegen die katastrophalen Zustände in den italienischen „Irrenanstalten“ dabei gewesen. Die Schließung dieser menschenunwürdigen Anstalten und die Anfänge einer offenen Psychiatrie in Italien habe ich ebenfalls miterlebt.

Basiert die Geschichte der Patientin vom „Steinhof“ auf Tatsachen oder ist sie fiktiv?

Schätzt Wien als Kunsthauptstadt und fiktiven Tatort: Autorin Edith Kneifl. Foto: Kurt-Michael Westermann

Die Figur der Larissa Lepinska, einer psychiatrischen Patientin in meinem neuen Roman, ist selbstverständlich frei erfunden. Doch alles, was ich über psychische Erkrankungen und die Torturen weiß, denen Patienten früher in der Psychiatrie ausgesetzt waren, fließt natürlich in diese Kapitel über Larissas stationäre Aufenthalte am Steinhof mit ein.

Auch die österreichische Kunstgeschichte wird in dem zweiten Band zum Thema. Wie nahe steht dir Wien als „Kunsthauptstadt“?

Wien ist meiner Meinung nach ein schönes Museum – zumindest die Innenstadt. Da ich gerne Museen besuche, meine ich dies nicht einmal besonders kritisch. 2018 haben wir das 100. Todesjahr von Otto Wagner, des großen österreichischen Architekten der Moderne, dem Wien viele seiner schönsten Bauten zu verdanken hat. Auch der Todestag des großartigen Jugendstil-Künstlers Koloman Moser jährt sich heuer zum 100. Mal. Es wird einige spannende Ausstellung zum Themenjahr 2018: „Schönheit und Abgrund“ geben. Und ich freue mich schon auf viele Museumsbesuche. Denn Architektur und Bildende Kunst interessierten mich seit jeher ebenso sehr wie die Literatur. Deshalb geht es in meinem neuen Roman „Der Tod ist ein Wiener“ unter anderem auch um die Kunst der Jahrhundertwende und der Zwischenkriegszeit, um Egon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und immer wieder um Otto Wagner.

Außerdem sind meine wichtigsten Protagonistinnen, neben dem Ermittler-Trio, eine alte Wiener Kunsthändlerin namens Adele, die ein großes Erbe hinterlassen wird und ihre Freundin und Geliebte, die russische Malerin Larissa Lepinska, die in den 1970er Jahren in Wien lebte, an einer bipolaren Störung erkrankt und am Steinhof nicht nur vergewaltigt wurde, sondern auch zu Tode kam.

Eigentlich dreht sich in diesem Roman alles um Larissas Tochter Tanja, die gleich nach ihrer Geburt zur Adoption freigegeben wurde. Magdalena Musil und ihre Freundinnen sollen diese Frau nun nach 42 Jahren ausfindig machen, weil die Kunsthändlerin Adele der Tochter ihrer geliebten Freundin all ihre Besitztümer und vor allem ihre wertvolle Bildersammlung vermachen möchte. Adeles nächste Verwandte sind natürlich nicht begeistert von diesem Plan.

Gespenster der Vergangenheit beschäftigen Magdalena Musil bei ihren Recherchen mehr als ihr lieb ist. Das Wiedersehen mit ihrer ersten großen Liebe erleichtert ihr kurzfristig die Ermittlungen in diesem Sumpf aus längst verjährten Verbrechen, aus niemals verjährtem Mord und tödlicher Rache.

Magdalena, Elvira und Sofia sind ja nicht gerade Klischee-Detektivinnen. Was macht die drei so besonders?

Die Drei vom Naschmarkt haben zumindest eines gemeinsam: Sie sind sehr neugierig – eine wichtige Voraussetzung für Ermittlerinnen, denke ich. Ansonsten entsprechen sie tatsächlich nicht den üblichen Klischees, sind weder besonders tough noch sehr exzentrisch – was momentan im Krimigenre ja auch „in“ ist. Sie sind sozusagen ganz normale Frauen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften ausgestattet. Deshalb eignen sie sich vielleicht auch recht gut als Identifikationsfiguren.

Interessant finde ich immer, mit welcher meiner Protagonistinnen sich meine Leserinnen gerne identifizieren. Bereits nach dem Erscheinen meines ersten Romans mit den Drei vom Naschmarkt „Tot bist du mir lieber“, erlebte ich schon so manche Überraschung. Ich hätte zum Beispiel nie erwartet, dass sich eine tüchtige Geschäftsfrau in der romantischen, verträumten Sofia wiedererkennt. Ich fand es jedenfalls reizvoll, gleich drei sehr differenzierte Frauencharaktere zu erfinden und bin selbst gespannt, wie sie sich weiterentwickeln werden.

