„Man könnte sagen, ich schreibe meine inneren Bilder ab“ – Interview mit Isabella Feimer

Isabella Feimers Lyrik spiegelt die Bewegung der Zeit wider – manchmal fließend, manchmal staccato –, sie fängt die Schönheit des Vergänglichen ein. Sie wirft Blicke auf Details; die Sprache in ihrer Zartheit und ihrem mitunter Minimalismus rahmt sie: den Wolkenausschnitt, den Zuckerguss, die Wintervögel und die Frühlingsknospen, den Saum des Nachthemds und den Balanceakt zwischen einem Ich und einem Du. Sie verfasst Poesie, die verborgene Gefühle an die Oberfläche trägt und uns die Zerbrechlichkeit und Stärke der menschlichen Existenz spüren lässt. Wir haben uns mit ihr über ihren neuen Lyrikband, den Einfluss der visuellen Künste auf ihr Schreiben und über Reisen unterhalten: 

 

Dein neuer Lyrikband „Versuch einer Verpuppung“ entstand auch inspiriert von mehreren Reisen, unter anderem spielt die abgelegene Insel Achill Island eine große Rolle – was hat dich an diesem abgelegenen Ort besonders berührt oder beeinflusst, und wie spiegelt sich das in deinen Texten wider?

Das Reisen ist der Flow, in dem für mich die meiste und auch intensivste Inspiration zu finden ist; es gibt so wundersame Orte, die ich bereisen durfte, da passiert das Schreiben fast von selbst. Achill Island war einer dieser Orte. Abgeschieden, karg und eine immense Weite innehabend. Weite ist ein guter Nährboden für Poesie; je weiter und einsamer ein Ort, desto aufdringlicher will es aus mir schreiben. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass sich der Blick ändert, wenn er in Karges und aus der Fülle genommen wird. Der Blick fokussiert dann auf das Kleine und Zarte, und manchmal auf ein Nichts, in dem man nicht anders kann, als zu fühlen. Aber auch aus der überfordernden Fülle können meine Texte entstehen, dann, wenn ich mich nach Einsamkeit und Weite sehne.

Als Regisseurin und jemand mit einem starken Bezug zur Fotografie – inwiefern beeinflusst das Visuelle, das Bildhafte, deine lyrische Sprache? Gibt es Bilder oder Filmszenen, die als Auslöser für Gedichte dienen?

Das Visuelle hat für mich im Schreiben eine vorrangige Rolle. Als Erstes gibt es immer dieses innere Bild, eine Art emotionale Fotografie oder eine Art Filmstill, das vor allem anderen da ist, und dieses Bild begleitet mich dann eine Weile, manchmal Sekunden, manchmal Tage trage ich es in meinen Gedanken, bevor daraus dann die Worte entstehen und das Bild formen und transparent machen. Man könnte sagen, ich schreibe meine inneren Bilder ab. Bilder, Filme, Fotografien folgen mir und führen mich durchs Sein – schon immer, und ja, meine Sprache formt sich aus Visuellen, und ja, sie finden sich dann auch in meinen Texten wieder … so ist, zum Beispiel, ein Gedicht dem Bild „Die Riesin“ von Leonora Carrington gewidmet, und Bilder wie dieses oder auch einzelne Filmmomente, wie es einer in dem Film „A Crack in the World“ gewesen ist, bringen dann meine eigenen Geschichten ans Licht.

© Manfred Poor

Isabella Feimer, geboren 1976 in Niederösterreich, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und arbeitet seit 1999 als freie Regisseurin und Schriftstellerin in Wien. 2008/2009 Besuch der Leondinger Akademie für Literatur und 2011 Teilnehmerin des Mentoringprojekts des Bmukk. Sie schreibt Prosa, Essays, Lyrik und Theatertexte und veröffentlichte seit 2009 in diversen Literaturzeitschriften und Anthologien. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und Preise. Zu ihren Inspirationsquellen zählen ihre Reisen, die sie gepaart mit Wanderlust und Wissensdrang auf alle fünf Kontinente führten, und die intensive Beschäftigung mit Bildender Kunst, Fotografie und Film.

Der Titel deines Bands ist „Versuch einer Verpuppung“ – ein Übergang, eine Transformation. Wie verstehst du diesen Begriff im Kontext deiner Arbeit zwischen Literatur, Film und Bildender Kunst? Ist das Schreiben für dich auch eine Form des Häutens oder Sich-Verwandelns?

Ja, der Prozess des Schreibens ist eine Häutung, ist eine Transformation, der man sich erst dann bewusst ist, wenn ein Text oder ein Band abgeschlossen ist. Für mich ist es so, dass ich das Gefühl habe, mit jedem Buch ein Stück weiterzukommen, mit mir, mit der Welt. Das Häuten geht Hand in Hand mit der Beschäftigung mit der Welt und den inneren – sagen wir mal – Abläufen. Und jetzt – da du fragst – merke ich erst, was in dem Titel steht, nämlich: der Versuch. Der Versuch, sich zurückzuziehen, sich auf das Innere zu besinnen, sich dem Inneren zu stellen und sich in dieser Konfrontation zu verwandeln. Auch glaube ich, dass es immer diesen ersten Schritt nach innen geben muss, um mit der Kunst, die man macht, nach außen gehen zu können.

Der verpuppte Kokon kennzeichnet auch ein Zwischenstadium zweier Erscheinungsformen, er steht symbolisch für einen Übergang und kann auch sinnbildlich für die Dichotomie zwischen Innen und Außen stehen. „Dazwischensein“, die Opposition zwischen Innenwelt und Außensicht, nicht zuletzt auch ein formales Changieren hin zu erzählerischeren Gedichten in den letzten Zyklen – glaubst du, dass dieses Dazwischensein einen gemeinsamen Nenner deiner hier versammelten Lyrik darstellt?

Ich möchte in meiner künstlerischen Arbeit dem Dazwischen so viel Raum wie nur möglich geben. Ich möchte ausprobieren, in den Inhalten und im Formalen. Gerade was Form betrifft, möchte ich mich nicht einschränken. Der freie Vers kann, so glaube ich, auch gern ein bisschen ins Erzählerische gehen – oder weiter ins Fragmentarische oder überhaupt in die Auslassung an sich. Und auch ein Erzählen darf lyrisch sein und voll der Poesie. Vielleicht ist das Dazwischen auch die Chance, die Innenwelt und die Außenansicht einander anzunähern, vielleicht löst sich im Dazwischen der Widerspruch auf und Innen und Außen schieben sich übereinander. Ergeben dieses Andere, dieses Etwas, das in den Zeilen vibriert.

Gibt es eine Frage, die du selbst gerne zu deinem Lyrikband gefragt werden würdest oder die du dir selbst stellst?

Vielleicht würde ich mich fragen wollen, warum es Liebesgedichte in „Versuch einer Verpuppung“ sind … vermutlich würde ich diese Frage aber nicht beantworten wollen.


Lyrik, die die Komplexität von Liebe, Verlust und Sehnsucht auf eindringliche Weise einfängt

Die Seele findet ihre eigene Sprache und erzählt: von inneren Kämpfen, stiller Freude und den ungesagten Worten, die tief in uns verborgen liegen. In drei Zyklen schreibt sich Isabella Feimer durch Orte, Zeiten, endlose Weiten und winzige Feinheiten.