Trotzdem möchte ich zum Schluss noch ein paar Eigenheiten meiner sympathischen neuen Freundinnen hervorheben: Magdalena Musil, Zweiflerin und Grüblerin, hält sich selbst für eine Versagerin, trotz ihrer außerordentlichen Intelligenz und ihrer bemerkenswerten Courage. Sofia Schanda, „die Schöne“, entwickelt sich gerade von der unsicheren, braven Hausfrau und Mutter zu einer Karrierefrau und Femme fatale, was nicht ohne Abstürze vor sich geht. Elvira Smejkal, die handfeste, lebenslustige Kosmetikerin, Neo-Wienerin aus dem benachbarten Bratislava, bringt sich und ihre Freundinnen mit ihrer direkten, unverblümten Art und ihrem guten Herzen immer wieder in Schwierigkeiten.

Ich hoffe, meine Leserinnen und Leser werden meinen Ausflug in die düstere Vergangenheit Österreichs spannend finden und gleichzeitig genauso viel Spaß mit den Dreien vom Naschmarkt und ihren mörderischen und amourösen Abenteuern haben wie ich beim Schreiben.

Edith Kneifl: Der Tod ist ein Wiener.

 

 

 

Mit dem typischen Wiener Charme begegnen die Drei vom Naschmarkt ihrem neuesten Fall und sind dabei mit der dunklen Vergangenheit Wiens konfrontiert. Düstere Spannung und Frauenpower in Edith Kneifls „Der Tod ist ein Wiener“! – Hier geht’s zum Buch

100 Jahre danach: eine Auseinandersetzung mit dem Erbe des Ersten Weltkriegs – Bettina Balàka blickt vor allem auf die Frauen (Leseprobe)

Kaiser, Krieger, Heldinnen … 100 Jahre nach dem Ausrufen der Ersten Republik sind sie verschwunden, diese Figuren der Vergangenheit. Doch nicht ihre Geschichten: Präzise recherchiert und erzählerisch gewitzt erzählt Bettina Balàka über die Schicksale und Erlebnisse verschiedenster Menschen und Menschengruppen von 1918 bis heute. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die Entwicklung der Stellung der Frau. In ihren Essays wirft die Autorin einen Blick auf den immer noch lebendigen Habsburger-Mythos, die Tradition Europas als Schmelztiegel der Kulturen und darauf, wie wir uns an den Krieg erinnern.

Leseprobe aus Bettina Balàkas „Kaiser, Krieger, Heldinnen

Ein Bus steht in der Haltestelle. Doch er fährt nicht los. Die Minuten vergehen. Immer wieder versucht der Fahrer zu starten, doch der Motor bleibt tot. Unruhe macht sich breit unter den Passagieren. „Wie lange dauert das denn noch?“

Dann plötzlich sagt eine Frau: „Is des a Frau?“ Alle lugen nach vorne zum Führerstand und versuchen, über die Köpfe der anderen hinweg zu erkennen, wer sich dort abmüht. „Des is a Frau!“, sagt eine andere Frau zur ersten. „Wirklich?“, schalten sich weitere Fahrgäste ein. „Jössas na!“ „Na dann wundert mi nix.“

Die Fahrerin kämpft. Der Busmotor stottert, jammert und stirbt. Man schüttelt die Köpfe, raunt, spricht gerade so laut, dass es die Fahrerin hören muss, aber nicht laut genug, als dass man einem Einzelnen vorwerfen hätte können, er hätte etwas gesagt. Oder sie hätte etwas gesagt. Denn vor allem Frauen sind von der Aussichtslosigkeit der Fahrerinnenbemühungen überzeugt. Zumindest tun sie diese Überzeugung kund, während die Männer still beobachten.

Die Fahrerin steigt aus. Sie hat rote Flecken im Gesicht und ein bisserl verschwitzt scheint sie auch zu sein. Sie geht um den Bus herum und schaut irgendetwas nach. „Des wird nix mehr.“ „Also wenn ma so an Bus ned amal starten kann …“ Die Busfahrerin steigt wieder ein und versucht, halbwegs würdevoll eine Durchsage zu machen: „Bitte alle aussteigen. Aufgrund eines technischen Gebrechens kann die Fahrt leider nicht fortgesetzt werden.“

Die Bustüren öffnen sich, die Fahrgäste versammeln sich vor dem zusammengebrochenen Bus zum Meinungsaustausch. Die Fahrerin kommt dazu, sie ist mit ihren Nerven am Ende, hat sie gar Tränen in den Augen? Wahrscheinlich wird sie auch gleich zusammenbrechen. Sie versucht sich zu rechtfertigen: „Ich kann nichts machen! Es ist ein technisches Problem!“ Man tauscht wissende Blicke aus und strömt auseinander. „A Jammergschpü, des Ganze …“, ist noch zu hören.

Diese Szene spielte sich nicht 1916 ab, nicht 1956 und auch nicht 1976, sondern 1992 – dem ersten Jahr in der Geschichte der Wiener Verkehrsbetriebe, in dem Frauen als Busfahrerinnen eingesetzt wurden. Was undenkbar erscheint, kann sich erstaunlich schnell ändern. Heute wäre eine Szene wie die eben beschriebene undenkbar, vor einigen Jahrzehnten waren es Frauen als Busfahrerinnen.

Ich wünschte nun, ich könnte eine glorreiche Erinnerung vorweisen, etwa, dass ich damals schon (womöglich als eine von wenigen) genau durchschaute, was sich da abspielte. Oder dass ich gar in einem heroischen Akt der Zivilcourage der Fahrerin gegen das Mehrheitsknurren zu Hilfe gekommen wäre. Aber für ein solch geistesgegenwärtiges Handeln war ich damals, mit sechsundzwanzig, zu unsicher und unerfahren.

Allerdings bezog ich aus dem Vorfall einige wertvolle Erkenntnisse. Etwa: Die Sozialisation wirkt auf sehr heimtückische Weise. Denn obwohl ich mich – insbesondere im universitären Umfeld – seit Jahren geradezu im Zentrum feministischen Denkens und Forschens bewegte, und obwohl ich nicht eine Sekunde gezögert hätte, für die Ausübung jeden Berufes durch Frauen auf die Barrikaden zu gehen, trieb mein Gehirn für wenige Augenblicke ein unheimliches Spiel mit mir. Inmitten des raunzigen Aufruhrs hatte auch ich – plötzlich und sofort niedergekämpft – das Gefühl: Vielleicht ist es doch nicht so eine gute Idee, wenn Frauen Autobusse fahren.

Gewohnheit prägt. Man will auf der sicheren Eisschicht des eigenen vorbildlichen Denkens über sie hinwegschreiten, und bricht doch immer wieder ein. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich noch nie eine Busfahrerin gesehen. Ich hatte in meinen wenigen Jahren in Wien auch noch nie eine Straßenbahnfahrerin gesehen, obwohl diese offiziell seit 1970 zugelassen waren. Wohl operierten sie nur sehr vereinzelt und sehr versteckt oder mittlerweile vielleicht gar nicht mehr.

Im Salzburger Biotop meiner frühen Kindheit, Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, war selbst das Autofahren für Frauen ein nervenaufreibender Ausstieg aus der traulichen Normalität, in der der Mann die Familienkutsche lenkte. Nur wenige Mütter in meiner Bekanntschaft fuhren Auto (oder besaßen gar eines), und ehrlich gesagt fuhr ich auch lieber bei den Vätern mit. Sie waren gelassener und souveräner und schrien nicht zu den Kindern, die unangeschnallt auf der Rückbank herumkugelten, nach hinten: „Ihr müsst jetzt still sein, damit ich mich konzentrieren kann!“

Zuschreibungen wirken innerlich. Die Frauen, denen man immer wieder gesagt hatte, dass sie zum Autofahren zu nervös, zu emotional, zu hysterisch, zu sehr hormonellen Schwankungen unterworfen, zu wenig technisch versiert und nicht hinreichend mit räumlichem Orientierungsvermögen ausgestattet seien – wie sollten sie dabei souverän sein? Sie mussten nicht nur gegen die äußeren, sondern auch gegen innere, internalisierte Stimmen aufbegehren: Kann ich das wirklich? Was, wenn die anderen Recht haben und ich mich irre?

Auf der anderen Seite gab es für Auto fahrende Frauen eine spezielle Gratifikation. So manche berichtete, sie habe schon wieder „einen Mann überholt“. Im wörtlichen Sinne. Damit könnte man heute wohl kaum mehr Furore machen. Auch die Busfahrerin aus der eingangs geschilderten Szene sah sich einer selbsterfüllenden Prophezeiung ausgesetzt. Obwohl es fast jeder Fahrgast schon einmal erlebt hatte, dass ein Bus auf der Strecke blieb, und keiner je auf die Idee gekommen wäre, den männlichen Fahrer dafür persönlich verantwortlich zu machen, musste sie gegen den Generalverdacht auf weibliche Busfahrunfähigkeit ankämpfen. Sie zeigte Nerven, sie hatte Mühe, ihr Selbstbewusstsein zu bewahren. (Im Übrigen: Wäre es nicht sogar vorstellbar, dass sich spaßig aufgelegte Kollegen den Jux machten, der neuen Fahrerin zum Einstand einen nicht ganz fahrtüchtigen Bus zuzuweisen?)

Es ist wichtig, sich an diese Pionierinnen zu erinnern und ihnen zu danken. Nicht nur den Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen, den Ärztinnen und Politikerinnen, den Juristinnen und Journalistinnen, sondern jeder einzelnen Frau, die bei all dem vorauseilenden Misstrauen den Mut hatte, in eine „Männerdomäne“ zu gehen. Junge Frauen der Gegenwart sind häufig überzeugt, dass sie niemals Selbstzweifel gehabt oder sich irgendetwas gefallen hätten lassen. Wie mühevoll die Wege geebnet wurden, auf denen sie heute schreiten, ist ihnen oft schwer vorstellbar.

Österreichische Geschichte aus einer vollkommen neuen Perspektive: Bettina Balàkas Kaiser, Krieger, Heldinnen

 

 

Erhellend und unterhaltsam beschreibt Bettina Balàka einen Teil österreichischer Geschichte aus einer vollkommen neuen Perspektive! Mit Fokus auf die Frauengeschichte, den Habsburgermythos und Europa als Vielvölkerstaat trifft die Autorin auch den heutigen Zeitgeist und zeigt uns, wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinwirkt. Hier geht’s zum Buch!